Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel immer nicht, dann hätte es also im Januar seine Armee annähernd auf Kriegs¬ In der inneren Politik bildet die Absage der Zentrumsfraktion des Der Herr Reichskanzler hat in einer eindrucksvoller Rede die Anmaßungen Reichsspiegel immer nicht, dann hätte es also im Januar seine Armee annähernd auf Kriegs¬ In der inneren Politik bildet die Absage der Zentrumsfraktion des Der Herr Reichskanzler hat in einer eindrucksvoller Rede die Anmaßungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0552" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322954"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2762" prev="#ID_2761"> immer nicht, dann hätte es also im Januar seine Armee annähernd auf Kriegs¬<lb/> stärke und könnte sowohl auf die österreichisch-serbischen, wie auf die Friedens¬<lb/> verhandlungen der Türkei einen geradezu unerträglichen und Österreich-Ungarn<lb/> herabsetzenden Druck ausüben. Ich kann mir nicht recht vorstellen, wie unter<lb/> solchen Verhältnissen mit einer friedlichen Lösung der akuten Balkanprobleme<lb/> ohne weiteres gerechnet werden darf, und somit vermag ich trotz des größten<lb/> Vertrauens in die Tüchtigkeit unserer Diplomaten und die Friedensliebe Öster¬<lb/> reich-Ungarns den Optimismus nicht zu teilen, der vielfach auch von seiten der<lb/> Banken genährt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_2763"> In der inneren Politik bildet die Absage der Zentrumsfraktion des<lb/> Reichstages an den Reichskanzler die Sensation der Woche und zugleich ein<lb/> Ereignis von größter Tragweite. In der Sache selbst handelt es sich kurz um<lb/> folgendes: Der Bundesrat hat es abgelehnt, den Paragraph 2 des sogenannten<lb/> Jesuitengesetzes aufzuheben und auch den Bundesstaaten zu gestatten, das<lb/> Gesetz durch den Jesuiten einzuräumende Erleichterungen zu durchlöchern.<lb/> Dafür nun macht das Zentrum den Herrn Reichskanzler ganz persönlich ver¬<lb/> antwortlich, kündigt ihm sein Vertrauen und will sein „Verhalten dementsprechend<lb/> einrichten".</p><lb/> <p xml:id="ID_2764" next="#ID_2765"> Der Herr Reichskanzler hat in einer eindrucksvoller Rede die Anmaßungen<lb/> der Zentrumspartei zurückgewiesen und diese vor allen Dingen davor gewarnt,<lb/> die Haltung des Bundesrath als Wiedereröffnung des Kulturkampfes hinzustellen.<lb/> Und doch will es den Anschein haben, als beabsichtigten die Ultramontanen der<lb/> katholischen Bevölkerung so etwas wie Kulturkampfstimmung vorzugaukeln, um<lb/> ihre Macht unter den deutschen Katholiken, die hier und da zu wanken scheint,<lb/> neu zu befestigen. Die Tatsache der Kampfansage an sich ist geeignet, klärend<lb/> zu wirken und Herrn von Bethmann Hollweg von Illusionen bezüglich der<lb/> Zentrumspartei zu befreien. Das Zentrum hat wieder einmal die Maske<lb/> gelüftet und dargetan, daß ihm ultramontane, also internationale und welt¬<lb/> bürgerliche Interessen mehr am Herzen liegen als nationale, und alle die Tinte<lb/> und Mühe, die in den letzten Jahren verschwendet wurde, um die Frage „ist<lb/> das Zentrum national?" in positivem Sinne zu beantworten, scheint umsonst<lb/> vertan. Die Zentrumspartei ist nicht national und wird es solange nicht<lb/> werden, solange sie von Rom aus, von italienischen Prälaten und Mönchen<lb/> angeleitet wird. Und gerade die Abhängigkeit von Rom auch in politischen Fragen,<lb/> die mit der Religion herzlich wenig zu tun haben, wie etwa die Jesuitenfrage, die<lb/> im Widerspruch zu den Wünschen von drei Vierteln der deutschen Bevölkerung<lb/> durchgesetzt werden sollte, wird durch das letzteVorgehen desZentrums gekennzeichnet.<lb/> Nach den Urteilen, die römische Päpste selbst über den Wolfscharakter der<lb/> Jesuiten gefällt haben, und die ich in Heft 16 von 1912 S. 109 nachzulesen bitte,<lb/> würden wir durch die Zulassung des Jesuitenordens vieles aufs Spiel setzen,<lb/> was uns teuer ist. Es mag zutreffen, daß die Bedeutung des Ordens<lb/> heute eine andere ist als noch vor vierzig Jahren. Aber darauf kommt es</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0552]
Reichsspiegel
immer nicht, dann hätte es also im Januar seine Armee annähernd auf Kriegs¬
stärke und könnte sowohl auf die österreichisch-serbischen, wie auf die Friedens¬
verhandlungen der Türkei einen geradezu unerträglichen und Österreich-Ungarn
herabsetzenden Druck ausüben. Ich kann mir nicht recht vorstellen, wie unter
solchen Verhältnissen mit einer friedlichen Lösung der akuten Balkanprobleme
ohne weiteres gerechnet werden darf, und somit vermag ich trotz des größten
Vertrauens in die Tüchtigkeit unserer Diplomaten und die Friedensliebe Öster¬
reich-Ungarns den Optimismus nicht zu teilen, der vielfach auch von seiten der
Banken genährt wird.
In der inneren Politik bildet die Absage der Zentrumsfraktion des
Reichstages an den Reichskanzler die Sensation der Woche und zugleich ein
Ereignis von größter Tragweite. In der Sache selbst handelt es sich kurz um
folgendes: Der Bundesrat hat es abgelehnt, den Paragraph 2 des sogenannten
Jesuitengesetzes aufzuheben und auch den Bundesstaaten zu gestatten, das
Gesetz durch den Jesuiten einzuräumende Erleichterungen zu durchlöchern.
Dafür nun macht das Zentrum den Herrn Reichskanzler ganz persönlich ver¬
antwortlich, kündigt ihm sein Vertrauen und will sein „Verhalten dementsprechend
einrichten".
Der Herr Reichskanzler hat in einer eindrucksvoller Rede die Anmaßungen
der Zentrumspartei zurückgewiesen und diese vor allen Dingen davor gewarnt,
die Haltung des Bundesrath als Wiedereröffnung des Kulturkampfes hinzustellen.
Und doch will es den Anschein haben, als beabsichtigten die Ultramontanen der
katholischen Bevölkerung so etwas wie Kulturkampfstimmung vorzugaukeln, um
ihre Macht unter den deutschen Katholiken, die hier und da zu wanken scheint,
neu zu befestigen. Die Tatsache der Kampfansage an sich ist geeignet, klärend
zu wirken und Herrn von Bethmann Hollweg von Illusionen bezüglich der
Zentrumspartei zu befreien. Das Zentrum hat wieder einmal die Maske
gelüftet und dargetan, daß ihm ultramontane, also internationale und welt¬
bürgerliche Interessen mehr am Herzen liegen als nationale, und alle die Tinte
und Mühe, die in den letzten Jahren verschwendet wurde, um die Frage „ist
das Zentrum national?" in positivem Sinne zu beantworten, scheint umsonst
vertan. Die Zentrumspartei ist nicht national und wird es solange nicht
werden, solange sie von Rom aus, von italienischen Prälaten und Mönchen
angeleitet wird. Und gerade die Abhängigkeit von Rom auch in politischen Fragen,
die mit der Religion herzlich wenig zu tun haben, wie etwa die Jesuitenfrage, die
im Widerspruch zu den Wünschen von drei Vierteln der deutschen Bevölkerung
durchgesetzt werden sollte, wird durch das letzteVorgehen desZentrums gekennzeichnet.
Nach den Urteilen, die römische Päpste selbst über den Wolfscharakter der
Jesuiten gefällt haben, und die ich in Heft 16 von 1912 S. 109 nachzulesen bitte,
würden wir durch die Zulassung des Jesuitenordens vieles aufs Spiel setzen,
was uns teuer ist. Es mag zutreffen, daß die Bedeutung des Ordens
heute eine andere ist als noch vor vierzig Jahren. Aber darauf kommt es
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