Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Gleiches Wahlrecht? Von gleicher politischer Befähigung kann da wohl kaum die Rede sein. Als allgemeine Pflichten gegenüber dem Staat, für deren Erfüllung poli¬ Mehr nocht Es ist vom staatlichen Gesichtspunkt aus keineswegs gleich¬ Man darf auch nicht vergessen -- und das soll sich gegen eine mechanische Bei der allgemeinen Wehrpflicht ist anderseits nicht gut zu übersehen, daß So muß der Satz von gleichen Pflichten und Rechten, im Kern analysiert, Wie nun, wenn jemand über dies Mindestmaß hinaus das politische, wirt¬ Grenzboten IV 1912 51
Gleiches Wahlrecht? Von gleicher politischer Befähigung kann da wohl kaum die Rede sein. Als allgemeine Pflichten gegenüber dem Staat, für deren Erfüllung poli¬ Mehr nocht Es ist vom staatlichen Gesichtspunkt aus keineswegs gleich¬ Man darf auch nicht vergessen — und das soll sich gegen eine mechanische Bei der allgemeinen Wehrpflicht ist anderseits nicht gut zu übersehen, daß So muß der Satz von gleichen Pflichten und Rechten, im Kern analysiert, Wie nun, wenn jemand über dies Mindestmaß hinaus das politische, wirt¬ Grenzboten IV 1912 51
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0408" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322810"/> <fw type="header" place="top"> Gleiches Wahlrecht?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1989"> Von gleicher politischer Befähigung kann da wohl kaum die Rede sein.<lb/> Um so nachdrücklicher aber wird die Forderung gleichen Wahlrechts von ihren<lb/> Vertretern mit dem Satze: „Gleiche Pflichten, gleiche Rechte!" begründet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1990"> Als allgemeine Pflichten gegenüber dem Staat, für deren Erfüllung poli¬<lb/> tische Rechte verlangt werden, kommen wesentlich nur die Entrichtung von<lb/> Steuern und die Leistung des Heeresdienstes in Betracht. Hat man aber schon<lb/> jemals von den leidenschaftlichen Freunden der Gleichheit und Gerechtigkeit<lb/> verlangen hören, daß den vom Heeresdienst«und von direkten Steuern Befreiten<lb/> ihr politisches Mitbestimmungsrecht genommen oder auch nur gekürzt werde?</p><lb/> <p xml:id="ID_1991"> Mehr nocht Es ist vom staatlichen Gesichtspunkt aus keineswegs gleich¬<lb/> gültig, aus welchem Geist die Ableistung politischer Pflichten erfolgt. Oder<lb/> besteht kein Unterschied zwischen dem Bürger, der einmal über unbequemen<lb/> staatlichen Zwang schilt, den aber im gleichen Augenblick die Einsicht eines<lb/> besseren belehrt, und dem anderen, der den Widerstand gegen die Pflicht¬<lb/> erfüllung zielbewußt zur antimilitaristischen Organisation oder zur Aufreizung<lb/> eines Steuerstreiks ausdehnt?</p><lb/> <p xml:id="ID_1992"> Man darf auch nicht vergessen — und das soll sich gegen eine mechanische<lb/> Gleichwertung steuerlicher Leistungen wenden — mit wie verschieden großen<lb/> persönlichen Opfern die Erfüllung staatlicher Pflichten bezahlt wird. Wie<lb/> mühelos entrichtet der Rentner seine Steuern, und wie viel schlaflose Nächte,<lb/> welchen Verbrauch an Nervenkraft mag dieselbe Summe dem Großindustriellen<lb/> und Ingenieur, dem genialen Forscher und rastlos hilfreichen Arzte kosten, die<lb/> in ganz besonders hervortretender Weise dem Staat und seinen Gliedern noch<lb/> weit höhere Dienste als Steuern leisten!</p><lb/> <p xml:id="ID_1993"> Bei der allgemeinen Wehrpflicht ist anderseits nicht gut zu übersehen, daß<lb/> sie den ihr Unterliegenden wesentlich verschiedene Vorteile bringt. So gut dem<lb/> Einjährigen auch körperliche Strapazen und nahe Berührung mit den Kameraden<lb/> aus anderen Volksschichten sein mögen, das Dienstjahr macht keinen unerlä߬<lb/> lichen Bestandteil seiner Erziehung aus. Wogegen der Angehörige des Arbeiter¬<lb/> standes, meist auch in jüngerem Alter dienend, abgesehen von der sür Hand¬<lb/> arbeiter besonders wichtigen gesundheitlichen Kräftigung, eine Reihe von Eigen¬<lb/> schaften, verstärkt oder neu erworben, mit ins Leben hinausnimmt, die seinen<lb/> sozialen Wert erheblich steigern. Wären die Wunder unserer riesigen gewerkschaft¬<lb/> lichen Organisationen denkbar ohne die erziehliche Wirkung altpreußischen Drills?</p><lb/> <p xml:id="ID_1994"> So muß der Satz von gleichen Pflichten und Rechten, im Kern analysiert,<lb/> zu der Auffassung führen: die Pflichterfüllung ist nur ein Minimum positiver<lb/> Leistungen im staatlichen Interesse.</p><lb/> <p xml:id="ID_1995" next="#ID_1996"> Wie nun, wenn jemand über dies Mindestmaß hinaus das politische, wirt¬<lb/> schaftliche oder kulturelle Ansehen des Staates erheblich fördert, durch politische<lb/> Tätigkeit, soziale Fürsorge, künstlerische Höchstleistungen, durch Entdeckungen und<lb/> Erfindungen, durch großkaufmännische Unternehmungen, die Brot für Tausende<lb/> schaffen? Dies Mehr, das ein Vielfaches der Mindestforderung sein mag, sollte</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1912 51</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0408]
Gleiches Wahlrecht?
Von gleicher politischer Befähigung kann da wohl kaum die Rede sein.
Um so nachdrücklicher aber wird die Forderung gleichen Wahlrechts von ihren
Vertretern mit dem Satze: „Gleiche Pflichten, gleiche Rechte!" begründet.
Als allgemeine Pflichten gegenüber dem Staat, für deren Erfüllung poli¬
tische Rechte verlangt werden, kommen wesentlich nur die Entrichtung von
Steuern und die Leistung des Heeresdienstes in Betracht. Hat man aber schon
jemals von den leidenschaftlichen Freunden der Gleichheit und Gerechtigkeit
verlangen hören, daß den vom Heeresdienst«und von direkten Steuern Befreiten
ihr politisches Mitbestimmungsrecht genommen oder auch nur gekürzt werde?
Mehr nocht Es ist vom staatlichen Gesichtspunkt aus keineswegs gleich¬
gültig, aus welchem Geist die Ableistung politischer Pflichten erfolgt. Oder
besteht kein Unterschied zwischen dem Bürger, der einmal über unbequemen
staatlichen Zwang schilt, den aber im gleichen Augenblick die Einsicht eines
besseren belehrt, und dem anderen, der den Widerstand gegen die Pflicht¬
erfüllung zielbewußt zur antimilitaristischen Organisation oder zur Aufreizung
eines Steuerstreiks ausdehnt?
Man darf auch nicht vergessen — und das soll sich gegen eine mechanische
Gleichwertung steuerlicher Leistungen wenden — mit wie verschieden großen
persönlichen Opfern die Erfüllung staatlicher Pflichten bezahlt wird. Wie
mühelos entrichtet der Rentner seine Steuern, und wie viel schlaflose Nächte,
welchen Verbrauch an Nervenkraft mag dieselbe Summe dem Großindustriellen
und Ingenieur, dem genialen Forscher und rastlos hilfreichen Arzte kosten, die
in ganz besonders hervortretender Weise dem Staat und seinen Gliedern noch
weit höhere Dienste als Steuern leisten!
Bei der allgemeinen Wehrpflicht ist anderseits nicht gut zu übersehen, daß
sie den ihr Unterliegenden wesentlich verschiedene Vorteile bringt. So gut dem
Einjährigen auch körperliche Strapazen und nahe Berührung mit den Kameraden
aus anderen Volksschichten sein mögen, das Dienstjahr macht keinen unerlä߬
lichen Bestandteil seiner Erziehung aus. Wogegen der Angehörige des Arbeiter¬
standes, meist auch in jüngerem Alter dienend, abgesehen von der sür Hand¬
arbeiter besonders wichtigen gesundheitlichen Kräftigung, eine Reihe von Eigen¬
schaften, verstärkt oder neu erworben, mit ins Leben hinausnimmt, die seinen
sozialen Wert erheblich steigern. Wären die Wunder unserer riesigen gewerkschaft¬
lichen Organisationen denkbar ohne die erziehliche Wirkung altpreußischen Drills?
So muß der Satz von gleichen Pflichten und Rechten, im Kern analysiert,
zu der Auffassung führen: die Pflichterfüllung ist nur ein Minimum positiver
Leistungen im staatlichen Interesse.
Wie nun, wenn jemand über dies Mindestmaß hinaus das politische, wirt¬
schaftliche oder kulturelle Ansehen des Staates erheblich fördert, durch politische
Tätigkeit, soziale Fürsorge, künstlerische Höchstleistungen, durch Entdeckungen und
Erfindungen, durch großkaufmännische Unternehmungen, die Brot für Tausende
schaffen? Dies Mehr, das ein Vielfaches der Mindestforderung sein mag, sollte
Grenzboten IV 1912 51
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