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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Grimmelshausen und der Simplizius Simplizissimus

nannten. Im Jahre 1327 verkaufte dort Heinrich von Grymaltshusen seine
Güter und Fischereigerechtsame an ein benachbartes Kloster.

Dann tauchen Namensverwandte dieses Stammes in Hessen auf und zwar
in dem Städtchen Gelnhausen an der Kinzig. Hier erwirbt sich zufolge eineni
Eintrag von 1571 in einem Gelnhausener Kopialbuch Jörg Christof von Grimmels-
hausen, Zentgraf zu Reichenbach, eine Wohnung in der Haytzergasse. Die
adligen Herren von Grimmelshausen hatten sich inzwischen bürgerlichen Berufen
zugewandt, und Melchior von Grimmelshausen, der Großvater unseres Schrift¬
stellers -- der Simplizius heißt wohl nach ihm Melchior --, war als ehrsamer
Bäcker in Gelnhausen tätig. Der Vater Johannes erwarb sich als Bauersmann
seinen Lebensunterhalt, und der Humor, mit dem Simplizius gleich im ersten
Kapitel von seiner Herkunft berichtet, wo der Bauernhof zum Palast und die
rauchgeschwärzte Kammer zum Prunksaal wird, mag wohl aus dem Kontrast
zwischen dem rittermäßigen Namen und den dürftigen äußeren Verhältnissen
geflossen sein.

Hier also kam Jakob Christoph von Grimmelshausen zur Welt. Für das
Jahr seiner Geburt fehlen einwandfreie Angaben; man setzt es um 1622 oder
1625 fest.

Die frühen Jahre seiner Jugend verbrachte er noch in einem Frieden, in
den die Kriegstrompete nur von ferne ihre beunruhigenden Tone warf. In"
seiner Vaterstadt genoß er den ersten Schulunterricht, der ihm kaum mehr als
Lesen und Schreiben beibrachte. Da fuhr der Soldatenlärm auch über die
Wälder des Spessart und Vogelsberges und wälzte sich in das Tal der Kinzig.
Anno 1634 wurde Gelnhausen eingenommen und geplündert, die Einwohner
vertrieben oder getötet, und unser Knabe ward dem Troß einer kaiserlichen
Abteilung einverleibt. Am 25. März 1635 ward er von den Hessen gefangen
und nach Cassel geführt. Nun befand er sich mitten in dem Getriebe von
Soldaten, Offizieren, Troßbuben, Weibern, Marodebrüdern und Lomdstörzern,
deren Schicksale und Gestalten ihm den Stoff zu seinen späteren Schriftwerken
liefern sollten.*)

Wir müssen annehmen, daß der junge Grimmelshausen in den nächsten
Jahren als Musketier durch verschiedene Gegenden Deutschlands gezogen sei und
an manchem Gefecht teilgenommen habe. In einer vielzitierten Stelle seines
"satirischen Pilgram", wo er deutlich von sich spricht, heißt es: "Ohne Ruhm
zu melden, ich bin ehemalen auch dabei gewesen, da man einander das
Weiße im Auge beschaute." Vermutlich hat er unter anderem auch an der
Schlacht bei Wittstock am 24. September 1636 (alten Datums) teilgenommen,
die er im zweiten Buch des Simplizissimus, Kap. 27, außerordentlich lebendig
zu malen weiß.



*) Auch sein Bruder Caspar Christoph geriet unter die Fahne, denn wir treffen ihn
1S40 als Lspitain ä'armes zu Heman.
Grimmelshausen und der Simplizius Simplizissimus

nannten. Im Jahre 1327 verkaufte dort Heinrich von Grymaltshusen seine
Güter und Fischereigerechtsame an ein benachbartes Kloster.

Dann tauchen Namensverwandte dieses Stammes in Hessen auf und zwar
in dem Städtchen Gelnhausen an der Kinzig. Hier erwirbt sich zufolge eineni
Eintrag von 1571 in einem Gelnhausener Kopialbuch Jörg Christof von Grimmels-
hausen, Zentgraf zu Reichenbach, eine Wohnung in der Haytzergasse. Die
adligen Herren von Grimmelshausen hatten sich inzwischen bürgerlichen Berufen
zugewandt, und Melchior von Grimmelshausen, der Großvater unseres Schrift¬
stellers — der Simplizius heißt wohl nach ihm Melchior —, war als ehrsamer
Bäcker in Gelnhausen tätig. Der Vater Johannes erwarb sich als Bauersmann
seinen Lebensunterhalt, und der Humor, mit dem Simplizius gleich im ersten
Kapitel von seiner Herkunft berichtet, wo der Bauernhof zum Palast und die
rauchgeschwärzte Kammer zum Prunksaal wird, mag wohl aus dem Kontrast
zwischen dem rittermäßigen Namen und den dürftigen äußeren Verhältnissen
geflossen sein.

Hier also kam Jakob Christoph von Grimmelshausen zur Welt. Für das
Jahr seiner Geburt fehlen einwandfreie Angaben; man setzt es um 1622 oder
1625 fest.

Die frühen Jahre seiner Jugend verbrachte er noch in einem Frieden, in
den die Kriegstrompete nur von ferne ihre beunruhigenden Tone warf. In«
seiner Vaterstadt genoß er den ersten Schulunterricht, der ihm kaum mehr als
Lesen und Schreiben beibrachte. Da fuhr der Soldatenlärm auch über die
Wälder des Spessart und Vogelsberges und wälzte sich in das Tal der Kinzig.
Anno 1634 wurde Gelnhausen eingenommen und geplündert, die Einwohner
vertrieben oder getötet, und unser Knabe ward dem Troß einer kaiserlichen
Abteilung einverleibt. Am 25. März 1635 ward er von den Hessen gefangen
und nach Cassel geführt. Nun befand er sich mitten in dem Getriebe von
Soldaten, Offizieren, Troßbuben, Weibern, Marodebrüdern und Lomdstörzern,
deren Schicksale und Gestalten ihm den Stoff zu seinen späteren Schriftwerken
liefern sollten.*)

Wir müssen annehmen, daß der junge Grimmelshausen in den nächsten
Jahren als Musketier durch verschiedene Gegenden Deutschlands gezogen sei und
an manchem Gefecht teilgenommen habe. In einer vielzitierten Stelle seines
„satirischen Pilgram", wo er deutlich von sich spricht, heißt es: „Ohne Ruhm
zu melden, ich bin ehemalen auch dabei gewesen, da man einander das
Weiße im Auge beschaute." Vermutlich hat er unter anderem auch an der
Schlacht bei Wittstock am 24. September 1636 (alten Datums) teilgenommen,
die er im zweiten Buch des Simplizissimus, Kap. 27, außerordentlich lebendig
zu malen weiß.



*) Auch sein Bruder Caspar Christoph geriet unter die Fahne, denn wir treffen ihn
1S40 als Lspitain ä'armes zu Heman.
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[0459] Grimmelshausen und der Simplizius Simplizissimus nannten. Im Jahre 1327 verkaufte dort Heinrich von Grymaltshusen seine Güter und Fischereigerechtsame an ein benachbartes Kloster. Dann tauchen Namensverwandte dieses Stammes in Hessen auf und zwar in dem Städtchen Gelnhausen an der Kinzig. Hier erwirbt sich zufolge eineni Eintrag von 1571 in einem Gelnhausener Kopialbuch Jörg Christof von Grimmels- hausen, Zentgraf zu Reichenbach, eine Wohnung in der Haytzergasse. Die adligen Herren von Grimmelshausen hatten sich inzwischen bürgerlichen Berufen zugewandt, und Melchior von Grimmelshausen, der Großvater unseres Schrift¬ stellers — der Simplizius heißt wohl nach ihm Melchior —, war als ehrsamer Bäcker in Gelnhausen tätig. Der Vater Johannes erwarb sich als Bauersmann seinen Lebensunterhalt, und der Humor, mit dem Simplizius gleich im ersten Kapitel von seiner Herkunft berichtet, wo der Bauernhof zum Palast und die rauchgeschwärzte Kammer zum Prunksaal wird, mag wohl aus dem Kontrast zwischen dem rittermäßigen Namen und den dürftigen äußeren Verhältnissen geflossen sein. Hier also kam Jakob Christoph von Grimmelshausen zur Welt. Für das Jahr seiner Geburt fehlen einwandfreie Angaben; man setzt es um 1622 oder 1625 fest. Die frühen Jahre seiner Jugend verbrachte er noch in einem Frieden, in den die Kriegstrompete nur von ferne ihre beunruhigenden Tone warf. In« seiner Vaterstadt genoß er den ersten Schulunterricht, der ihm kaum mehr als Lesen und Schreiben beibrachte. Da fuhr der Soldatenlärm auch über die Wälder des Spessart und Vogelsberges und wälzte sich in das Tal der Kinzig. Anno 1634 wurde Gelnhausen eingenommen und geplündert, die Einwohner vertrieben oder getötet, und unser Knabe ward dem Troß einer kaiserlichen Abteilung einverleibt. Am 25. März 1635 ward er von den Hessen gefangen und nach Cassel geführt. Nun befand er sich mitten in dem Getriebe von Soldaten, Offizieren, Troßbuben, Weibern, Marodebrüdern und Lomdstörzern, deren Schicksale und Gestalten ihm den Stoff zu seinen späteren Schriftwerken liefern sollten.*) Wir müssen annehmen, daß der junge Grimmelshausen in den nächsten Jahren als Musketier durch verschiedene Gegenden Deutschlands gezogen sei und an manchem Gefecht teilgenommen habe. In einer vielzitierten Stelle seines „satirischen Pilgram", wo er deutlich von sich spricht, heißt es: „Ohne Ruhm zu melden, ich bin ehemalen auch dabei gewesen, da man einander das Weiße im Auge beschaute." Vermutlich hat er unter anderem auch an der Schlacht bei Wittstock am 24. September 1636 (alten Datums) teilgenommen, die er im zweiten Buch des Simplizissimus, Kap. 27, außerordentlich lebendig zu malen weiß. *) Auch sein Bruder Caspar Christoph geriet unter die Fahne, denn wir treffen ihn 1S40 als Lspitain ä'armes zu Heman.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/459>, abgerufen am 15.01.2025.