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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Ein solcher Bauer und G ebirg Sh um arise ist
Alfred Huggenberger, und seine Lyrik --
gemäß den, starken Traditionsbewußtsein des
Bauern -- steht durchaus auf der gesicherten
Grundlage guter Überlieferung. Das Volks¬
lied, wie es aus Goethes formender Hand
hervorging, Schiller, Heine und Conrcid
F. Meyer sind die erkennbaren Nährsalze
seines Poetischen Humus.

"Sei mir gegrüßt du frischer Morgen,
Der mir der Arbeit Segen bringtI"

oder:

"Ich grüße dich, du klarer Morgen,
Der mir der Scholle Frieden beut",

wird Wohl jeden an Schiller mahnen; das
schöne Lied "Hochzeit" hat den kraftvollen
Balladenaufbau Meyers, das süße Wiegen¬
liedchen "Tine, eine, Wickelkind" oder "Heim¬
fahrt" sind in der Art, das Volkslied zu ver¬
arbeiten, ganz Goethe angeschlossen. Nichts¬
destoweniger ist Huggenberger ein Lyriker von
stärkster Eigenart und tiefster Innerlichkeit,
was niemals sagen will, daß er keine Meister
gehabt hätte. Seine Sprache, sein Rhythmus
erklingt in einer zarten Selbstverständlichkeit,
himmelweit entfernt von jeglicher gesuchten
Einfachheit des Stils. Seine Gefühlswelt
ist uns längst geläufig, nur daß sie sich so
Wesenseins mit den Pflichten, Schmerzen und
Freuden bäuerlicher Alltagsereignisse gibt, daß
sie so erdenfest verwachsen mit dem Allzu¬
menschlichen gerade dieser Lebensart erscheint,'
erklärt die Neuheit des Zaubers, die be¬
glückende Greifbarkeit seines Wortes. Mit
seinem Pferd, dem Stier, dein Kälblcin, dem
unfruchtbaren Baum und seiner Mähmaschine
kann sich Huggenberger in seltenem Maße
einen: er fühlt ihr Sein, spricht ihre Sprache
und wandelt gesenkten Hauptes als Mensch
und schicksalsnotwendige Gewalt über diese
Welt hin, und sein einziger Borten über seine
Leidensgenossen, daß er sich seiner Tragik
bewußt ist. Der herrschende Gefühlskreis
Spittelers klingt in seinein Humor häufig an,
der eben in der poetischen Erfassung der Not¬
wendigkeit besteht. Das hindert die Kritik
nicht, ihn "naiv" zu finden, er ist ja ein
Bauer! Ein Schweizer Bauer I Natürlich
muß er "naiv" sein, es steht doch im "Fremden¬
führer", und wenn er die Gebrochenheit des

[Spaltenumbruch]

Weltenschicksals in leicht lächelnden: Rhythmus
besiegt, -- die Kritik fand ihn naiv.

Huggenberger verflicht seine Verse gerne
in seine Novellen"), und mich dünkt, er hat
guten Grund, das'zu tun. Seine Gedichte
und Erzählungen stehen sich recht nahe. "Daniel
Pfund", "Der Hofbauer" und andere lesen
sich wie die Prosaische Ausbreitung der Ge¬
dichte "Die Waise" oder "Froschballade". Ein
Bursch, ein Mädchen, ein Bauer, das Kälb¬
lein und der unfruchtbare Baum, sie alle
können bei Huggenberger zuweilen ihr ganzes
Leben mit dem ganzen bisherigen Inhalt in
einen? einzigen Seufzer, einem kleinen Gedicht
entbinden, von sich geben, sich dessen entledigen.
Die Novelle Huggenbergers steigt dann den
Rain zurück, wächst sozusagen von der Frucht
zur Knospe zurück.

"Daniel Pfund kam mit zwölf Jahren
als Dienstknabe nach dem Dörfchen Kalkacker,
oberhalb Reichenberg. Im vierundfünfzigsten
starb er daselbst als lediger Güterknecht."
Wie alles so absonderlich sich zutrug, trotz der
Atome Merck und der Nani Spinner, das
vermag eben nur die ganze, treffliche Er¬
zählung "Daniel Pfund" begreiflich zu machen.

Auch C. F. Meyer liebt eS ("Gustav
Adolfs Page"), das Ergebnis der Handlung
voranzustellen und so das Werden rückgreifend
zu entwickeln. Das sind natürlich Handgriffe
der Erzählungskunst, die das echte, seiner
Selbständigkeit bewußte Talent stets ruhig
der guten Tradition entnehmen wird. Die
Furcht davor ist ein Schwächezeichen. Huggen¬
berger aber ist gesund wie eine junge Eiche.

Dr. Richard Meszlvny

Wenn wir aus historischen Werken große
Zeiten oder interessante Persönlichkeiten uns
verlebendigen, so werden wir bald das Ver¬
langen empfinden, über das Urteil der Histo¬
riker hinaus uns selbst ein Bild von den
Triebfedern der Zeit, von den handelnden
Personen und ihren Motiven, von ihren Per¬
sönlichen Kämpfen und Leiden zu bilden, wie
es am besten in ihren eigenen Schriften, in
Ansprüchen und vertrauten Briefen uns ent¬
gegentritt. Doch ist es nicht immer leicht, an
die Quellen zu gelangen. Sind sie doch zu

[Ende Spaltensatz]
*) "Von den kleinenLeuten." Hudern.Co.,
Frauenfeld 1810.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Ein solcher Bauer und G ebirg Sh um arise ist
Alfred Huggenberger, und seine Lyrik —
gemäß den, starken Traditionsbewußtsein des
Bauern — steht durchaus auf der gesicherten
Grundlage guter Überlieferung. Das Volks¬
lied, wie es aus Goethes formender Hand
hervorging, Schiller, Heine und Conrcid
F. Meyer sind die erkennbaren Nährsalze
seines Poetischen Humus.

„Sei mir gegrüßt du frischer Morgen,
Der mir der Arbeit Segen bringtI"

oder:

„Ich grüße dich, du klarer Morgen,
Der mir der Scholle Frieden beut",

wird Wohl jeden an Schiller mahnen; das
schöne Lied „Hochzeit" hat den kraftvollen
Balladenaufbau Meyers, das süße Wiegen¬
liedchen „Tine, eine, Wickelkind" oder „Heim¬
fahrt" sind in der Art, das Volkslied zu ver¬
arbeiten, ganz Goethe angeschlossen. Nichts¬
destoweniger ist Huggenberger ein Lyriker von
stärkster Eigenart und tiefster Innerlichkeit,
was niemals sagen will, daß er keine Meister
gehabt hätte. Seine Sprache, sein Rhythmus
erklingt in einer zarten Selbstverständlichkeit,
himmelweit entfernt von jeglicher gesuchten
Einfachheit des Stils. Seine Gefühlswelt
ist uns längst geläufig, nur daß sie sich so
Wesenseins mit den Pflichten, Schmerzen und
Freuden bäuerlicher Alltagsereignisse gibt, daß
sie so erdenfest verwachsen mit dem Allzu¬
menschlichen gerade dieser Lebensart erscheint,'
erklärt die Neuheit des Zaubers, die be¬
glückende Greifbarkeit seines Wortes. Mit
seinem Pferd, dem Stier, dein Kälblcin, dem
unfruchtbaren Baum und seiner Mähmaschine
kann sich Huggenberger in seltenem Maße
einen: er fühlt ihr Sein, spricht ihre Sprache
und wandelt gesenkten Hauptes als Mensch
und schicksalsnotwendige Gewalt über diese
Welt hin, und sein einziger Borten über seine
Leidensgenossen, daß er sich seiner Tragik
bewußt ist. Der herrschende Gefühlskreis
Spittelers klingt in seinein Humor häufig an,
der eben in der poetischen Erfassung der Not¬
wendigkeit besteht. Das hindert die Kritik
nicht, ihn „naiv" zu finden, er ist ja ein
Bauer! Ein Schweizer Bauer I Natürlich
muß er „naiv" sein, es steht doch im „Fremden¬
führer", und wenn er die Gebrochenheit des

[Spaltenumbruch]

Weltenschicksals in leicht lächelnden: Rhythmus
besiegt, — die Kritik fand ihn naiv.

Huggenberger verflicht seine Verse gerne
in seine Novellen"), und mich dünkt, er hat
guten Grund, das'zu tun. Seine Gedichte
und Erzählungen stehen sich recht nahe. „Daniel
Pfund", „Der Hofbauer" und andere lesen
sich wie die Prosaische Ausbreitung der Ge¬
dichte „Die Waise" oder „Froschballade". Ein
Bursch, ein Mädchen, ein Bauer, das Kälb¬
lein und der unfruchtbare Baum, sie alle
können bei Huggenberger zuweilen ihr ganzes
Leben mit dem ganzen bisherigen Inhalt in
einen? einzigen Seufzer, einem kleinen Gedicht
entbinden, von sich geben, sich dessen entledigen.
Die Novelle Huggenbergers steigt dann den
Rain zurück, wächst sozusagen von der Frucht
zur Knospe zurück.

„Daniel Pfund kam mit zwölf Jahren
als Dienstknabe nach dem Dörfchen Kalkacker,
oberhalb Reichenberg. Im vierundfünfzigsten
starb er daselbst als lediger Güterknecht."
Wie alles so absonderlich sich zutrug, trotz der
Atome Merck und der Nani Spinner, das
vermag eben nur die ganze, treffliche Er¬
zählung „Daniel Pfund" begreiflich zu machen.

Auch C. F. Meyer liebt eS („Gustav
Adolfs Page"), das Ergebnis der Handlung
voranzustellen und so das Werden rückgreifend
zu entwickeln. Das sind natürlich Handgriffe
der Erzählungskunst, die das echte, seiner
Selbständigkeit bewußte Talent stets ruhig
der guten Tradition entnehmen wird. Die
Furcht davor ist ein Schwächezeichen. Huggen¬
berger aber ist gesund wie eine junge Eiche.

Dr. Richard Meszlvny

Wenn wir aus historischen Werken große
Zeiten oder interessante Persönlichkeiten uns
verlebendigen, so werden wir bald das Ver¬
langen empfinden, über das Urteil der Histo¬
riker hinaus uns selbst ein Bild von den
Triebfedern der Zeit, von den handelnden
Personen und ihren Motiven, von ihren Per¬
sönlichen Kämpfen und Leiden zu bilden, wie
es am besten in ihren eigenen Schriften, in
Ansprüchen und vertrauten Briefen uns ent¬
gegentritt. Doch ist es nicht immer leicht, an
die Quellen zu gelangen. Sind sie doch zu

[Ende Spaltensatz]
*) „Von den kleinenLeuten." Hudern.Co.,
Frauenfeld 1810.
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[0442] Maßgebliches und Unmaßgebliches Ein solcher Bauer und G ebirg Sh um arise ist Alfred Huggenberger, und seine Lyrik — gemäß den, starken Traditionsbewußtsein des Bauern — steht durchaus auf der gesicherten Grundlage guter Überlieferung. Das Volks¬ lied, wie es aus Goethes formender Hand hervorging, Schiller, Heine und Conrcid F. Meyer sind die erkennbaren Nährsalze seines Poetischen Humus. „Sei mir gegrüßt du frischer Morgen, Der mir der Arbeit Segen bringtI" oder: „Ich grüße dich, du klarer Morgen, Der mir der Scholle Frieden beut", wird Wohl jeden an Schiller mahnen; das schöne Lied „Hochzeit" hat den kraftvollen Balladenaufbau Meyers, das süße Wiegen¬ liedchen „Tine, eine, Wickelkind" oder „Heim¬ fahrt" sind in der Art, das Volkslied zu ver¬ arbeiten, ganz Goethe angeschlossen. Nichts¬ destoweniger ist Huggenberger ein Lyriker von stärkster Eigenart und tiefster Innerlichkeit, was niemals sagen will, daß er keine Meister gehabt hätte. Seine Sprache, sein Rhythmus erklingt in einer zarten Selbstverständlichkeit, himmelweit entfernt von jeglicher gesuchten Einfachheit des Stils. Seine Gefühlswelt ist uns längst geläufig, nur daß sie sich so Wesenseins mit den Pflichten, Schmerzen und Freuden bäuerlicher Alltagsereignisse gibt, daß sie so erdenfest verwachsen mit dem Allzu¬ menschlichen gerade dieser Lebensart erscheint,' erklärt die Neuheit des Zaubers, die be¬ glückende Greifbarkeit seines Wortes. Mit seinem Pferd, dem Stier, dein Kälblcin, dem unfruchtbaren Baum und seiner Mähmaschine kann sich Huggenberger in seltenem Maße einen: er fühlt ihr Sein, spricht ihre Sprache und wandelt gesenkten Hauptes als Mensch und schicksalsnotwendige Gewalt über diese Welt hin, und sein einziger Borten über seine Leidensgenossen, daß er sich seiner Tragik bewußt ist. Der herrschende Gefühlskreis Spittelers klingt in seinein Humor häufig an, der eben in der poetischen Erfassung der Not¬ wendigkeit besteht. Das hindert die Kritik nicht, ihn „naiv" zu finden, er ist ja ein Bauer! Ein Schweizer Bauer I Natürlich muß er „naiv" sein, es steht doch im „Fremden¬ führer", und wenn er die Gebrochenheit des Weltenschicksals in leicht lächelnden: Rhythmus besiegt, — die Kritik fand ihn naiv. Huggenberger verflicht seine Verse gerne in seine Novellen"), und mich dünkt, er hat guten Grund, das'zu tun. Seine Gedichte und Erzählungen stehen sich recht nahe. „Daniel Pfund", „Der Hofbauer" und andere lesen sich wie die Prosaische Ausbreitung der Ge¬ dichte „Die Waise" oder „Froschballade". Ein Bursch, ein Mädchen, ein Bauer, das Kälb¬ lein und der unfruchtbare Baum, sie alle können bei Huggenberger zuweilen ihr ganzes Leben mit dem ganzen bisherigen Inhalt in einen? einzigen Seufzer, einem kleinen Gedicht entbinden, von sich geben, sich dessen entledigen. Die Novelle Huggenbergers steigt dann den Rain zurück, wächst sozusagen von der Frucht zur Knospe zurück. „Daniel Pfund kam mit zwölf Jahren als Dienstknabe nach dem Dörfchen Kalkacker, oberhalb Reichenberg. Im vierundfünfzigsten starb er daselbst als lediger Güterknecht." Wie alles so absonderlich sich zutrug, trotz der Atome Merck und der Nani Spinner, das vermag eben nur die ganze, treffliche Er¬ zählung „Daniel Pfund" begreiflich zu machen. Auch C. F. Meyer liebt eS („Gustav Adolfs Page"), das Ergebnis der Handlung voranzustellen und so das Werden rückgreifend zu entwickeln. Das sind natürlich Handgriffe der Erzählungskunst, die das echte, seiner Selbständigkeit bewußte Talent stets ruhig der guten Tradition entnehmen wird. Die Furcht davor ist ein Schwächezeichen. Huggen¬ berger aber ist gesund wie eine junge Eiche. Dr. Richard Meszlvny Wenn wir aus historischen Werken große Zeiten oder interessante Persönlichkeiten uns verlebendigen, so werden wir bald das Ver¬ langen empfinden, über das Urteil der Histo¬ riker hinaus uns selbst ein Bild von den Triebfedern der Zeit, von den handelnden Personen und ihren Motiven, von ihren Per¬ sönlichen Kämpfen und Leiden zu bilden, wie es am besten in ihren eigenen Schriften, in Ansprüchen und vertrauten Briefen uns ent¬ gegentritt. Doch ist es nicht immer leicht, an die Quellen zu gelangen. Sind sie doch zu *) „Von den kleinenLeuten." Hudern.Co., Frauenfeld 1810.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/442>, abgerufen am 15.01.2025.