Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Grimmelshausen und der Simplizius Simplizissimus Leider wurde Grimmelshausen in seinem Amte nicht alt. Im Jahre 1676 Wir haben gelegentlich erwähnt, daß Grimmelshausen immerdar Gelegenheit Das gibt auch seiner Satire einen Einschlag von Toleranz und führte Eines freilich ging ihm wie seiner Zeit ab: die verehrende Erhöhung des Aus diesem Mangel an weiblicher Weichheit erklärt sich auch die im all¬ Grimmelshausen und der Simplizius Simplizissimus Leider wurde Grimmelshausen in seinem Amte nicht alt. Im Jahre 1676 Wir haben gelegentlich erwähnt, daß Grimmelshausen immerdar Gelegenheit Das gibt auch seiner Satire einen Einschlag von Toleranz und führte Eines freilich ging ihm wie seiner Zeit ab: die verehrende Erhöhung des Aus diesem Mangel an weiblicher Weichheit erklärt sich auch die im all¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322864"/> <fw type="header" place="top"> Grimmelshausen und der Simplizius Simplizissimus</fw><lb/> <p xml:id="ID_2322"> Leider wurde Grimmelshausen in seinem Amte nicht alt. Im Jahre 1676<lb/> — er war erst in den Fünfzigern — trat der Tod an ihn heran. AIs<lb/> damals die Franzosen ins Breisgau und die Schwarzwaldtäler einbrachen, litt<lb/> es den Grimmelshcmser nicht hinterm Tintenfaß und in der Stube. Seine<lb/> Familie flüchtete gleich vielen anderen in die Berge; er aber ließ sich als<lb/> Soldat in die Liste schreiben, um nochmals wie in der Jugend ins Feld zu<lb/> ziehen. Da schlug ihm, wohl rasch und unerwartet, der harte Ritter Tod das<lb/> Schwert aus der Hand. Aus der Verborgenheit eilten die Söhne ans Sterbe¬<lb/> lager des Vaters, der mit den Sakramenten der katholischen Kirche versehen,<lb/> am 16. August 1676 von dieser Welt ging.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_2323"> Wir haben gelegentlich erwähnt, daß Grimmelshausen immerdar Gelegenheit<lb/> genommen hat, seine Bildung zu erweitern und zu vertiefen. In den wilden<lb/> Zeitläuften seiner Jugend hatte er den Schulsack nicht schwer mit Kenntnissen<lb/> bepacken können. Aber nachdem ihm Krieg und Frieden vielerlei menschliche<lb/> Situationen vor Augen geführt hatten, drängte es ihn, auch den inneren Zu¬<lb/> sammenhang der Dinge zu erfassen und sich ein geistiges Weltbild zu erwerben.<lb/> Von diesem Trieb beseelt gelang es ihm, sich einen Standpunkt zu verschaffen,<lb/> von dem aus er alles Menschliche ohne richtenden Eifer voll Verständnis<lb/> betrachtete.</p><lb/> <p xml:id="ID_2324"> Das gibt auch seiner Satire einen Einschlag von Toleranz und führte<lb/> ihn dazu, selbst das Grauenvolle noch mit dem Schimmer seines Humors zu<lb/> umstrahlen. Auf Grund dieser persönlichen Sicherheit und Geschlossenheit, die<lb/> auch den: Schmerzlichen die Stirne bietet und keine feigen Ausflüchte sucht,<lb/> durfte er dem Simplizius das Motto voransetzen: „Es hat mir so wollen<lb/> behagen, Mit Lachen die Wahrheit zu sagen." Ein süß-sentimentaler sogenannter<lb/> Humor kommt dabei freilich nicht heraus, sondern ein geistiges Überwinden der<lb/> Lebensnot, welche als solche anerkannt und durchaus nicht hinweggeweint oder<lb/> -gelächelt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_2325"> Eines freilich ging ihm wie seiner Zeit ab: die verehrende Erhöhung des<lb/> Weibes. Die Frau wird für ihn kein Gegenstand erhabener Gefühle, kein Ziel<lb/> und keine Erfüllung innerer Wünsche. Sie ist häufig ein Objekt des Spottes<lb/> und derber Scherze, oft die Verkörperung des Leichtfertigen und Unbeständigen,<lb/> und im besten Falle bloß die Gehilfin des Mannes und die Befriedigung<lb/> seiner Lust.</p><lb/> <p xml:id="ID_2326"> Aus diesem Mangel an weiblicher Weichheit erklärt sich auch die im all¬<lb/> gemeinen scharfe und unzimperliche Luft, welche im ganzen Buche weht, die<lb/> Freude am kräftigen Witz, an der rohen Gebärde, an der hanebüchenen<lb/> Situation, aber auch die starke Männlichkeit, das gesunde und urkräftige Lachen<lb/> und im letzten Ende der ungebrochene Humor.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0462]
Grimmelshausen und der Simplizius Simplizissimus
Leider wurde Grimmelshausen in seinem Amte nicht alt. Im Jahre 1676
— er war erst in den Fünfzigern — trat der Tod an ihn heran. AIs
damals die Franzosen ins Breisgau und die Schwarzwaldtäler einbrachen, litt
es den Grimmelshcmser nicht hinterm Tintenfaß und in der Stube. Seine
Familie flüchtete gleich vielen anderen in die Berge; er aber ließ sich als
Soldat in die Liste schreiben, um nochmals wie in der Jugend ins Feld zu
ziehen. Da schlug ihm, wohl rasch und unerwartet, der harte Ritter Tod das
Schwert aus der Hand. Aus der Verborgenheit eilten die Söhne ans Sterbe¬
lager des Vaters, der mit den Sakramenten der katholischen Kirche versehen,
am 16. August 1676 von dieser Welt ging.
Wir haben gelegentlich erwähnt, daß Grimmelshausen immerdar Gelegenheit
genommen hat, seine Bildung zu erweitern und zu vertiefen. In den wilden
Zeitläuften seiner Jugend hatte er den Schulsack nicht schwer mit Kenntnissen
bepacken können. Aber nachdem ihm Krieg und Frieden vielerlei menschliche
Situationen vor Augen geführt hatten, drängte es ihn, auch den inneren Zu¬
sammenhang der Dinge zu erfassen und sich ein geistiges Weltbild zu erwerben.
Von diesem Trieb beseelt gelang es ihm, sich einen Standpunkt zu verschaffen,
von dem aus er alles Menschliche ohne richtenden Eifer voll Verständnis
betrachtete.
Das gibt auch seiner Satire einen Einschlag von Toleranz und führte
ihn dazu, selbst das Grauenvolle noch mit dem Schimmer seines Humors zu
umstrahlen. Auf Grund dieser persönlichen Sicherheit und Geschlossenheit, die
auch den: Schmerzlichen die Stirne bietet und keine feigen Ausflüchte sucht,
durfte er dem Simplizius das Motto voransetzen: „Es hat mir so wollen
behagen, Mit Lachen die Wahrheit zu sagen." Ein süß-sentimentaler sogenannter
Humor kommt dabei freilich nicht heraus, sondern ein geistiges Überwinden der
Lebensnot, welche als solche anerkannt und durchaus nicht hinweggeweint oder
-gelächelt wird.
Eines freilich ging ihm wie seiner Zeit ab: die verehrende Erhöhung des
Weibes. Die Frau wird für ihn kein Gegenstand erhabener Gefühle, kein Ziel
und keine Erfüllung innerer Wünsche. Sie ist häufig ein Objekt des Spottes
und derber Scherze, oft die Verkörperung des Leichtfertigen und Unbeständigen,
und im besten Falle bloß die Gehilfin des Mannes und die Befriedigung
seiner Lust.
Aus diesem Mangel an weiblicher Weichheit erklärt sich auch die im all¬
gemeinen scharfe und unzimperliche Luft, welche im ganzen Buche weht, die
Freude am kräftigen Witz, an der rohen Gebärde, an der hanebüchenen
Situation, aber auch die starke Männlichkeit, das gesunde und urkräftige Lachen
und im letzten Ende der ungebrochene Humor.
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