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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Grimmelshausen und der Simplizms Simplizissimus

Berufsmöglichkeit frei wurde. Da erinnerte sich sein alter Gönner Hans Reinhard
von Schauenburg an ihn und holte ihn zu sich.

Nur wenige Meilen nördlich von Offenburg liegt, zum Renchtal hernieder¬
blickend, der Stammsitz der Schaumburgs, auf einem Bergvorsprung über dem
kleinen Dorf Gaisbach; und dahin kam Grimmelshausen sozusagen als Militär¬
anwärter in die Zivilstellung eines freiherrlichen Schaffners oder Verwalters,
als welcher er sich seinem freundschaftlich gesinnten Herrn auf vielfältige Weise
nützlich zu machen wußte. Für die guten Beziehungen zwischen ihm und seiner
Herrschaft spricht der Umstand, daß das Fräulein von Schauenburg -im Jahre
1652 Patinstelle bei einer Tochter Grimmelshausens übernahm, die nach ihr
Anna Dorothea getauft wurde.

Im Jahre 1662 übernahm er für drei Jahre ein ähnliches Verwalteramt
auf der nahen, jetzt verschwundenen Ulenburg, welche dem Straßburger Arzt
Dr. Job. Kuffer gehörte. Dann kehrte er wieder nach Gaisbach zurück und
führte von 1665 an die Schauenburgische Wirtschaft "Zum silbernen Stern";
in dieser Stellung wie vorher nützte er alle Gelegenheit, in der neuen Um¬
gebung festen Fuß zu fassen. Es gelang ihm auch, sich Grundbesitz zu erwerben,
wie beispielsweise das Gaisbacher Spitalgut in seine Hände kam.

So trat er in immer engere Fühlung mit der einheimischen Landbevölkerung.
Er lernte ihre Sitten und Bräuche kennen und lauschte voll Aufmerksamkeit ihren
Erzählungen, ihren Schwänken, Sagen und Märchen. Auch die umgebende
Bergwelt blieb ihm nicht stumm. Er stieg -- damals ein selten Ding -- zu
ihren Höhen hinauf und weidete sich den Blick im großen Rundumschauen.
Auf der hohen Mooß ist er gewesen und den Mummelsee im Gebiet der Hornis-
grinde hat er um seiner Merkwürdigkeit willen sicher besucht.

Als Anno 1667 die bischöflich Straßburgische Regierung, zu deren Gebiet
das Städtlein Neunheil gehörte, der Kündigung ihres damaligen Schultheißen
Elias Gott willfahrte, erwählte sie Grimmelshausen auf dessen Bewerbung hin
zum Nachfolger. Es mag sein, daß Reinhard von Schauenburg, der zu den
elsässischen Freiherrn von Fleckenstein in verwandtschaftlichen Beziehungen stand,
dabei ein günstiges Wort für ihn einlegte; jedenfalls erwies sich der Schwieger¬
vater Grimmelshausens als Empfehlung, der Zaberner Spitalschaffner und
Ratsherr Henninger, welcher sich bereit erklärte, Bürge für seinen Eidam zu
sein, da dieser vor Antritt des neuen Amtes seinen Gaisbacher Grundbesitz als
Kaution verpfänden mußte.

So wurde also Grimmelshausen im Juli 1667 Schultheiß, oder wie es
lateinisch hieß "prätor" der Stadt Renchen. Aus seiner Amtszeit ist eine
Mühlenordnung erhalten, vom 13. Okt. 1667 datiert, von der eine Kopie im
Renchener Rathaus behütet wird. In Renchen ist später noch einer seiner
Söhne als kaiserlicher Postmeister nachweisbar. Doch erlosch das Geschlecht in
der männlichen Linie, während von der weiblichen jetzt noch Nachkommen im
Badischen leben.


Grimmelshausen und der Simplizms Simplizissimus

Berufsmöglichkeit frei wurde. Da erinnerte sich sein alter Gönner Hans Reinhard
von Schauenburg an ihn und holte ihn zu sich.

Nur wenige Meilen nördlich von Offenburg liegt, zum Renchtal hernieder¬
blickend, der Stammsitz der Schaumburgs, auf einem Bergvorsprung über dem
kleinen Dorf Gaisbach; und dahin kam Grimmelshausen sozusagen als Militär¬
anwärter in die Zivilstellung eines freiherrlichen Schaffners oder Verwalters,
als welcher er sich seinem freundschaftlich gesinnten Herrn auf vielfältige Weise
nützlich zu machen wußte. Für die guten Beziehungen zwischen ihm und seiner
Herrschaft spricht der Umstand, daß das Fräulein von Schauenburg -im Jahre
1652 Patinstelle bei einer Tochter Grimmelshausens übernahm, die nach ihr
Anna Dorothea getauft wurde.

Im Jahre 1662 übernahm er für drei Jahre ein ähnliches Verwalteramt
auf der nahen, jetzt verschwundenen Ulenburg, welche dem Straßburger Arzt
Dr. Job. Kuffer gehörte. Dann kehrte er wieder nach Gaisbach zurück und
führte von 1665 an die Schauenburgische Wirtschaft „Zum silbernen Stern";
in dieser Stellung wie vorher nützte er alle Gelegenheit, in der neuen Um¬
gebung festen Fuß zu fassen. Es gelang ihm auch, sich Grundbesitz zu erwerben,
wie beispielsweise das Gaisbacher Spitalgut in seine Hände kam.

So trat er in immer engere Fühlung mit der einheimischen Landbevölkerung.
Er lernte ihre Sitten und Bräuche kennen und lauschte voll Aufmerksamkeit ihren
Erzählungen, ihren Schwänken, Sagen und Märchen. Auch die umgebende
Bergwelt blieb ihm nicht stumm. Er stieg — damals ein selten Ding — zu
ihren Höhen hinauf und weidete sich den Blick im großen Rundumschauen.
Auf der hohen Mooß ist er gewesen und den Mummelsee im Gebiet der Hornis-
grinde hat er um seiner Merkwürdigkeit willen sicher besucht.

Als Anno 1667 die bischöflich Straßburgische Regierung, zu deren Gebiet
das Städtlein Neunheil gehörte, der Kündigung ihres damaligen Schultheißen
Elias Gott willfahrte, erwählte sie Grimmelshausen auf dessen Bewerbung hin
zum Nachfolger. Es mag sein, daß Reinhard von Schauenburg, der zu den
elsässischen Freiherrn von Fleckenstein in verwandtschaftlichen Beziehungen stand,
dabei ein günstiges Wort für ihn einlegte; jedenfalls erwies sich der Schwieger¬
vater Grimmelshausens als Empfehlung, der Zaberner Spitalschaffner und
Ratsherr Henninger, welcher sich bereit erklärte, Bürge für seinen Eidam zu
sein, da dieser vor Antritt des neuen Amtes seinen Gaisbacher Grundbesitz als
Kaution verpfänden mußte.

So wurde also Grimmelshausen im Juli 1667 Schultheiß, oder wie es
lateinisch hieß „prätor" der Stadt Renchen. Aus seiner Amtszeit ist eine
Mühlenordnung erhalten, vom 13. Okt. 1667 datiert, von der eine Kopie im
Renchener Rathaus behütet wird. In Renchen ist später noch einer seiner
Söhne als kaiserlicher Postmeister nachweisbar. Doch erlosch das Geschlecht in
der männlichen Linie, während von der weiblichen jetzt noch Nachkommen im
Badischen leben.


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[0461] Grimmelshausen und der Simplizms Simplizissimus Berufsmöglichkeit frei wurde. Da erinnerte sich sein alter Gönner Hans Reinhard von Schauenburg an ihn und holte ihn zu sich. Nur wenige Meilen nördlich von Offenburg liegt, zum Renchtal hernieder¬ blickend, der Stammsitz der Schaumburgs, auf einem Bergvorsprung über dem kleinen Dorf Gaisbach; und dahin kam Grimmelshausen sozusagen als Militär¬ anwärter in die Zivilstellung eines freiherrlichen Schaffners oder Verwalters, als welcher er sich seinem freundschaftlich gesinnten Herrn auf vielfältige Weise nützlich zu machen wußte. Für die guten Beziehungen zwischen ihm und seiner Herrschaft spricht der Umstand, daß das Fräulein von Schauenburg -im Jahre 1652 Patinstelle bei einer Tochter Grimmelshausens übernahm, die nach ihr Anna Dorothea getauft wurde. Im Jahre 1662 übernahm er für drei Jahre ein ähnliches Verwalteramt auf der nahen, jetzt verschwundenen Ulenburg, welche dem Straßburger Arzt Dr. Job. Kuffer gehörte. Dann kehrte er wieder nach Gaisbach zurück und führte von 1665 an die Schauenburgische Wirtschaft „Zum silbernen Stern"; in dieser Stellung wie vorher nützte er alle Gelegenheit, in der neuen Um¬ gebung festen Fuß zu fassen. Es gelang ihm auch, sich Grundbesitz zu erwerben, wie beispielsweise das Gaisbacher Spitalgut in seine Hände kam. So trat er in immer engere Fühlung mit der einheimischen Landbevölkerung. Er lernte ihre Sitten und Bräuche kennen und lauschte voll Aufmerksamkeit ihren Erzählungen, ihren Schwänken, Sagen und Märchen. Auch die umgebende Bergwelt blieb ihm nicht stumm. Er stieg — damals ein selten Ding — zu ihren Höhen hinauf und weidete sich den Blick im großen Rundumschauen. Auf der hohen Mooß ist er gewesen und den Mummelsee im Gebiet der Hornis- grinde hat er um seiner Merkwürdigkeit willen sicher besucht. Als Anno 1667 die bischöflich Straßburgische Regierung, zu deren Gebiet das Städtlein Neunheil gehörte, der Kündigung ihres damaligen Schultheißen Elias Gott willfahrte, erwählte sie Grimmelshausen auf dessen Bewerbung hin zum Nachfolger. Es mag sein, daß Reinhard von Schauenburg, der zu den elsässischen Freiherrn von Fleckenstein in verwandtschaftlichen Beziehungen stand, dabei ein günstiges Wort für ihn einlegte; jedenfalls erwies sich der Schwieger¬ vater Grimmelshausens als Empfehlung, der Zaberner Spitalschaffner und Ratsherr Henninger, welcher sich bereit erklärte, Bürge für seinen Eidam zu sein, da dieser vor Antritt des neuen Amtes seinen Gaisbacher Grundbesitz als Kaution verpfänden mußte. So wurde also Grimmelshausen im Juli 1667 Schultheiß, oder wie es lateinisch hieß „prätor" der Stadt Renchen. Aus seiner Amtszeit ist eine Mühlenordnung erhalten, vom 13. Okt. 1667 datiert, von der eine Kopie im Renchener Rathaus behütet wird. In Renchen ist später noch einer seiner Söhne als kaiserlicher Postmeister nachweisbar. Doch erlosch das Geschlecht in der männlichen Linie, während von der weiblichen jetzt noch Nachkommen im Badischen leben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/461>, abgerufen am 15.01.2025.