Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] der Nacht vom 23. auf den 24. April alle Die Ausrottung der Alailis erklärt ein¬ Verschärft wurden diese Verhältnisse, die litik nicht wieder aufgab, sondern im Gegen¬ Mahmud Schefket hatte ein deutliches Das jungtürkische Komitee war, nachdem Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] der Nacht vom 23. auf den 24. April alle Die Ausrottung der Alailis erklärt ein¬ Verschärft wurden diese Verhältnisse, die litik nicht wieder aufgab, sondern im Gegen¬ Mahmud Schefket hatte ein deutliches Das jungtürkische Komitee war, nachdem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322848"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_2245" prev="#ID_2244"> der Nacht vom 23. auf den 24. April alle<lb/> wichtigen Punkte der Stadt und zwangen am<lb/> Vormittag des 24. April die von den soge¬<lb/> nannten Meuterern besetzten und verteidigten<lb/> Kasernen nach heftiger Kanonade zur Über¬<lb/> gabe. Abdul Hamid wurde abgesetzt und<lb/> Mohammed der Fünfte zu seinem Nachfolger<lb/> proklamiert. Die Rädelsführer der Meuterei<lb/> wurden festgenommen, abgeurteilt und zum<lb/> großen Teil auf den öffentlichen Plätzen Kon¬<lb/> stantinopels aufgehängt. Unter den also<lb/> Hingerichteten befanden sich zahlreiche Alailis.<lb/> Auch nach diesem Strafgericht blieb der tiefe<lb/> Gegensatz zwischen dem Mektebli und dem<lb/> Alciili und das unüberbrückbare Mißtrauen<lb/> des jetzt unbeschränkt die Herrschaft ausübenden<lb/> jungtürlischen Komitees gegen den reaktio¬<lb/> närer Gesinnung verdächtigen Alaili bestehen.<lb/> Man glaubte der Herrschaft über die Armee<lb/> nur dann auf die Dauer sicher zu sein, wenn<lb/> es gelänge, die Alailis möglichst radikal aus<lb/> der Armee zu beseitigen. Infolgedessen wurden<lb/> die Alailis massenhaft mit oder ohne Pension<lb/> aus der Armee entfernt. Je Prekärer die<lb/> Stellung des jungtürkischen Komitees in den<lb/> letzten zwei Jahren wurde, desto mehr suchte<lb/> es durch solche Maßnahmen seine Position zu<lb/> sichern. Durch die Entfernung des Alaili<lb/> verschwand aber das notwendige Bindeglied<lb/> zwischen Kommando und Truppe; und dieses<lb/> Bindeglied verschwand ohne Ersatz. Denn der<lb/> Mektibli war sich zu gut, um wie der Alaili<lb/> mit der Truppe zu leben. Er fühlte sich in<lb/> der Hauptsache als Generalstäbler und ver¬<lb/> nachlässigte den Dienst in der Kaserne und<lb/> in der Front. Es soll vorgekommen sein,<lb/> daß Offiziere monatelang ihre Truppe nicht<lb/> zu Gesicht bekamen.</p> <p xml:id="ID_2246"> Die Ausrottung der Alailis erklärt ein¬<lb/> mal die ungenügende Anzahl von Offizieren,<lb/> die sich bei den zuerst ins Gefecht kommenden<lb/> Truppenteilen befanden, außerdem auch den<lb/> absoluten Mangel an Fühlung zwischen Offi¬<lb/> zieren und Truppe, der sich in den ersten Ge¬<lb/> fechten herausstellte.</p> <p xml:id="ID_2247" next="#ID_2248"> Verschärft wurden diese Verhältnisse, die<lb/> an sich schon ihre Wurzel in der Politik hatten,<lb/> durch die Tatsache, daß das mehr und mehr<lb/> sich aus Mekteblis zusammensetzende Offizier-<lb/> korps, nachdem eS sich einmal in die Politik<lb/> gestürzt hatte, die Beschäftigung mit der Po¬</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_2248" prev="#ID_2247"> litik nicht wieder aufgab, sondern im Gegen¬<lb/> teil sich immer mehr mit der Politik und<lb/> immer weniger mit dein Dienst befaßte.<lb/> Namentlich die Offiziere der mazedonischen<lb/> Garnisonen brachten einen unverhältnismäßig<lb/> großen Teil ihrer Zeit im Parlament und<lb/> in den politischen Klubs von Konstantinopel<lb/> und Salonik zu. Die Bemühungen Mahmud<lb/> Schefkets, das Offizierkorps von der Politik<lb/> abzubringen, sind bekannt.</p> <p xml:id="ID_2249"> Mahmud Schefket hatte ein deutliches<lb/> Gefühl für die Gefahren, die hier vorlagen.<lb/> Er sagte mir bald nach dem Einzug in<lb/> Konstantinopel im April 1909, die wichtigste<lb/> Aufgabe für ihn sei die Wiederherstellung der<lb/> Disziplin in der Armee und vor allem auch<lb/> im Offizierkorps. Ereignisse, wie diejenigen,<lb/> welche sich jetzt vollzogen hätten, könnten nicht<lb/> vorübergehen, ohne die Disziplin schwer zu<lb/> erschüttern, und es komme alles darauf an,<lb/> über diese Wirkungen Herr zu werden. Man<lb/> hat an Mahmud Schefket oft genug getadelt,<lb/> daß er nicht die nötige Konsequenz besitze und<lb/> sich scheue, bis zum letzten Ende für seine<lb/> Ideen einzutreten. Die Erklärung liegt zum<lb/> großen Teil darin, daß Mahmud Schefket<lb/> sich nicht stark genug fühlte, mit Gewalt<lb/> gegen die nach wie vor Politik treibenden<lb/> Offiziere der mittleren und niederen Grade<lb/> vorzugehen; ein scharfes Zugreifen hätte<lb/> blutige Konflikte innerhalb des Offizierkorps<lb/> selbst ausgelöst. Mahmud Schefket wollte<lb/> solche Konflikte vermeiden und hoffte, daß es<lb/> einer beharrlichen und geduldigen Arbeit ge¬<lb/> lingen werde, allmählich wieder die Zügel<lb/> in die Hand zu bekommen, das Offizierkorps<lb/> seiner eigenen Aufgabe wieder zuzuführen<lb/> und die Disziplin wieder aufzurichten. Er<lb/> ist an dieser Aufgabe gescheitert.</p> <p xml:id="ID_2250" next="#ID_2251"> Das jungtürkische Komitee war, nachdem<lb/> eS sich die unbeschränkte Herrschaft gesichert<lb/> hatte, natürlich nicht entfernt in der Lage,<lb/> alle Wünsche auch nur innerhalb des Kreises<lb/> der Mekteblis zu befriedigen, und so erwuchs<lb/> ihn: die Opposition in den Reihen der Mek¬<lb/> teblis selbst, auf die es sich bisher vor allein<lb/> gestützt hatte. Der Konflikt erreichte seinen<lb/> Höhepunkt im Frühling dieses Jahres mit<lb/> dem Abfall des größeren Teils des Offizier¬<lb/> korps vom Komitee zu der sogenannten Libe¬<lb/> ralen Union, der den Sturz des jungtürkischen</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0446]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
der Nacht vom 23. auf den 24. April alle
wichtigen Punkte der Stadt und zwangen am
Vormittag des 24. April die von den soge¬
nannten Meuterern besetzten und verteidigten
Kasernen nach heftiger Kanonade zur Über¬
gabe. Abdul Hamid wurde abgesetzt und
Mohammed der Fünfte zu seinem Nachfolger
proklamiert. Die Rädelsführer der Meuterei
wurden festgenommen, abgeurteilt und zum
großen Teil auf den öffentlichen Plätzen Kon¬
stantinopels aufgehängt. Unter den also
Hingerichteten befanden sich zahlreiche Alailis.
Auch nach diesem Strafgericht blieb der tiefe
Gegensatz zwischen dem Mektebli und dem
Alciili und das unüberbrückbare Mißtrauen
des jetzt unbeschränkt die Herrschaft ausübenden
jungtürlischen Komitees gegen den reaktio¬
närer Gesinnung verdächtigen Alaili bestehen.
Man glaubte der Herrschaft über die Armee
nur dann auf die Dauer sicher zu sein, wenn
es gelänge, die Alailis möglichst radikal aus
der Armee zu beseitigen. Infolgedessen wurden
die Alailis massenhaft mit oder ohne Pension
aus der Armee entfernt. Je Prekärer die
Stellung des jungtürkischen Komitees in den
letzten zwei Jahren wurde, desto mehr suchte
es durch solche Maßnahmen seine Position zu
sichern. Durch die Entfernung des Alaili
verschwand aber das notwendige Bindeglied
zwischen Kommando und Truppe; und dieses
Bindeglied verschwand ohne Ersatz. Denn der
Mektibli war sich zu gut, um wie der Alaili
mit der Truppe zu leben. Er fühlte sich in
der Hauptsache als Generalstäbler und ver¬
nachlässigte den Dienst in der Kaserne und
in der Front. Es soll vorgekommen sein,
daß Offiziere monatelang ihre Truppe nicht
zu Gesicht bekamen.
Die Ausrottung der Alailis erklärt ein¬
mal die ungenügende Anzahl von Offizieren,
die sich bei den zuerst ins Gefecht kommenden
Truppenteilen befanden, außerdem auch den
absoluten Mangel an Fühlung zwischen Offi¬
zieren und Truppe, der sich in den ersten Ge¬
fechten herausstellte.
Verschärft wurden diese Verhältnisse, die
an sich schon ihre Wurzel in der Politik hatten,
durch die Tatsache, daß das mehr und mehr
sich aus Mekteblis zusammensetzende Offizier-
korps, nachdem eS sich einmal in die Politik
gestürzt hatte, die Beschäftigung mit der Po¬
litik nicht wieder aufgab, sondern im Gegen¬
teil sich immer mehr mit der Politik und
immer weniger mit dein Dienst befaßte.
Namentlich die Offiziere der mazedonischen
Garnisonen brachten einen unverhältnismäßig
großen Teil ihrer Zeit im Parlament und
in den politischen Klubs von Konstantinopel
und Salonik zu. Die Bemühungen Mahmud
Schefkets, das Offizierkorps von der Politik
abzubringen, sind bekannt.
Mahmud Schefket hatte ein deutliches
Gefühl für die Gefahren, die hier vorlagen.
Er sagte mir bald nach dem Einzug in
Konstantinopel im April 1909, die wichtigste
Aufgabe für ihn sei die Wiederherstellung der
Disziplin in der Armee und vor allem auch
im Offizierkorps. Ereignisse, wie diejenigen,
welche sich jetzt vollzogen hätten, könnten nicht
vorübergehen, ohne die Disziplin schwer zu
erschüttern, und es komme alles darauf an,
über diese Wirkungen Herr zu werden. Man
hat an Mahmud Schefket oft genug getadelt,
daß er nicht die nötige Konsequenz besitze und
sich scheue, bis zum letzten Ende für seine
Ideen einzutreten. Die Erklärung liegt zum
großen Teil darin, daß Mahmud Schefket
sich nicht stark genug fühlte, mit Gewalt
gegen die nach wie vor Politik treibenden
Offiziere der mittleren und niederen Grade
vorzugehen; ein scharfes Zugreifen hätte
blutige Konflikte innerhalb des Offizierkorps
selbst ausgelöst. Mahmud Schefket wollte
solche Konflikte vermeiden und hoffte, daß es
einer beharrlichen und geduldigen Arbeit ge¬
lingen werde, allmählich wieder die Zügel
in die Hand zu bekommen, das Offizierkorps
seiner eigenen Aufgabe wieder zuzuführen
und die Disziplin wieder aufzurichten. Er
ist an dieser Aufgabe gescheitert.
Das jungtürkische Komitee war, nachdem
eS sich die unbeschränkte Herrschaft gesichert
hatte, natürlich nicht entfernt in der Lage,
alle Wünsche auch nur innerhalb des Kreises
der Mekteblis zu befriedigen, und so erwuchs
ihn: die Opposition in den Reihen der Mek¬
teblis selbst, auf die es sich bisher vor allein
gestützt hatte. Der Konflikt erreichte seinen
Höhepunkt im Frühling dieses Jahres mit
dem Abfall des größeren Teils des Offizier¬
korps vom Komitee zu der sogenannten Libe¬
ralen Union, der den Sturz des jungtürkischen
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