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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Grimmelshausen und der Simplizins Simplizisfimus

Ende 1638 finden wir ihn als jungen Musketier in Offenburg, und von
da an datiert ein bedeutungsvoller Abschnitt seines Lebens, indem er von nun
an ständig in Mittelbaden bleibt und sich hier eine neue Heimat erwirbt.

Durch einen Zufall scheint es ihm gelungen zu sein, die Aufmerksamkeit
des Stadtkommandanten auf sich zu lenken. Ende 1638 war es, als Herzog
Bernhard von Weimar sich nach der Eroberung von Breisach anschickte, auch
Offenburg zu belagern, worin damals Johann Reinhard Freiherr von Schauen¬
burg als kaiserlicher Oberst kommandierte. Daselbst fing man just um diese
Zeit im Mühlbach ein Platteißlein, d. i. eine Steinbutte, was in jenen Gegenden
ein ungewöhnlicher Fang ist, den die Fischer eben darum dem besagten Obristen
zum Präsent machten; und dieser ließ sich den raren Fisch schmecken. Der junge
Musketier Grimmelshausen aber wurde durch den merkwürdigen Vorgang zu
der Prophezeiung veranlaßt: die Stadt Offenburg werde nicht eingenommen
werden, solange der Oberst Schauenburg lebe und darin kommandiere.-- Der
Erfolg hat ihm recht gegeben. Jener Überfall Bernhards von Weimar wurde
glücklich abgewehrt, und Offenburg entwickelte sich unter Johann Reinhard
von Schaumburgs Leitung zu einer starken Festung, die während der folgenden
Kriegsjahre standhaft allen Stürmen trotzte.

Grimmelshausen aber scheint sich durch seinen Ausspruch die Gunst des
Kommandanten erworben zu haben, der sich wohl, wie die ganze Soldateska
jener Zeit, dem Zauber der Wahrsagungen, Sterndeutern usw. nicht entzog.
Zunächst wurde er dessen Negimentssekretär und schrieb von da an manchen
Brief an den obersten Kriegsherrn der katholischen Partei, Herzog Maximilian
von Bayern, nach München, wo diese Schriftstücke im Neichsarchiv noch der
Bearbeitung harren. Als Schauenburg daran ging, Offenburg zu befestigen,
war Grimmelshausen wiederum ein geschickter Helfer. Unter anderem hatte er
sich offenbar auch mit dem Fortifikationswesen befaßt und war dadurch instant
gesetzt, einen Plan der Stadt Offenburg mit ihren Werken und Gräben zu
zeichnen, der ebenfalls noch in München bewahrt wird.

Schauenburg verließ 1647 den Ort seiner bisherigen Wirksamkeit, und
Grimmelshausen trat in das Regiment des Oberstleutnants Joh. Burkard von
Elter ein, und zwar wiederum als Regimentssekretär oder Musterschreiber.

Damals ist er, der Sprößling eines lutherischen Geschlechts, zum Katho¬
lizismus übergetreten, jedoch ohne dadurch seinen freien Blick und seine tolerante
Stellungnahme in religiösen Dingen aufzugeben. Unter die äußeren Gründe,
welche ihn zu diesem Konfessionswechsel veranlaßt haben, gehörten wohl auch
seine Beziehungen zu der im Jahre 1628 geborenen Wachtmeisterstochter
Katharina Henninger, deren Vater ebenfalls zur Offenburger Besatzung zählte.
Am 30. August 1649 wurde zwischen den beiden jungen Leuten die Ehe voll¬
zogen, welcher im Laufe der Jahre zehn Kinder entsproßten.

Inzwischen war der westfälische Friede geschlossen und bald danach das
Eltersche Regiment aufgelöst worden, wodurch Grimmelshausen für eine andere


Grenzboten IV 1912 68
Grimmelshausen und der Simplizins Simplizisfimus

Ende 1638 finden wir ihn als jungen Musketier in Offenburg, und von
da an datiert ein bedeutungsvoller Abschnitt seines Lebens, indem er von nun
an ständig in Mittelbaden bleibt und sich hier eine neue Heimat erwirbt.

Durch einen Zufall scheint es ihm gelungen zu sein, die Aufmerksamkeit
des Stadtkommandanten auf sich zu lenken. Ende 1638 war es, als Herzog
Bernhard von Weimar sich nach der Eroberung von Breisach anschickte, auch
Offenburg zu belagern, worin damals Johann Reinhard Freiherr von Schauen¬
burg als kaiserlicher Oberst kommandierte. Daselbst fing man just um diese
Zeit im Mühlbach ein Platteißlein, d. i. eine Steinbutte, was in jenen Gegenden
ein ungewöhnlicher Fang ist, den die Fischer eben darum dem besagten Obristen
zum Präsent machten; und dieser ließ sich den raren Fisch schmecken. Der junge
Musketier Grimmelshausen aber wurde durch den merkwürdigen Vorgang zu
der Prophezeiung veranlaßt: die Stadt Offenburg werde nicht eingenommen
werden, solange der Oberst Schauenburg lebe und darin kommandiere.— Der
Erfolg hat ihm recht gegeben. Jener Überfall Bernhards von Weimar wurde
glücklich abgewehrt, und Offenburg entwickelte sich unter Johann Reinhard
von Schaumburgs Leitung zu einer starken Festung, die während der folgenden
Kriegsjahre standhaft allen Stürmen trotzte.

Grimmelshausen aber scheint sich durch seinen Ausspruch die Gunst des
Kommandanten erworben zu haben, der sich wohl, wie die ganze Soldateska
jener Zeit, dem Zauber der Wahrsagungen, Sterndeutern usw. nicht entzog.
Zunächst wurde er dessen Negimentssekretär und schrieb von da an manchen
Brief an den obersten Kriegsherrn der katholischen Partei, Herzog Maximilian
von Bayern, nach München, wo diese Schriftstücke im Neichsarchiv noch der
Bearbeitung harren. Als Schauenburg daran ging, Offenburg zu befestigen,
war Grimmelshausen wiederum ein geschickter Helfer. Unter anderem hatte er
sich offenbar auch mit dem Fortifikationswesen befaßt und war dadurch instant
gesetzt, einen Plan der Stadt Offenburg mit ihren Werken und Gräben zu
zeichnen, der ebenfalls noch in München bewahrt wird.

Schauenburg verließ 1647 den Ort seiner bisherigen Wirksamkeit, und
Grimmelshausen trat in das Regiment des Oberstleutnants Joh. Burkard von
Elter ein, und zwar wiederum als Regimentssekretär oder Musterschreiber.

Damals ist er, der Sprößling eines lutherischen Geschlechts, zum Katho¬
lizismus übergetreten, jedoch ohne dadurch seinen freien Blick und seine tolerante
Stellungnahme in religiösen Dingen aufzugeben. Unter die äußeren Gründe,
welche ihn zu diesem Konfessionswechsel veranlaßt haben, gehörten wohl auch
seine Beziehungen zu der im Jahre 1628 geborenen Wachtmeisterstochter
Katharina Henninger, deren Vater ebenfalls zur Offenburger Besatzung zählte.
Am 30. August 1649 wurde zwischen den beiden jungen Leuten die Ehe voll¬
zogen, welcher im Laufe der Jahre zehn Kinder entsproßten.

Inzwischen war der westfälische Friede geschlossen und bald danach das
Eltersche Regiment aufgelöst worden, wodurch Grimmelshausen für eine andere


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[0460] Grimmelshausen und der Simplizins Simplizisfimus Ende 1638 finden wir ihn als jungen Musketier in Offenburg, und von da an datiert ein bedeutungsvoller Abschnitt seines Lebens, indem er von nun an ständig in Mittelbaden bleibt und sich hier eine neue Heimat erwirbt. Durch einen Zufall scheint es ihm gelungen zu sein, die Aufmerksamkeit des Stadtkommandanten auf sich zu lenken. Ende 1638 war es, als Herzog Bernhard von Weimar sich nach der Eroberung von Breisach anschickte, auch Offenburg zu belagern, worin damals Johann Reinhard Freiherr von Schauen¬ burg als kaiserlicher Oberst kommandierte. Daselbst fing man just um diese Zeit im Mühlbach ein Platteißlein, d. i. eine Steinbutte, was in jenen Gegenden ein ungewöhnlicher Fang ist, den die Fischer eben darum dem besagten Obristen zum Präsent machten; und dieser ließ sich den raren Fisch schmecken. Der junge Musketier Grimmelshausen aber wurde durch den merkwürdigen Vorgang zu der Prophezeiung veranlaßt: die Stadt Offenburg werde nicht eingenommen werden, solange der Oberst Schauenburg lebe und darin kommandiere.— Der Erfolg hat ihm recht gegeben. Jener Überfall Bernhards von Weimar wurde glücklich abgewehrt, und Offenburg entwickelte sich unter Johann Reinhard von Schaumburgs Leitung zu einer starken Festung, die während der folgenden Kriegsjahre standhaft allen Stürmen trotzte. Grimmelshausen aber scheint sich durch seinen Ausspruch die Gunst des Kommandanten erworben zu haben, der sich wohl, wie die ganze Soldateska jener Zeit, dem Zauber der Wahrsagungen, Sterndeutern usw. nicht entzog. Zunächst wurde er dessen Negimentssekretär und schrieb von da an manchen Brief an den obersten Kriegsherrn der katholischen Partei, Herzog Maximilian von Bayern, nach München, wo diese Schriftstücke im Neichsarchiv noch der Bearbeitung harren. Als Schauenburg daran ging, Offenburg zu befestigen, war Grimmelshausen wiederum ein geschickter Helfer. Unter anderem hatte er sich offenbar auch mit dem Fortifikationswesen befaßt und war dadurch instant gesetzt, einen Plan der Stadt Offenburg mit ihren Werken und Gräben zu zeichnen, der ebenfalls noch in München bewahrt wird. Schauenburg verließ 1647 den Ort seiner bisherigen Wirksamkeit, und Grimmelshausen trat in das Regiment des Oberstleutnants Joh. Burkard von Elter ein, und zwar wiederum als Regimentssekretär oder Musterschreiber. Damals ist er, der Sprößling eines lutherischen Geschlechts, zum Katho¬ lizismus übergetreten, jedoch ohne dadurch seinen freien Blick und seine tolerante Stellungnahme in religiösen Dingen aufzugeben. Unter die äußeren Gründe, welche ihn zu diesem Konfessionswechsel veranlaßt haben, gehörten wohl auch seine Beziehungen zu der im Jahre 1628 geborenen Wachtmeisterstochter Katharina Henninger, deren Vater ebenfalls zur Offenburger Besatzung zählte. Am 30. August 1649 wurde zwischen den beiden jungen Leuten die Ehe voll¬ zogen, welcher im Laufe der Jahre zehn Kinder entsproßten. Inzwischen war der westfälische Friede geschlossen und bald danach das Eltersche Regiment aufgelöst worden, wodurch Grimmelshausen für eine andere Grenzboten IV 1912 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/460>, abgerufen am 15.01.2025.