Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Grimmelshausen und der simplizius ^implizissimus
Dr, rv. L. Oeftering- von

n einem Brief vom 5. November 1670 an ihren Bruder, den
Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz, bat die Herzogin Sophie
von Hannover, er möge ihr den "Simplizius Simplizifsimus"
in Frankfurt besorgen, da man ihr diesen Roman angelegentlich
empfohlen habe. Sie erhielt auch den gewünschten Band zusammen
mit der Geschichte von der "Landstörzerin Courage" und einer Sendung pfälzischen
Weines, wofür sie sich am 10. Dezember bedankte und lustig bemerkte, die
"Courage" sei noch nie so stattlich beritten gewesen als diesmal, da sie auf
einem Faß daher gekommen sei. Über den Autor der beiden Erzählungen
zerbricht sie sich freilich vergebens den Kopf. Der blieb ihr so gut wie dem großen
Universal-Lexikon von Zedler aus dem Jahre 1735 und späteren Lesern fremd,
so daß z. B. noch Gervinus 1838 einen fiktiven Samuel Greifenson von Hirschfeld
als Verfasser des "Simplizius" behandelte, bis eben um diese Zeit der wahre
Urheber hinter den: Pseudonym erkannt und unter dem vorher bedeutungslosen
Namen Grimmelshausen dem Bewußtsein der Zeit eingeprägt wurde.

Sein Hauptwerk war freilich nie vergessen gewesen -- Lessing hatte zu
seinen Verehrern gezählt --, und es mutet wie ein schicksalvoller Zug an, daß
es wie ein Volksbuch ohne Zusammenhang mit dem Autor seine Lebenskraft
erprobte und daß sein Held ohne eigentlichen Personennamen, nur mit einen:
inhaltsreichen Sinnamen begabt, durch die Jahrhunderte schritt.

Auch jetzt haben wir noch nicht allzu deutliche Kunde vom Menschen
Grimmelshausen. Sein Werk ist das Überragende und seine Person empfängt
ihr Licht von ihm. Und wenn wir schon den Spuren seiner Erdentage nach¬
gehen, wird uns doch erspart bleiben, daß er in absoluter Klarheit sich hinderlich
zwischen uns und seine Schöpfung stelle, die zwar aus dem Zeitlich-Gebundenen
emporwuchs, sich aber zum Ausdruck der spezifisch deutschen Gemütsart entwickelte

und also mit der Kraft eines Symbols in die Zukunft hinein fortwirkt.




Jm Thüringerland begegnen wir zuerst den adligen Ahnen unseres Schrift¬
stellers, die sich uach dem heute Sachsen-meiningenschen Dorfe Grymaltshusen




Grimmelshausen und der simplizius ^implizissimus
Dr, rv. L. Oeftering- von

n einem Brief vom 5. November 1670 an ihren Bruder, den
Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz, bat die Herzogin Sophie
von Hannover, er möge ihr den „Simplizius Simplizifsimus"
in Frankfurt besorgen, da man ihr diesen Roman angelegentlich
empfohlen habe. Sie erhielt auch den gewünschten Band zusammen
mit der Geschichte von der „Landstörzerin Courage" und einer Sendung pfälzischen
Weines, wofür sie sich am 10. Dezember bedankte und lustig bemerkte, die
„Courage" sei noch nie so stattlich beritten gewesen als diesmal, da sie auf
einem Faß daher gekommen sei. Über den Autor der beiden Erzählungen
zerbricht sie sich freilich vergebens den Kopf. Der blieb ihr so gut wie dem großen
Universal-Lexikon von Zedler aus dem Jahre 1735 und späteren Lesern fremd,
so daß z. B. noch Gervinus 1838 einen fiktiven Samuel Greifenson von Hirschfeld
als Verfasser des „Simplizius" behandelte, bis eben um diese Zeit der wahre
Urheber hinter den: Pseudonym erkannt und unter dem vorher bedeutungslosen
Namen Grimmelshausen dem Bewußtsein der Zeit eingeprägt wurde.

Sein Hauptwerk war freilich nie vergessen gewesen — Lessing hatte zu
seinen Verehrern gezählt —, und es mutet wie ein schicksalvoller Zug an, daß
es wie ein Volksbuch ohne Zusammenhang mit dem Autor seine Lebenskraft
erprobte und daß sein Held ohne eigentlichen Personennamen, nur mit einen:
inhaltsreichen Sinnamen begabt, durch die Jahrhunderte schritt.

Auch jetzt haben wir noch nicht allzu deutliche Kunde vom Menschen
Grimmelshausen. Sein Werk ist das Überragende und seine Person empfängt
ihr Licht von ihm. Und wenn wir schon den Spuren seiner Erdentage nach¬
gehen, wird uns doch erspart bleiben, daß er in absoluter Klarheit sich hinderlich
zwischen uns und seine Schöpfung stelle, die zwar aus dem Zeitlich-Gebundenen
emporwuchs, sich aber zum Ausdruck der spezifisch deutschen Gemütsart entwickelte

und also mit der Kraft eines Symbols in die Zukunft hinein fortwirkt.




Jm Thüringerland begegnen wir zuerst den adligen Ahnen unseres Schrift¬
stellers, die sich uach dem heute Sachsen-meiningenschen Dorfe Grymaltshusen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0458" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322860"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_322400/figures/grenzboten_341895_322400_322860_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Grimmelshausen und der simplizius ^implizissimus<lb/><note type="byline"> Dr, rv. L. Oeftering-</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2300"> n einem Brief vom 5. November 1670 an ihren Bruder, den<lb/>
Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz, bat die Herzogin Sophie<lb/>
von Hannover, er möge ihr den &#x201E;Simplizius Simplizifsimus"<lb/>
in Frankfurt besorgen, da man ihr diesen Roman angelegentlich<lb/>
empfohlen habe. Sie erhielt auch den gewünschten Band zusammen<lb/>
mit der Geschichte von der &#x201E;Landstörzerin Courage" und einer Sendung pfälzischen<lb/>
Weines, wofür sie sich am 10. Dezember bedankte und lustig bemerkte, die<lb/>
&#x201E;Courage" sei noch nie so stattlich beritten gewesen als diesmal, da sie auf<lb/>
einem Faß daher gekommen sei. Über den Autor der beiden Erzählungen<lb/>
zerbricht sie sich freilich vergebens den Kopf. Der blieb ihr so gut wie dem großen<lb/>
Universal-Lexikon von Zedler aus dem Jahre 1735 und späteren Lesern fremd,<lb/>
so daß z. B. noch Gervinus 1838 einen fiktiven Samuel Greifenson von Hirschfeld<lb/>
als Verfasser des &#x201E;Simplizius" behandelte, bis eben um diese Zeit der wahre<lb/>
Urheber hinter den: Pseudonym erkannt und unter dem vorher bedeutungslosen<lb/>
Namen Grimmelshausen dem Bewußtsein der Zeit eingeprägt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2301"> Sein Hauptwerk war freilich nie vergessen gewesen &#x2014; Lessing hatte zu<lb/>
seinen Verehrern gezählt &#x2014;, und es mutet wie ein schicksalvoller Zug an, daß<lb/>
es wie ein Volksbuch ohne Zusammenhang mit dem Autor seine Lebenskraft<lb/>
erprobte und daß sein Held ohne eigentlichen Personennamen, nur mit einen:<lb/>
inhaltsreichen Sinnamen begabt, durch die Jahrhunderte schritt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2302"> Auch jetzt haben wir noch nicht allzu deutliche Kunde vom Menschen<lb/>
Grimmelshausen. Sein Werk ist das Überragende und seine Person empfängt<lb/>
ihr Licht von ihm. Und wenn wir schon den Spuren seiner Erdentage nach¬<lb/>
gehen, wird uns doch erspart bleiben, daß er in absoluter Klarheit sich hinderlich<lb/>
zwischen uns und seine Schöpfung stelle, die zwar aus dem Zeitlich-Gebundenen<lb/>
emporwuchs, sich aber zum Ausdruck der spezifisch deutschen Gemütsart entwickelte</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2303"> und also mit der Kraft eines Symbols in die Zukunft hinein fortwirkt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2304" next="#ID_2305"> Jm Thüringerland begegnen wir zuerst den adligen Ahnen unseres Schrift¬<lb/>
stellers, die sich uach dem heute Sachsen-meiningenschen Dorfe Grymaltshusen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0458] [Abbildung] Grimmelshausen und der simplizius ^implizissimus Dr, rv. L. Oeftering- von n einem Brief vom 5. November 1670 an ihren Bruder, den Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz, bat die Herzogin Sophie von Hannover, er möge ihr den „Simplizius Simplizifsimus" in Frankfurt besorgen, da man ihr diesen Roman angelegentlich empfohlen habe. Sie erhielt auch den gewünschten Band zusammen mit der Geschichte von der „Landstörzerin Courage" und einer Sendung pfälzischen Weines, wofür sie sich am 10. Dezember bedankte und lustig bemerkte, die „Courage" sei noch nie so stattlich beritten gewesen als diesmal, da sie auf einem Faß daher gekommen sei. Über den Autor der beiden Erzählungen zerbricht sie sich freilich vergebens den Kopf. Der blieb ihr so gut wie dem großen Universal-Lexikon von Zedler aus dem Jahre 1735 und späteren Lesern fremd, so daß z. B. noch Gervinus 1838 einen fiktiven Samuel Greifenson von Hirschfeld als Verfasser des „Simplizius" behandelte, bis eben um diese Zeit der wahre Urheber hinter den: Pseudonym erkannt und unter dem vorher bedeutungslosen Namen Grimmelshausen dem Bewußtsein der Zeit eingeprägt wurde. Sein Hauptwerk war freilich nie vergessen gewesen — Lessing hatte zu seinen Verehrern gezählt —, und es mutet wie ein schicksalvoller Zug an, daß es wie ein Volksbuch ohne Zusammenhang mit dem Autor seine Lebenskraft erprobte und daß sein Held ohne eigentlichen Personennamen, nur mit einen: inhaltsreichen Sinnamen begabt, durch die Jahrhunderte schritt. Auch jetzt haben wir noch nicht allzu deutliche Kunde vom Menschen Grimmelshausen. Sein Werk ist das Überragende und seine Person empfängt ihr Licht von ihm. Und wenn wir schon den Spuren seiner Erdentage nach¬ gehen, wird uns doch erspart bleiben, daß er in absoluter Klarheit sich hinderlich zwischen uns und seine Schöpfung stelle, die zwar aus dem Zeitlich-Gebundenen emporwuchs, sich aber zum Ausdruck der spezifisch deutschen Gemütsart entwickelte und also mit der Kraft eines Symbols in die Zukunft hinein fortwirkt. Jm Thüringerland begegnen wir zuerst den adligen Ahnen unseres Schrift¬ stellers, die sich uach dem heute Sachsen-meiningenschen Dorfe Grymaltshusen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/458
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/458>, abgerufen am 15.01.2025.