Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Drei Könige

zu der es sein romantischer Freund steigern konnte. Dynastisch, legitim empfand
auch Johann, aber wie viel leidenschaftlicher und phantastischer trug Friedrich
Wilhelm stets die Farben auf. Man höre seine Totenklage für den Kaiser
Franz, "den lieben herrlichen Franzi, weyland römischen Kaiser und (was für
mein Gefühl noch unaussprechlicher ist) den letzten König der Teutschen", diese
wunderliche Mischung wortreicher Gefühlsseligkeit und abspringenden Witzes.
Der Heimgang des Monarchen gab ihm Anlaß, in Erinnerungen an die heilige
Allianz zu schwelgen: "Die Drey, vor denen der HERR die Schaaren des
WeltEroberers niederwarf, die Ihn vor aller Welt als Ihren HERRn und
König bekannten und deren vereinter Macht Er das Ungeheuer der Revoluzion
gebannt überliefert hatte, bis auf einen geschmolzen! das Ungeheuer los und
an allen Enden Blut, Thränen, Brand, Verrath und alle Sünden hausend!!
das ist tragisch! und nun der Ersatz für dieses theure, geheiligte Haupt! Nicht
wie der für Alexander, der mehr als vollkommener Ersatz ist -- sondern eine
gute ehrliche Haut, von der viele zweifeln, ob er begriffen, daß .1 -s-1 2 ist
und der gewiß nie begreifen wird, warum 1^1 unter gewissen Umständen
z> B. 6 seyn kann wie unter anderem bey Dir und Mokrlü" Ähnliche Er¬
güsse widmete er der Revolution, die er anläßlich der englischen Parlaments¬
reform im Mai 1832 mit einer wahren Flut apokalyptischer Verwünschungen
überschüttete. Er verglich sie mit dem Tier der Offenbarung Johannis, oder
"mit der Hure, welche mit den Königen gehuret und sie aus ihrem Kelch trunken
gemacht hat". Er berauschte sich geradezu an diesen Bildern, er redete sich
immer mehr in den Affekt hinein, um sich ebenso jäh wieder abzukühlen und
in die entgegengesetzte Stimmung umzuschlagen. "So im Schreiben," bekennt
er selber, "gefalle ich mir in der apocalyptischen Rolle und decretiere nunmehr,
daß das Thier die Revoluzion ist und die Hure die Weisheit des JahrlOOs,
die immer vollauf frißt und säuft und anderen giebt in großen Haufen zu kosten
und doch nimmer satt wird noch satt macht. Gewiß ist das Ding, was Revo¬
luzion jetzt heißt, Etwas, was seit Erschaffung der Welt kein Mensch geträumt
hatte bis 89. Es ist ganz etwas apart Behendes, kluges und Gottloses darin.
wie in nichts Ähnlichem bis Daher und den Reitz der Originalität kann Niemand
ihm absprechen bei seinem Auftreten. Daß es nach 43 Jahren, nach soviel
Blut und Thränen und nach so abgenutzten KunstGriffen und Verführungen
noch immer verführt, ist wahrlich kein Compliment für unser Geschlecht. Wenn
nur die Könige sich frey hielten von den MahlZeichen des Thiers. -- Doch
genug Apocalypse; Laßt uns flugs ein recht kühles Thema wählen, um aus
dem mystischen Wüste zu entkommen." Aus der Antwort des sächsischen Freundes
klang etwas wie Bewunderung heraus, die schüchtern in denselben Ton ein¬
stimmen wollte und doch eine leise verständige Mahnung nicht unterdrücken
konnte, wenn er sagte: "Aber von der anderen Seite mache, daß wir ein
Deutschland nach unserem Sinne bekommen, damit die Leute sich nicht nach
einem apocalyptischen ditto sehnen." Auch Johann betrachtete den stürmischen


Drei Könige

zu der es sein romantischer Freund steigern konnte. Dynastisch, legitim empfand
auch Johann, aber wie viel leidenschaftlicher und phantastischer trug Friedrich
Wilhelm stets die Farben auf. Man höre seine Totenklage für den Kaiser
Franz, „den lieben herrlichen Franzi, weyland römischen Kaiser und (was für
mein Gefühl noch unaussprechlicher ist) den letzten König der Teutschen", diese
wunderliche Mischung wortreicher Gefühlsseligkeit und abspringenden Witzes.
Der Heimgang des Monarchen gab ihm Anlaß, in Erinnerungen an die heilige
Allianz zu schwelgen: „Die Drey, vor denen der HERR die Schaaren des
WeltEroberers niederwarf, die Ihn vor aller Welt als Ihren HERRn und
König bekannten und deren vereinter Macht Er das Ungeheuer der Revoluzion
gebannt überliefert hatte, bis auf einen geschmolzen! das Ungeheuer los und
an allen Enden Blut, Thränen, Brand, Verrath und alle Sünden hausend!!
das ist tragisch! und nun der Ersatz für dieses theure, geheiligte Haupt! Nicht
wie der für Alexander, der mehr als vollkommener Ersatz ist — sondern eine
gute ehrliche Haut, von der viele zweifeln, ob er begriffen, daß .1 -s-1 2 ist
und der gewiß nie begreifen wird, warum 1^1 unter gewissen Umständen
z> B. 6 seyn kann wie unter anderem bey Dir und Mokrlü" Ähnliche Er¬
güsse widmete er der Revolution, die er anläßlich der englischen Parlaments¬
reform im Mai 1832 mit einer wahren Flut apokalyptischer Verwünschungen
überschüttete. Er verglich sie mit dem Tier der Offenbarung Johannis, oder
„mit der Hure, welche mit den Königen gehuret und sie aus ihrem Kelch trunken
gemacht hat". Er berauschte sich geradezu an diesen Bildern, er redete sich
immer mehr in den Affekt hinein, um sich ebenso jäh wieder abzukühlen und
in die entgegengesetzte Stimmung umzuschlagen. „So im Schreiben," bekennt
er selber, „gefalle ich mir in der apocalyptischen Rolle und decretiere nunmehr,
daß das Thier die Revoluzion ist und die Hure die Weisheit des JahrlOOs,
die immer vollauf frißt und säuft und anderen giebt in großen Haufen zu kosten
und doch nimmer satt wird noch satt macht. Gewiß ist das Ding, was Revo¬
luzion jetzt heißt, Etwas, was seit Erschaffung der Welt kein Mensch geträumt
hatte bis 89. Es ist ganz etwas apart Behendes, kluges und Gottloses darin.
wie in nichts Ähnlichem bis Daher und den Reitz der Originalität kann Niemand
ihm absprechen bei seinem Auftreten. Daß es nach 43 Jahren, nach soviel
Blut und Thränen und nach so abgenutzten KunstGriffen und Verführungen
noch immer verführt, ist wahrlich kein Compliment für unser Geschlecht. Wenn
nur die Könige sich frey hielten von den MahlZeichen des Thiers. — Doch
genug Apocalypse; Laßt uns flugs ein recht kühles Thema wählen, um aus
dem mystischen Wüste zu entkommen." Aus der Antwort des sächsischen Freundes
klang etwas wie Bewunderung heraus, die schüchtern in denselben Ton ein¬
stimmen wollte und doch eine leise verständige Mahnung nicht unterdrücken
konnte, wenn er sagte: „Aber von der anderen Seite mache, daß wir ein
Deutschland nach unserem Sinne bekommen, damit die Leute sich nicht nach
einem apocalyptischen ditto sehnen." Auch Johann betrachtete den stürmischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0611" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323013"/>
          <fw type="header" place="top"> Drei Könige</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3014" prev="#ID_3013" next="#ID_3015"> zu der es sein romantischer Freund steigern konnte. Dynastisch, legitim empfand<lb/>
auch Johann, aber wie viel leidenschaftlicher und phantastischer trug Friedrich<lb/>
Wilhelm stets die Farben auf. Man höre seine Totenklage für den Kaiser<lb/>
Franz, &#x201E;den lieben herrlichen Franzi, weyland römischen Kaiser und (was für<lb/>
mein Gefühl noch unaussprechlicher ist) den letzten König der Teutschen", diese<lb/>
wunderliche Mischung wortreicher Gefühlsseligkeit und abspringenden Witzes.<lb/>
Der Heimgang des Monarchen gab ihm Anlaß, in Erinnerungen an die heilige<lb/>
Allianz zu schwelgen: &#x201E;Die Drey, vor denen der HERR die Schaaren des<lb/>
WeltEroberers niederwarf, die Ihn vor aller Welt als Ihren HERRn und<lb/>
König bekannten und deren vereinter Macht Er das Ungeheuer der Revoluzion<lb/>
gebannt überliefert hatte, bis auf einen geschmolzen! das Ungeheuer los und<lb/>
an allen Enden Blut, Thränen, Brand, Verrath und alle Sünden hausend!!<lb/>
das ist tragisch! und nun der Ersatz für dieses theure, geheiligte Haupt! Nicht<lb/>
wie der für Alexander, der mehr als vollkommener Ersatz ist &#x2014; sondern eine<lb/>
gute ehrliche Haut, von der viele zweifeln, ob er begriffen, daß .1 -s-1 2 ist<lb/>
und der gewiß nie begreifen wird, warum 1^1 unter gewissen Umständen<lb/>
z&gt; B. 6 seyn kann wie unter anderem bey Dir und Mokrlü" Ähnliche Er¬<lb/>
güsse widmete er der Revolution, die er anläßlich der englischen Parlaments¬<lb/>
reform im Mai 1832 mit einer wahren Flut apokalyptischer Verwünschungen<lb/>
überschüttete. Er verglich sie mit dem Tier der Offenbarung Johannis, oder<lb/>
&#x201E;mit der Hure, welche mit den Königen gehuret und sie aus ihrem Kelch trunken<lb/>
gemacht hat". Er berauschte sich geradezu an diesen Bildern, er redete sich<lb/>
immer mehr in den Affekt hinein, um sich ebenso jäh wieder abzukühlen und<lb/>
in die entgegengesetzte Stimmung umzuschlagen. &#x201E;So im Schreiben," bekennt<lb/>
er selber, &#x201E;gefalle ich mir in der apocalyptischen Rolle und decretiere nunmehr,<lb/>
daß das Thier die Revoluzion ist und die Hure die Weisheit des JahrlOOs,<lb/>
die immer vollauf frißt und säuft und anderen giebt in großen Haufen zu kosten<lb/>
und doch nimmer satt wird noch satt macht. Gewiß ist das Ding, was Revo¬<lb/>
luzion jetzt heißt, Etwas, was seit Erschaffung der Welt kein Mensch geträumt<lb/>
hatte bis 89. Es ist ganz etwas apart Behendes, kluges und Gottloses darin.<lb/>
wie in nichts Ähnlichem bis Daher und den Reitz der Originalität kann Niemand<lb/>
ihm absprechen bei seinem Auftreten. Daß es nach 43 Jahren, nach soviel<lb/>
Blut und Thränen und nach so abgenutzten KunstGriffen und Verführungen<lb/>
noch immer verführt, ist wahrlich kein Compliment für unser Geschlecht. Wenn<lb/>
nur die Könige sich frey hielten von den MahlZeichen des Thiers. &#x2014; Doch<lb/>
genug Apocalypse; Laßt uns flugs ein recht kühles Thema wählen, um aus<lb/>
dem mystischen Wüste zu entkommen." Aus der Antwort des sächsischen Freundes<lb/>
klang etwas wie Bewunderung heraus, die schüchtern in denselben Ton ein¬<lb/>
stimmen wollte und doch eine leise verständige Mahnung nicht unterdrücken<lb/>
konnte, wenn er sagte: &#x201E;Aber von der anderen Seite mache, daß wir ein<lb/>
Deutschland nach unserem Sinne bekommen, damit die Leute sich nicht nach<lb/>
einem apocalyptischen ditto sehnen."  Auch Johann betrachtete den stürmischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0611] Drei Könige zu der es sein romantischer Freund steigern konnte. Dynastisch, legitim empfand auch Johann, aber wie viel leidenschaftlicher und phantastischer trug Friedrich Wilhelm stets die Farben auf. Man höre seine Totenklage für den Kaiser Franz, „den lieben herrlichen Franzi, weyland römischen Kaiser und (was für mein Gefühl noch unaussprechlicher ist) den letzten König der Teutschen", diese wunderliche Mischung wortreicher Gefühlsseligkeit und abspringenden Witzes. Der Heimgang des Monarchen gab ihm Anlaß, in Erinnerungen an die heilige Allianz zu schwelgen: „Die Drey, vor denen der HERR die Schaaren des WeltEroberers niederwarf, die Ihn vor aller Welt als Ihren HERRn und König bekannten und deren vereinter Macht Er das Ungeheuer der Revoluzion gebannt überliefert hatte, bis auf einen geschmolzen! das Ungeheuer los und an allen Enden Blut, Thränen, Brand, Verrath und alle Sünden hausend!! das ist tragisch! und nun der Ersatz für dieses theure, geheiligte Haupt! Nicht wie der für Alexander, der mehr als vollkommener Ersatz ist — sondern eine gute ehrliche Haut, von der viele zweifeln, ob er begriffen, daß .1 -s-1 2 ist und der gewiß nie begreifen wird, warum 1^1 unter gewissen Umständen z> B. 6 seyn kann wie unter anderem bey Dir und Mokrlü" Ähnliche Er¬ güsse widmete er der Revolution, die er anläßlich der englischen Parlaments¬ reform im Mai 1832 mit einer wahren Flut apokalyptischer Verwünschungen überschüttete. Er verglich sie mit dem Tier der Offenbarung Johannis, oder „mit der Hure, welche mit den Königen gehuret und sie aus ihrem Kelch trunken gemacht hat". Er berauschte sich geradezu an diesen Bildern, er redete sich immer mehr in den Affekt hinein, um sich ebenso jäh wieder abzukühlen und in die entgegengesetzte Stimmung umzuschlagen. „So im Schreiben," bekennt er selber, „gefalle ich mir in der apocalyptischen Rolle und decretiere nunmehr, daß das Thier die Revoluzion ist und die Hure die Weisheit des JahrlOOs, die immer vollauf frißt und säuft und anderen giebt in großen Haufen zu kosten und doch nimmer satt wird noch satt macht. Gewiß ist das Ding, was Revo¬ luzion jetzt heißt, Etwas, was seit Erschaffung der Welt kein Mensch geträumt hatte bis 89. Es ist ganz etwas apart Behendes, kluges und Gottloses darin. wie in nichts Ähnlichem bis Daher und den Reitz der Originalität kann Niemand ihm absprechen bei seinem Auftreten. Daß es nach 43 Jahren, nach soviel Blut und Thränen und nach so abgenutzten KunstGriffen und Verführungen noch immer verführt, ist wahrlich kein Compliment für unser Geschlecht. Wenn nur die Könige sich frey hielten von den MahlZeichen des Thiers. — Doch genug Apocalypse; Laßt uns flugs ein recht kühles Thema wählen, um aus dem mystischen Wüste zu entkommen." Aus der Antwort des sächsischen Freundes klang etwas wie Bewunderung heraus, die schüchtern in denselben Ton ein¬ stimmen wollte und doch eine leise verständige Mahnung nicht unterdrücken konnte, wenn er sagte: „Aber von der anderen Seite mache, daß wir ein Deutschland nach unserem Sinne bekommen, damit die Leute sich nicht nach einem apocalyptischen ditto sehnen." Auch Johann betrachtete den stürmischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/611
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/611>, abgerufen am 15.01.2025.