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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Kabinetts und seinen Ersatz durch das Ka¬
binett Mahmud Mukthar und Kiamil herbei¬
führte.

Diese Politischen Gegensätze im Offizier¬
korps selbst, die sich schließlich zu erbitterten
Kämpfen zuspitzten, haben in der letzten Zeit
die Zersetzung im Offizierkorps auf das
Höchste gesteigert. Der sich häufig wieder¬
holende Fall, daß Offiziere niederen Grades
in ihrer Eigenschaft als Komiteemitglieder
ihren Vorgesetzten bis hinauf zu den höchsten
Rangstufen ihren Willen aufzwangen, hat der
Disziplin im Offizierkorps den letzten Rest
gegeben. Das schlechte Beispiel der Offiziere
mußte auch auf die Mannschaft zurückwirken,
der ohnedies die immer wiederholten Phrasen
von Verfassung und Freiheit zu Kopf gestiegen
waren. Die Auflösung der militärischen
Organisation hatte bei Ausbruch des Krieges
einen gefährlichen Höhepunkt erreicht.

Dies gilt insbesondere für die in der
Hauptstadt und ihrer unmittelbaren Um¬
gebung, sowie überhaupt für die in der euro¬
päischen Türkei stehenden Truppen. Die
Regimenter, die im Innern der asiatischen
Türkei standen, wurden von den verhängnis¬
vollen Einflüssen weniger berührt.

Neben diesen Verhältnissen allgemeiner
Natur wirkten noch einige besonderen Ursachen
mit, uni den Zusammenbruch der türkischen
Armee in den ersten Kämpfen herbeizuführen.

Weitaus der größte Teil der in der euro¬
päischen Türkei stehenden Truppen hat seine
Heimat in Anatolien und diese Truppen
waren allmählich europamüde geworden.
Das fortgesetzte Hin- und Herschieben infolge
der Bcmdenkämpfe und der albanesischen
Aufstände, das Zurückhalten der Leute lange
über die Dienstzeit hinaus, hatte ihre Geduld
und ihre Kampfesfreudigkeit auf das äußerste
erschöpft.

Diesen! Umstand suchte das neue Kabinett
Achmet Mukthar--Kiamil Rechnung zu tragen,
indem es wenige Wochen vor Kriegsausbruch
einen großen Teil der in Mazedonien und
Thrazien stehenden geschulten Truppen --

[Spaltenumbruch]

man spricht von mehr als hunderttausend
Mann -- in ihre Heimat entließ. Die Ma߬
nahme soll insbesondere erfolgt sein, weil
man hoffte, auf diesem Wege die bevorstehen¬
den Neuwahlen zur Kammer in einem für
die neue Negierung günstigen Sinn beein¬
flussen zu können. Über die großen Bedenken,
die sich aus der Politischen Konstellation er¬
gaben, setzte sich Kiamil in seinem unbedingten
Vertrauen aus die Freundschaft und den
Schutz Englands hinweg. Bis zum letzten
Augenblick, auch nachdem die Mobilmachung
der Balkanstaaten bereits erfolgt war, hat
Kiamil an der Zuversicht festgehalten, daß
England durch ein Machtwort den Krieg ver¬
hindern und sich schützend vor die Türkei
stellen werde. Als sich diese Hoffnung als
nichtig erwies und die Kriegserklärungen er¬
folgten, wurden die gelichteten Kadres in aller
Eile ausgefüllt, zum Teil durch Mann¬
schaften, die nie einen militärischen Dienst
durchgemacht hatten, die mit den Waffen
nicht umzugehen wußten und die man förm¬
lich auf den Straßen von Konstantinopel
aufgelesen hat. War vorher schon durch die
Zulassung der Christen zum Militärdienst die
Einheitlichkeit der Truppen beeinträchtigt
worden, so war diese Art der Ergänzung
der zunächst mit den Bulgaren ins Gefecht
kommenden Regimenter geradezu ruinös.
Die auf den ersten Blick ganz unerklärliche
und alle Welt überraschende Panik, die erst
bei KirMlisse und dann bei Bunar-Hussar die
türkischen Truppen nach mehrtägigem erfolg¬
reichen Widerstand erfaßt hat, ist auf dieses
unerhörte Verfahren zurückzuführen.

Jetzt endlich, nachdem die Türken bis zur
Tschataldschalinie zurückgeworfen sind, ist es
gelungen, die relativ gut ausgebildeten und
disziplinierten Truppen aus Kleinasien und
Shrien heranzubringen, die ihre Widerstands¬
fähigkeit in den Kämpfen der letzten Woche
bereits bewiesen haben und die vielleicht noch
in der allerletzten Stunde die Ehre der tür¬
kischen Armee zu retten und einen annehm¬
baren Frieden zu sichern vermögen.--"

[Ende Spaltensatz]


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Kabinetts und seinen Ersatz durch das Ka¬
binett Mahmud Mukthar und Kiamil herbei¬
führte.

Diese Politischen Gegensätze im Offizier¬
korps selbst, die sich schließlich zu erbitterten
Kämpfen zuspitzten, haben in der letzten Zeit
die Zersetzung im Offizierkorps auf das
Höchste gesteigert. Der sich häufig wieder¬
holende Fall, daß Offiziere niederen Grades
in ihrer Eigenschaft als Komiteemitglieder
ihren Vorgesetzten bis hinauf zu den höchsten
Rangstufen ihren Willen aufzwangen, hat der
Disziplin im Offizierkorps den letzten Rest
gegeben. Das schlechte Beispiel der Offiziere
mußte auch auf die Mannschaft zurückwirken,
der ohnedies die immer wiederholten Phrasen
von Verfassung und Freiheit zu Kopf gestiegen
waren. Die Auflösung der militärischen
Organisation hatte bei Ausbruch des Krieges
einen gefährlichen Höhepunkt erreicht.

Dies gilt insbesondere für die in der
Hauptstadt und ihrer unmittelbaren Um¬
gebung, sowie überhaupt für die in der euro¬
päischen Türkei stehenden Truppen. Die
Regimenter, die im Innern der asiatischen
Türkei standen, wurden von den verhängnis¬
vollen Einflüssen weniger berührt.

Neben diesen Verhältnissen allgemeiner
Natur wirkten noch einige besonderen Ursachen
mit, uni den Zusammenbruch der türkischen
Armee in den ersten Kämpfen herbeizuführen.

Weitaus der größte Teil der in der euro¬
päischen Türkei stehenden Truppen hat seine
Heimat in Anatolien und diese Truppen
waren allmählich europamüde geworden.
Das fortgesetzte Hin- und Herschieben infolge
der Bcmdenkämpfe und der albanesischen
Aufstände, das Zurückhalten der Leute lange
über die Dienstzeit hinaus, hatte ihre Geduld
und ihre Kampfesfreudigkeit auf das äußerste
erschöpft.

Diesen! Umstand suchte das neue Kabinett
Achmet Mukthar—Kiamil Rechnung zu tragen,
indem es wenige Wochen vor Kriegsausbruch
einen großen Teil der in Mazedonien und
Thrazien stehenden geschulten Truppen —

[Spaltenumbruch]

man spricht von mehr als hunderttausend
Mann — in ihre Heimat entließ. Die Ma߬
nahme soll insbesondere erfolgt sein, weil
man hoffte, auf diesem Wege die bevorstehen¬
den Neuwahlen zur Kammer in einem für
die neue Negierung günstigen Sinn beein¬
flussen zu können. Über die großen Bedenken,
die sich aus der Politischen Konstellation er¬
gaben, setzte sich Kiamil in seinem unbedingten
Vertrauen aus die Freundschaft und den
Schutz Englands hinweg. Bis zum letzten
Augenblick, auch nachdem die Mobilmachung
der Balkanstaaten bereits erfolgt war, hat
Kiamil an der Zuversicht festgehalten, daß
England durch ein Machtwort den Krieg ver¬
hindern und sich schützend vor die Türkei
stellen werde. Als sich diese Hoffnung als
nichtig erwies und die Kriegserklärungen er¬
folgten, wurden die gelichteten Kadres in aller
Eile ausgefüllt, zum Teil durch Mann¬
schaften, die nie einen militärischen Dienst
durchgemacht hatten, die mit den Waffen
nicht umzugehen wußten und die man förm¬
lich auf den Straßen von Konstantinopel
aufgelesen hat. War vorher schon durch die
Zulassung der Christen zum Militärdienst die
Einheitlichkeit der Truppen beeinträchtigt
worden, so war diese Art der Ergänzung
der zunächst mit den Bulgaren ins Gefecht
kommenden Regimenter geradezu ruinös.
Die auf den ersten Blick ganz unerklärliche
und alle Welt überraschende Panik, die erst
bei KirMlisse und dann bei Bunar-Hussar die
türkischen Truppen nach mehrtägigem erfolg¬
reichen Widerstand erfaßt hat, ist auf dieses
unerhörte Verfahren zurückzuführen.

Jetzt endlich, nachdem die Türken bis zur
Tschataldschalinie zurückgeworfen sind, ist es
gelungen, die relativ gut ausgebildeten und
disziplinierten Truppen aus Kleinasien und
Shrien heranzubringen, die ihre Widerstands¬
fähigkeit in den Kämpfen der letzten Woche
bereits bewiesen haben und die vielleicht noch
in der allerletzten Stunde die Ehre der tür¬
kischen Armee zu retten und einen annehm¬
baren Frieden zu sichern vermögen.--"

[Ende Spaltensatz]


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[0447] Maßgebliches und Unmaßgebliches Kabinetts und seinen Ersatz durch das Ka¬ binett Mahmud Mukthar und Kiamil herbei¬ führte. Diese Politischen Gegensätze im Offizier¬ korps selbst, die sich schließlich zu erbitterten Kämpfen zuspitzten, haben in der letzten Zeit die Zersetzung im Offizierkorps auf das Höchste gesteigert. Der sich häufig wieder¬ holende Fall, daß Offiziere niederen Grades in ihrer Eigenschaft als Komiteemitglieder ihren Vorgesetzten bis hinauf zu den höchsten Rangstufen ihren Willen aufzwangen, hat der Disziplin im Offizierkorps den letzten Rest gegeben. Das schlechte Beispiel der Offiziere mußte auch auf die Mannschaft zurückwirken, der ohnedies die immer wiederholten Phrasen von Verfassung und Freiheit zu Kopf gestiegen waren. Die Auflösung der militärischen Organisation hatte bei Ausbruch des Krieges einen gefährlichen Höhepunkt erreicht. Dies gilt insbesondere für die in der Hauptstadt und ihrer unmittelbaren Um¬ gebung, sowie überhaupt für die in der euro¬ päischen Türkei stehenden Truppen. Die Regimenter, die im Innern der asiatischen Türkei standen, wurden von den verhängnis¬ vollen Einflüssen weniger berührt. Neben diesen Verhältnissen allgemeiner Natur wirkten noch einige besonderen Ursachen mit, uni den Zusammenbruch der türkischen Armee in den ersten Kämpfen herbeizuführen. Weitaus der größte Teil der in der euro¬ päischen Türkei stehenden Truppen hat seine Heimat in Anatolien und diese Truppen waren allmählich europamüde geworden. Das fortgesetzte Hin- und Herschieben infolge der Bcmdenkämpfe und der albanesischen Aufstände, das Zurückhalten der Leute lange über die Dienstzeit hinaus, hatte ihre Geduld und ihre Kampfesfreudigkeit auf das äußerste erschöpft. Diesen! Umstand suchte das neue Kabinett Achmet Mukthar—Kiamil Rechnung zu tragen, indem es wenige Wochen vor Kriegsausbruch einen großen Teil der in Mazedonien und Thrazien stehenden geschulten Truppen — man spricht von mehr als hunderttausend Mann — in ihre Heimat entließ. Die Ma߬ nahme soll insbesondere erfolgt sein, weil man hoffte, auf diesem Wege die bevorstehen¬ den Neuwahlen zur Kammer in einem für die neue Negierung günstigen Sinn beein¬ flussen zu können. Über die großen Bedenken, die sich aus der Politischen Konstellation er¬ gaben, setzte sich Kiamil in seinem unbedingten Vertrauen aus die Freundschaft und den Schutz Englands hinweg. Bis zum letzten Augenblick, auch nachdem die Mobilmachung der Balkanstaaten bereits erfolgt war, hat Kiamil an der Zuversicht festgehalten, daß England durch ein Machtwort den Krieg ver¬ hindern und sich schützend vor die Türkei stellen werde. Als sich diese Hoffnung als nichtig erwies und die Kriegserklärungen er¬ folgten, wurden die gelichteten Kadres in aller Eile ausgefüllt, zum Teil durch Mann¬ schaften, die nie einen militärischen Dienst durchgemacht hatten, die mit den Waffen nicht umzugehen wußten und die man förm¬ lich auf den Straßen von Konstantinopel aufgelesen hat. War vorher schon durch die Zulassung der Christen zum Militärdienst die Einheitlichkeit der Truppen beeinträchtigt worden, so war diese Art der Ergänzung der zunächst mit den Bulgaren ins Gefecht kommenden Regimenter geradezu ruinös. Die auf den ersten Blick ganz unerklärliche und alle Welt überraschende Panik, die erst bei KirMlisse und dann bei Bunar-Hussar die türkischen Truppen nach mehrtägigem erfolg¬ reichen Widerstand erfaßt hat, ist auf dieses unerhörte Verfahren zurückzuführen. Jetzt endlich, nachdem die Türken bis zur Tschataldschalinie zurückgeworfen sind, ist es gelungen, die relativ gut ausgebildeten und disziplinierten Truppen aus Kleinasien und Shrien heranzubringen, die ihre Widerstands¬ fähigkeit in den Kämpfen der letzten Woche bereits bewiesen haben und die vielleicht noch in der allerletzten Stunde die Ehre der tür¬ kischen Armee zu retten und einen annehm¬ baren Frieden zu sichern vermögen.--"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/447>, abgerufen am 15.01.2025.