Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Grimmelshausen und der Simplizins Simplizissimus Dabei nehmen im "Simplizissimus" die innersten Gedankengänge zuletzt Für Grimmelshausen wie für seine ganze Zeit gipfelt die Frage nach dem Vom Glauben an den Teufel kann sich auch Grimmelshausen trotz seiner Die theologischen Gedankengänge, wie sie Grimmelshausen bei seinem Aber vor allen Dingen begegnete er den Fragen der Zeit voll Anteil¬ Grimmelshausen und der Simplizins Simplizissimus Dabei nehmen im „Simplizissimus" die innersten Gedankengänge zuletzt Für Grimmelshausen wie für seine ganze Zeit gipfelt die Frage nach dem Vom Glauben an den Teufel kann sich auch Grimmelshausen trotz seiner Die theologischen Gedankengänge, wie sie Grimmelshausen bei seinem Aber vor allen Dingen begegnete er den Fragen der Zeit voll Anteil¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322865"/> <fw type="header" place="top"> Grimmelshausen und der Simplizins Simplizissimus</fw><lb/> <p xml:id="ID_2327"> Dabei nehmen im „Simplizissimus" die innersten Gedankengänge zuletzt<lb/> eine religiöse Wendung, ähnlich wie später im „Wilhelm Meister" Goethes die<lb/> Unrast eines strebenden Wanderlebens in den Frieden einer mystisch verklärten<lb/> Erlösung aufschwingt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2328"> Für Grimmelshausen wie für seine ganze Zeit gipfelt die Frage nach dem<lb/> Sinn des Lebens schließlich in der Kardinalfrage nach dem Verhältnis des<lb/> Menschen zu Gott, wobei Gott als ein der Welt Entgegengesetztes aufgefaßt<lb/> wird; denn die Welt ist das Ungöttliche, das Gottfeindliche, kurzum der Teufel.</p><lb/> <p xml:id="ID_2329"> Vom Glauben an den Teufel kann sich auch Grimmelshausen trotz seiner<lb/> Aufgeklärtheit und mancher Zweifel, nicht völlig frei machen. Und mit dem<lb/> Höllenfürsten zieht das ganze Heer abergläubischer Vorstellungen in die Erzählung<lb/> ein, die auch nach dieser Seite hin die Anschauungen jener Zeit ausgiebig zur<lb/> Darstellung bringt. Aber als positives Gegenspiel all dieser Gedankengänge<lb/> kommt der ethisch-religiöse Zug in den letzten Partien des „Simplizins" un¬<lb/> gebrochen zum Ausdruck, während der Roman vorher seinen eigentlichen<lb/> moralischen Gehalt im Kampf zwischen Gut und Böse und in dem Zurechtfinden<lb/> aus der Verirrung erweist. Dabei tut sich der Autor unter dem Druck seiner<lb/> moralischen Absichten in der Gestaltung von derben und brutalen Vorgängen<lb/> keinen Zwang an. Der ihm innewohnende Drang zu bessern erlaubt ihm,<lb/> kräftig aä ooulos zu demonstrieren und den Maßstab ästhetischer Forderungen<lb/> zugunsten seiner Tendenz zu ignorieren. Er kann grobe Dinge nicht mit feinen<lb/> Worten sagen, und das Bewußtsein seiner inneren Gesundheit und Lauterkeit<lb/> gibt ihm anderseits ein Recht, das Rohe und Niedrige seiner Zeit und seiner<lb/> Menschen nicht nur ungeschminkt darzustellen, sondern es mit einem gewissen<lb/> Behagen auszumalen und humoristisch-satirisch zu akzentuieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_2330"> Die theologischen Gedankengänge, wie sie Grimmelshausen bei seinem<lb/> Simplizius aufdeckt, können deutlich auf die Einwirkung gewisser Schriften zurück¬<lb/> geführt werden, während ihm sonst in allen Verhältnissen das Leben als oberste<lb/> Lehrmeisterin für sich und seine schriftstellerische Produktion gegolten hat. Da¬<lb/> neben war seine Lektüre ausgebreitet und erstreckte sich auf die verschiedensten<lb/> Gebiete.</p><lb/> <p xml:id="ID_2331" next="#ID_2332"> Aber vor allen Dingen begegnete er den Fragen der Zeit voll Anteil¬<lb/> nahme. Als Soldat hatten ihn all die technischen Mittel des Befestigungswesens,<lb/> der Pulverfabrikation usw. interessiert. Unter den Bauern lebend reizten ihn<lb/> national-ökonomische Probleme, und er sah den Weg zur Beförderung des<lb/> Wohls der Gesamtheit in einer kommunistischen Verwaltung, wie er sie den<lb/> Simplizissimus bei den widertäuferischen Kolonisten bewundern läßt (Buch V,<lb/> Kap. 19). — In politischen und nationalen Dingen hoffte er alle Gesundung<lb/> von einem Parlament, in welches jede Stadt ihre zwei klügsten Männer ab¬<lb/> ordnen sollte. Zur Förderung und Erhaltung der religiösen Eintracht war er<lb/> für die Aufhebung aller konfessionellen Zänkereien zugunsten einer christlichen<lb/> Einheitsreligion. Den Bestrebungen der Sprachgesellschaften wandte er sich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0463]
Grimmelshausen und der Simplizins Simplizissimus
Dabei nehmen im „Simplizissimus" die innersten Gedankengänge zuletzt
eine religiöse Wendung, ähnlich wie später im „Wilhelm Meister" Goethes die
Unrast eines strebenden Wanderlebens in den Frieden einer mystisch verklärten
Erlösung aufschwingt.
Für Grimmelshausen wie für seine ganze Zeit gipfelt die Frage nach dem
Sinn des Lebens schließlich in der Kardinalfrage nach dem Verhältnis des
Menschen zu Gott, wobei Gott als ein der Welt Entgegengesetztes aufgefaßt
wird; denn die Welt ist das Ungöttliche, das Gottfeindliche, kurzum der Teufel.
Vom Glauben an den Teufel kann sich auch Grimmelshausen trotz seiner
Aufgeklärtheit und mancher Zweifel, nicht völlig frei machen. Und mit dem
Höllenfürsten zieht das ganze Heer abergläubischer Vorstellungen in die Erzählung
ein, die auch nach dieser Seite hin die Anschauungen jener Zeit ausgiebig zur
Darstellung bringt. Aber als positives Gegenspiel all dieser Gedankengänge
kommt der ethisch-religiöse Zug in den letzten Partien des „Simplizins" un¬
gebrochen zum Ausdruck, während der Roman vorher seinen eigentlichen
moralischen Gehalt im Kampf zwischen Gut und Böse und in dem Zurechtfinden
aus der Verirrung erweist. Dabei tut sich der Autor unter dem Druck seiner
moralischen Absichten in der Gestaltung von derben und brutalen Vorgängen
keinen Zwang an. Der ihm innewohnende Drang zu bessern erlaubt ihm,
kräftig aä ooulos zu demonstrieren und den Maßstab ästhetischer Forderungen
zugunsten seiner Tendenz zu ignorieren. Er kann grobe Dinge nicht mit feinen
Worten sagen, und das Bewußtsein seiner inneren Gesundheit und Lauterkeit
gibt ihm anderseits ein Recht, das Rohe und Niedrige seiner Zeit und seiner
Menschen nicht nur ungeschminkt darzustellen, sondern es mit einem gewissen
Behagen auszumalen und humoristisch-satirisch zu akzentuieren.
Die theologischen Gedankengänge, wie sie Grimmelshausen bei seinem
Simplizius aufdeckt, können deutlich auf die Einwirkung gewisser Schriften zurück¬
geführt werden, während ihm sonst in allen Verhältnissen das Leben als oberste
Lehrmeisterin für sich und seine schriftstellerische Produktion gegolten hat. Da¬
neben war seine Lektüre ausgebreitet und erstreckte sich auf die verschiedensten
Gebiete.
Aber vor allen Dingen begegnete er den Fragen der Zeit voll Anteil¬
nahme. Als Soldat hatten ihn all die technischen Mittel des Befestigungswesens,
der Pulverfabrikation usw. interessiert. Unter den Bauern lebend reizten ihn
national-ökonomische Probleme, und er sah den Weg zur Beförderung des
Wohls der Gesamtheit in einer kommunistischen Verwaltung, wie er sie den
Simplizissimus bei den widertäuferischen Kolonisten bewundern läßt (Buch V,
Kap. 19). — In politischen und nationalen Dingen hoffte er alle Gesundung
von einem Parlament, in welches jede Stadt ihre zwei klügsten Männer ab¬
ordnen sollte. Zur Förderung und Erhaltung der religiösen Eintracht war er
für die Aufhebung aller konfessionellen Zänkereien zugunsten einer christlichen
Einheitsreligion. Den Bestrebungen der Sprachgesellschaften wandte er sich
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |