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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

Jedoch noch ehe Karl sein Sprechen wieder aufnehmen kann, wird die Tür
aufgerissen und ein mit ihm etwa in gleichem Alter stehender Bursche kommt
herein. Die Hände ir. den Hosentaschen, mustert er den Besuch mit frechen
Blicken von oben bis unten und fragt dann, sich an die Sitzende wendend, mit
bedeutsamem Augenzwinkern:

"Na, Tante, was will dann der do?"

Aber die Tante ist nicht gut aufgelegt; sie schnarrt den Neffen an:

"Halt dein dumm Maul und pank dich fort aweil; ich kann dich heunt Owend
net brauchet"

"Warum willst du denn heut keine Kippe (Gemeinschaft) mit mir halten?"
schnarrt der Neffe grob und aufbegehrend dagegen. "Ich will wissen, warum ich
fortgeschustert soll werden I"

Da steht die Grek auf, öffnet die Tür, zerrt ihren Neffen am Arm hinaus,
indem sie dazu sagt:

"Morgen, Alter, kannst du wieder kommenl"

Dann nimmt sie ihren alten Platz ein und wendet sich mit einem Kopf-
schnicken an Karl:

"So, du, jetzert mach mal deinen Vers fertig, ich hab net viel Zeit zu ver¬
lieren. Ich weih jetzert immer noch net, was ich mit eurer Geschicht zu schaffen
haben soll!"

Karl kommt es vor, als sei die Jungfer jetzt nicht mehr so sicher wie vorhin,
ehe der Bursche, der Hinklers-Seppel, der mit ihm in der gleichen Schulklasse
gewesen ist, dazwischen gepoltert war.

Nun sagt er kurz und bündig:

"Der Herr Pfarrer hält's vorläufig net für geraten, von der Kanzel herunter
schon etwas zu sagen, und hat gemeint, ich sollt' Euch bitten, Ihr sollt' so unter
den Leut 'rumplaudern, daß es doch net recht wär', sich an meinem Vater seinem
Kreuz so zu versündigen. Er könnt' ja seine Sünden noch vollkommen bereut
haben und so vor der Hölle gerettet sein. Das hat der Herr Pfarrer gemeint,
und hat sich auch sicher viel davon versprochen, sonst hätt' er mich net zu Euch
geschickt!"

Schon während der letzten Worte des jungen Menschen ist die Alte von ihrem
Stuhle aufgestanden, hat die Knöchel der geballten Fäuste auf den Tisch gestemmt
und ihre funkelnden Blicke in die Augen Karls gebohrt. Der muß denken, daß
die Hungels-Grek nun aussehe wie die Weiber, die in den Märchen als Hexen
gezeichnet werden. Sie hat die dünnen Lippen so scharf eingezogen, daß man nur
noch zwei ganz schmale blaßrote Streifen sieht. Es ist, als sei ihr die Mund¬
öffnung durch einen Messerschmied beigebracht worden. Diese zusammengepreßten
Lippen öffnen sich jetzt, und Worte sprühen heraus, die der Haß gekocht und
vergiftet hat:

"So, das meint der Herr Pfarrer? Und so weit kann ein Pfarrer seine
Pflicht vergessen??"

Bis dahin waren die Worte mehr gezischt wie gesprochen, aber jetzt kreischt
die Fromme in hohen Fisteltönen:

"Was ich mein, will ich dir jetzert sagen: das Kreuz sollt' man aus deinem
Vater seinem Grab ausreißen und mit dem Beil in Stücke hacken. Und hundert


Karl Salzer

Jedoch noch ehe Karl sein Sprechen wieder aufnehmen kann, wird die Tür
aufgerissen und ein mit ihm etwa in gleichem Alter stehender Bursche kommt
herein. Die Hände ir. den Hosentaschen, mustert er den Besuch mit frechen
Blicken von oben bis unten und fragt dann, sich an die Sitzende wendend, mit
bedeutsamem Augenzwinkern:

„Na, Tante, was will dann der do?"

Aber die Tante ist nicht gut aufgelegt; sie schnarrt den Neffen an:

„Halt dein dumm Maul und pank dich fort aweil; ich kann dich heunt Owend
net brauchet"

„Warum willst du denn heut keine Kippe (Gemeinschaft) mit mir halten?"
schnarrt der Neffe grob und aufbegehrend dagegen. „Ich will wissen, warum ich
fortgeschustert soll werden I"

Da steht die Grek auf, öffnet die Tür, zerrt ihren Neffen am Arm hinaus,
indem sie dazu sagt:

„Morgen, Alter, kannst du wieder kommenl"

Dann nimmt sie ihren alten Platz ein und wendet sich mit einem Kopf-
schnicken an Karl:

„So, du, jetzert mach mal deinen Vers fertig, ich hab net viel Zeit zu ver¬
lieren. Ich weih jetzert immer noch net, was ich mit eurer Geschicht zu schaffen
haben soll!"

Karl kommt es vor, als sei die Jungfer jetzt nicht mehr so sicher wie vorhin,
ehe der Bursche, der Hinklers-Seppel, der mit ihm in der gleichen Schulklasse
gewesen ist, dazwischen gepoltert war.

Nun sagt er kurz und bündig:

„Der Herr Pfarrer hält's vorläufig net für geraten, von der Kanzel herunter
schon etwas zu sagen, und hat gemeint, ich sollt' Euch bitten, Ihr sollt' so unter
den Leut 'rumplaudern, daß es doch net recht wär', sich an meinem Vater seinem
Kreuz so zu versündigen. Er könnt' ja seine Sünden noch vollkommen bereut
haben und so vor der Hölle gerettet sein. Das hat der Herr Pfarrer gemeint,
und hat sich auch sicher viel davon versprochen, sonst hätt' er mich net zu Euch
geschickt!"

Schon während der letzten Worte des jungen Menschen ist die Alte von ihrem
Stuhle aufgestanden, hat die Knöchel der geballten Fäuste auf den Tisch gestemmt
und ihre funkelnden Blicke in die Augen Karls gebohrt. Der muß denken, daß
die Hungels-Grek nun aussehe wie die Weiber, die in den Märchen als Hexen
gezeichnet werden. Sie hat die dünnen Lippen so scharf eingezogen, daß man nur
noch zwei ganz schmale blaßrote Streifen sieht. Es ist, als sei ihr die Mund¬
öffnung durch einen Messerschmied beigebracht worden. Diese zusammengepreßten
Lippen öffnen sich jetzt, und Worte sprühen heraus, die der Haß gekocht und
vergiftet hat:

„So, das meint der Herr Pfarrer? Und so weit kann ein Pfarrer seine
Pflicht vergessen??"

Bis dahin waren die Worte mehr gezischt wie gesprochen, aber jetzt kreischt
die Fromme in hohen Fisteltönen:

„Was ich mein, will ich dir jetzert sagen: das Kreuz sollt' man aus deinem
Vater seinem Grab ausreißen und mit dem Beil in Stücke hacken. Und hundert


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[0388] Karl Salzer Jedoch noch ehe Karl sein Sprechen wieder aufnehmen kann, wird die Tür aufgerissen und ein mit ihm etwa in gleichem Alter stehender Bursche kommt herein. Die Hände ir. den Hosentaschen, mustert er den Besuch mit frechen Blicken von oben bis unten und fragt dann, sich an die Sitzende wendend, mit bedeutsamem Augenzwinkern: „Na, Tante, was will dann der do?" Aber die Tante ist nicht gut aufgelegt; sie schnarrt den Neffen an: „Halt dein dumm Maul und pank dich fort aweil; ich kann dich heunt Owend net brauchet" „Warum willst du denn heut keine Kippe (Gemeinschaft) mit mir halten?" schnarrt der Neffe grob und aufbegehrend dagegen. „Ich will wissen, warum ich fortgeschustert soll werden I" Da steht die Grek auf, öffnet die Tür, zerrt ihren Neffen am Arm hinaus, indem sie dazu sagt: „Morgen, Alter, kannst du wieder kommenl" Dann nimmt sie ihren alten Platz ein und wendet sich mit einem Kopf- schnicken an Karl: „So, du, jetzert mach mal deinen Vers fertig, ich hab net viel Zeit zu ver¬ lieren. Ich weih jetzert immer noch net, was ich mit eurer Geschicht zu schaffen haben soll!" Karl kommt es vor, als sei die Jungfer jetzt nicht mehr so sicher wie vorhin, ehe der Bursche, der Hinklers-Seppel, der mit ihm in der gleichen Schulklasse gewesen ist, dazwischen gepoltert war. Nun sagt er kurz und bündig: „Der Herr Pfarrer hält's vorläufig net für geraten, von der Kanzel herunter schon etwas zu sagen, und hat gemeint, ich sollt' Euch bitten, Ihr sollt' so unter den Leut 'rumplaudern, daß es doch net recht wär', sich an meinem Vater seinem Kreuz so zu versündigen. Er könnt' ja seine Sünden noch vollkommen bereut haben und so vor der Hölle gerettet sein. Das hat der Herr Pfarrer gemeint, und hat sich auch sicher viel davon versprochen, sonst hätt' er mich net zu Euch geschickt!" Schon während der letzten Worte des jungen Menschen ist die Alte von ihrem Stuhle aufgestanden, hat die Knöchel der geballten Fäuste auf den Tisch gestemmt und ihre funkelnden Blicke in die Augen Karls gebohrt. Der muß denken, daß die Hungels-Grek nun aussehe wie die Weiber, die in den Märchen als Hexen gezeichnet werden. Sie hat die dünnen Lippen so scharf eingezogen, daß man nur noch zwei ganz schmale blaßrote Streifen sieht. Es ist, als sei ihr die Mund¬ öffnung durch einen Messerschmied beigebracht worden. Diese zusammengepreßten Lippen öffnen sich jetzt, und Worte sprühen heraus, die der Haß gekocht und vergiftet hat: „So, das meint der Herr Pfarrer? Und so weit kann ein Pfarrer seine Pflicht vergessen??" Bis dahin waren die Worte mehr gezischt wie gesprochen, aber jetzt kreischt die Fromme in hohen Fisteltönen: „Was ich mein, will ich dir jetzert sagen: das Kreuz sollt' man aus deinem Vater seinem Grab ausreißen und mit dem Beil in Stücke hacken. Und hundert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/388>, abgerufen am 15.01.2025.