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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Gleiches Wahlrecht?

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Aus der nebenstehenden statistischen
Zusammenstellung erhellt, wieviel
Prozent der Wähler auf jede
Ziffernstufe des Pluralwahlrechts
entfallen. Ein ganz deutliches
Anschwellen der Anteile mittleren
Grades, ein Maximum der Wähler
in den Wahlbezirken durchschnitt¬
licher Größe ist noch von dem
Gedanken übrig geblieben, das
Reich in gleiche Bezirke von an¬
nähernd 25000 Wählern zu glie¬
dern. Die in den verflossenen
vierzig Jahren entstandenen Ex¬
treme erklären sich aus dem Zurück¬
bleiben des agrarischen Ostens, dem
plötzlichen Wachstum der Jndustrie-
gegenden und dem Vorhandensein
der kleinen Kreise Schaumburg-
Lippe und Waldeck, denen als
Bundesstaaten mindestens ein Ab¬
geordneter zufallen mußte.

Die gewaltigen Größenunter¬
schiede unserer Reichswahlkreise
sind wiederholt betont, aber, so
viel ich sehe, noch niemals so
lebendig veranschaulicht worden,
wie es mit dem Ausdruck in
Pluralstimmen geschieht.

Ebenso meines Wissens neu wie

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reizvoll ist dagegen der Versuch, ein ausgesprochenes Klassenwahlrecht in seinen
Wirkungen als Pluralwahlrecht zu beleuchten. Das Wahlrecht zur bremischen
Bürgerschaft ist hierfür ein ausgezeichnetes Objekt, weil es mit seiner ständischen
Bevorzugung (selbständige Förderung ideeller und materieller Kulturgüter) be¬
sondere soziale Eigenschaften und Fähigkeiten unterstreicht, ohne die Wähler des
allgemeinen Wahlrechts ihrer Mitbestimmung zu berauben.

Wer von der mittelalterlich anmutenden Schale abzusehen vermag, wird
einen gesunden, im guten Sinne modernen Kern finden. Denn Bildung, Besitz
und Masse, Produzenten und Konsumenten, jeder Teil kommt zu seinem
Rechte.

Von den acht Klassen, die das bremische Wahlsystem (Bürgerschaftsgesetz
4 bis 9) kennt, entfällt die Hälfte auf die Sondergruppen.


Gleiches Wahlrecht?

[Beginn Spaltensatz]

Aus der nebenstehenden statistischen
Zusammenstellung erhellt, wieviel
Prozent der Wähler auf jede
Ziffernstufe des Pluralwahlrechts
entfallen. Ein ganz deutliches
Anschwellen der Anteile mittleren
Grades, ein Maximum der Wähler
in den Wahlbezirken durchschnitt¬
licher Größe ist noch von dem
Gedanken übrig geblieben, das
Reich in gleiche Bezirke von an¬
nähernd 25000 Wählern zu glie¬
dern. Die in den verflossenen
vierzig Jahren entstandenen Ex¬
treme erklären sich aus dem Zurück¬
bleiben des agrarischen Ostens, dem
plötzlichen Wachstum der Jndustrie-
gegenden und dem Vorhandensein
der kleinen Kreise Schaumburg-
Lippe und Waldeck, denen als
Bundesstaaten mindestens ein Ab¬
geordneter zufallen mußte.

Die gewaltigen Größenunter¬
schiede unserer Reichswahlkreise
sind wiederholt betont, aber, so
viel ich sehe, noch niemals so
lebendig veranschaulicht worden,
wie es mit dem Ausdruck in
Pluralstimmen geschieht.

Ebenso meines Wissens neu wie

[Spaltenumbruch]

[Ende Spaltensatz]

reizvoll ist dagegen der Versuch, ein ausgesprochenes Klassenwahlrecht in seinen
Wirkungen als Pluralwahlrecht zu beleuchten. Das Wahlrecht zur bremischen
Bürgerschaft ist hierfür ein ausgezeichnetes Objekt, weil es mit seiner ständischen
Bevorzugung (selbständige Förderung ideeller und materieller Kulturgüter) be¬
sondere soziale Eigenschaften und Fähigkeiten unterstreicht, ohne die Wähler des
allgemeinen Wahlrechts ihrer Mitbestimmung zu berauben.

Wer von der mittelalterlich anmutenden Schale abzusehen vermag, wird
einen gesunden, im guten Sinne modernen Kern finden. Denn Bildung, Besitz
und Masse, Produzenten und Konsumenten, jeder Teil kommt zu seinem
Rechte.

Von den acht Klassen, die das bremische Wahlsystem (Bürgerschaftsgesetz
4 bis 9) kennt, entfällt die Hälfte auf die Sondergruppen.


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[0410] Gleiches Wahlrecht? Aus der nebenstehenden statistischen Zusammenstellung erhellt, wieviel Prozent der Wähler auf jede Ziffernstufe des Pluralwahlrechts entfallen. Ein ganz deutliches Anschwellen der Anteile mittleren Grades, ein Maximum der Wähler in den Wahlbezirken durchschnitt¬ licher Größe ist noch von dem Gedanken übrig geblieben, das Reich in gleiche Bezirke von an¬ nähernd 25000 Wählern zu glie¬ dern. Die in den verflossenen vierzig Jahren entstandenen Ex¬ treme erklären sich aus dem Zurück¬ bleiben des agrarischen Ostens, dem plötzlichen Wachstum der Jndustrie- gegenden und dem Vorhandensein der kleinen Kreise Schaumburg- Lippe und Waldeck, denen als Bundesstaaten mindestens ein Ab¬ geordneter zufallen mußte. Die gewaltigen Größenunter¬ schiede unserer Reichswahlkreise sind wiederholt betont, aber, so viel ich sehe, noch niemals so lebendig veranschaulicht worden, wie es mit dem Ausdruck in Pluralstimmen geschieht. Ebenso meines Wissens neu wie 8haben von denund erlangen damit LAnteil amPolitischen L >L-WählernEinfluß in Prozentenin Prozenten N-un Reichin Bremenim Reichin Bremen 13,366,3^22,7 28,117,72,38,7 33,61,6 46,73,6 56,617,84,626,3 610,1^,23,02,0 710,62,S^6,3 311,8 911,8140' 1013,3' 114,77,0 124,67,6 131,3 140,81^6— Is0,30,6 Is1,02.0 170,41,0 180,41,71.09,3 190,41.0 20 21 22 23 243,624,0 25o.i0,3 26 270,32,7 reizvoll ist dagegen der Versuch, ein ausgesprochenes Klassenwahlrecht in seinen Wirkungen als Pluralwahlrecht zu beleuchten. Das Wahlrecht zur bremischen Bürgerschaft ist hierfür ein ausgezeichnetes Objekt, weil es mit seiner ständischen Bevorzugung (selbständige Förderung ideeller und materieller Kulturgüter) be¬ sondere soziale Eigenschaften und Fähigkeiten unterstreicht, ohne die Wähler des allgemeinen Wahlrechts ihrer Mitbestimmung zu berauben. Wer von der mittelalterlich anmutenden Schale abzusehen vermag, wird einen gesunden, im guten Sinne modernen Kern finden. Denn Bildung, Besitz und Masse, Produzenten und Konsumenten, jeder Teil kommt zu seinem Rechte. Von den acht Klassen, die das bremische Wahlsystem (Bürgerschaftsgesetz 4 bis 9) kennt, entfällt die Hälfte auf die Sondergruppen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/410>, abgerufen am 15.01.2025.