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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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auf sich, und für die vormärzliche Opposition
wurde, wie für die französische vor 1739,
Sozialreform vielfach identisch mit Steuer¬
reform. Alle Provinziallandtage beschäftigten
sich 184S mit dieser Frage, und, wenn sie
auch nicht Positiv die Einkommensteuer for¬
derten, so war doch die Verurteilung der Mcchl-
und Schlachtsteuer in den folgenden Jahren
eine ganz allgemeine.

Ebenso überraschend wie die Einberufung
des vereinigten Landtags kam der politischen
Welt im Februar 1847 der vollendete Ein-
lommensteuerentwurf der preußischen Re¬
gierung, den Otto Camphausen, der Bruder
Ludolfs, ausgearbeitet hatte. Man vermutete
sofort politische Motive, wie sie tatsächlich auch
eine Äußerung Leopold von Gerlachs bezeugt,
nämlich man müsse durch die ineomstsx die
Parteien sprengen und die Reichen um ihre
angemaßte Popularität bringen. Auch soziale
Gründe werden bei dem großen Notstand der
letzten Jahre angesprochen haben; vor allem
aber die starke Bewegung, die gegen die Mahl-
und Schlachtsteuer gerichtet war. Verlieren
konnte die Regierung bei der Einführung der
schon bewährten Steuer nichts; wurde aber
der Entwurf abgelehnt, so fiel auf den Land¬
tag die Verantwortung für den Fortbestand
der verhaßten Lebensmittelsteuern. Aus solchen
Motiven heraus ließ die Regierung auf das
deutlichste die Unannehmlichkeiten hervortreten,
die der Einkommensteuerermittlung anhaften
würden. Gegen das Reglement von 1808
war immerhin die Vorlage mit ihrer pro¬
zentualen Steigerung und Selbsteinschätzung
schon ein modernes Gesetz.

Die Presse wandte sich sofort gegen den
radikalen Versuch der Regierung, und die
Entscheidung des Landtags entsprach dieser
öffentlichen Stimme. Die Herrenkurie entschied
sich, wie zu erwarten, für die Regierungs¬
vorlage. In der Dreiständekurie war die
liberale ostpreußische Ritterschaft und der Adel
von Posen aus idealen Gründen, die schlesische
Ritterschaft, weil sie die Not der unteren
Klassen besonders vor Augen hatten, vor¬
wiegend für die Einkommensteuer. Von den
städtischen Abgeordneten dagegen stimmten die
meisten wegen des einträglichen Kommunal¬
zuschlags für die Mahl- und Schlachtsteuer;
die oppositionelle rheinische Bourgeoisie für

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die Einkommensteuer. Die Majorität der
Landgemeinden war für die Vorlage, die für
sie Besteuerung der Reichen bedeutete.

Mit der Ablehnung der Vorlage war die
politische Absicht der Regierung erreicht. Die
Presse verurteilte zwar diesen Ausgang, nicht
aber die im Landtag vertretenen Stände; die
Nicht- oder Wenigbesitzenden aber hatten weder
Abgeordnete noch Presse.

Die Revolution führte einen der ersten
Verteidiger der Einkommensteuer auf den ver¬
antwortungsvollen Posten des Finanzministers
-- David Hansemann. Zugleich zeigte sich
in den unteren Klassen aufs neue eine lebhafte
Bewegung für die Steuer und kam in zahl¬
reichen Petitionen an die Nationalversammlung
zum Ausdruck. Hansemann hatte die doppelte
Aufgabe, einmal die Revolution zu finanzieren,
was ihm dank des so oft bekämpften Staats¬
schatzes und einer freiwilligen Anleihe von
fünfzehn Millionen Taler gelang, ihm somit
das Einbringen einer Zwangsanleihe er¬
übrigte; zweitens eine große allgemeine
Finanzreform zu schaffen. Hierzu lag ihm
das gründlich durchberatene Projekt von 1847
vor. Aber Hansemann wagte es nicht, seine
eigene Partei, die Bourgeoisie, durch die bei
ihr unbeliebte Einkommensteuer zu brüskieren,
weil er sie im Kampf gegen das Andrängen
der radikalen Demokratie und der Reaktion
brauchte. Diese Doppelstellung hat ja über¬
haupt den schnellen Sieg der Reaktion herbei¬
geführt, die sich nun natürlich mit aller Energie
auf die von Hansemann nicht durchgeführten
Reformen warf.

Schon am 6. Dezember 1848 wurde ein
Entwurf über die Einkommensteuer ange¬
kündigt, im Juli 1849 veröffentlicht, und im
Herbst in veränderter Gestalt dem durch Drei¬
klassenwahl geschaffenen Parlament vorgelegt.
Erst 1860 kam es infolge der durch die Mobil¬
machung verursachten Notlage der Staats¬
finanzen zur Entscheidung. Die Regierung
verzichtete jetzt auf die früher von ihr für not¬
wendig erklärte Steuerreform, und eS kam
ein Kompromiß zustande, die "klassifizierte
Einkommensteuer".

In diesem Übergangsgebilde lagen die
Entwicklungskeime der Miquelschen Finanz"
reform, welche die durch mancherlei Politische
und materielle Gründe lange verzögerte Ein"

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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auf sich, und für die vormärzliche Opposition
wurde, wie für die französische vor 1739,
Sozialreform vielfach identisch mit Steuer¬
reform. Alle Provinziallandtage beschäftigten
sich 184S mit dieser Frage, und, wenn sie
auch nicht Positiv die Einkommensteuer for¬
derten, so war doch die Verurteilung der Mcchl-
und Schlachtsteuer in den folgenden Jahren
eine ganz allgemeine.

Ebenso überraschend wie die Einberufung
des vereinigten Landtags kam der politischen
Welt im Februar 1847 der vollendete Ein-
lommensteuerentwurf der preußischen Re¬
gierung, den Otto Camphausen, der Bruder
Ludolfs, ausgearbeitet hatte. Man vermutete
sofort politische Motive, wie sie tatsächlich auch
eine Äußerung Leopold von Gerlachs bezeugt,
nämlich man müsse durch die ineomstsx die
Parteien sprengen und die Reichen um ihre
angemaßte Popularität bringen. Auch soziale
Gründe werden bei dem großen Notstand der
letzten Jahre angesprochen haben; vor allem
aber die starke Bewegung, die gegen die Mahl-
und Schlachtsteuer gerichtet war. Verlieren
konnte die Regierung bei der Einführung der
schon bewährten Steuer nichts; wurde aber
der Entwurf abgelehnt, so fiel auf den Land¬
tag die Verantwortung für den Fortbestand
der verhaßten Lebensmittelsteuern. Aus solchen
Motiven heraus ließ die Regierung auf das
deutlichste die Unannehmlichkeiten hervortreten,
die der Einkommensteuerermittlung anhaften
würden. Gegen das Reglement von 1808
war immerhin die Vorlage mit ihrer pro¬
zentualen Steigerung und Selbsteinschätzung
schon ein modernes Gesetz.

Die Presse wandte sich sofort gegen den
radikalen Versuch der Regierung, und die
Entscheidung des Landtags entsprach dieser
öffentlichen Stimme. Die Herrenkurie entschied
sich, wie zu erwarten, für die Regierungs¬
vorlage. In der Dreiständekurie war die
liberale ostpreußische Ritterschaft und der Adel
von Posen aus idealen Gründen, die schlesische
Ritterschaft, weil sie die Not der unteren
Klassen besonders vor Augen hatten, vor¬
wiegend für die Einkommensteuer. Von den
städtischen Abgeordneten dagegen stimmten die
meisten wegen des einträglichen Kommunal¬
zuschlags für die Mahl- und Schlachtsteuer;
die oppositionelle rheinische Bourgeoisie für

[Spaltenumbruch]

die Einkommensteuer. Die Majorität der
Landgemeinden war für die Vorlage, die für
sie Besteuerung der Reichen bedeutete.

Mit der Ablehnung der Vorlage war die
politische Absicht der Regierung erreicht. Die
Presse verurteilte zwar diesen Ausgang, nicht
aber die im Landtag vertretenen Stände; die
Nicht- oder Wenigbesitzenden aber hatten weder
Abgeordnete noch Presse.

Die Revolution führte einen der ersten
Verteidiger der Einkommensteuer auf den ver¬
antwortungsvollen Posten des Finanzministers
— David Hansemann. Zugleich zeigte sich
in den unteren Klassen aufs neue eine lebhafte
Bewegung für die Steuer und kam in zahl¬
reichen Petitionen an die Nationalversammlung
zum Ausdruck. Hansemann hatte die doppelte
Aufgabe, einmal die Revolution zu finanzieren,
was ihm dank des so oft bekämpften Staats¬
schatzes und einer freiwilligen Anleihe von
fünfzehn Millionen Taler gelang, ihm somit
das Einbringen einer Zwangsanleihe er¬
übrigte; zweitens eine große allgemeine
Finanzreform zu schaffen. Hierzu lag ihm
das gründlich durchberatene Projekt von 1847
vor. Aber Hansemann wagte es nicht, seine
eigene Partei, die Bourgeoisie, durch die bei
ihr unbeliebte Einkommensteuer zu brüskieren,
weil er sie im Kampf gegen das Andrängen
der radikalen Demokratie und der Reaktion
brauchte. Diese Doppelstellung hat ja über¬
haupt den schnellen Sieg der Reaktion herbei¬
geführt, die sich nun natürlich mit aller Energie
auf die von Hansemann nicht durchgeführten
Reformen warf.

Schon am 6. Dezember 1848 wurde ein
Entwurf über die Einkommensteuer ange¬
kündigt, im Juli 1849 veröffentlicht, und im
Herbst in veränderter Gestalt dem durch Drei¬
klassenwahl geschaffenen Parlament vorgelegt.
Erst 1860 kam es infolge der durch die Mobil¬
machung verursachten Notlage der Staats¬
finanzen zur Entscheidung. Die Regierung
verzichtete jetzt auf die früher von ihr für not¬
wendig erklärte Steuerreform, und eS kam
ein Kompromiß zustande, die „klassifizierte
Einkommensteuer".

In diesem Übergangsgebilde lagen die
Entwicklungskeime der Miquelschen Finanz»
reform, welche die durch mancherlei Politische
und materielle Gründe lange verzögerte Ein«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/486>, abgerufen am 15.01.2025.