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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl Salzer

Und wie wär's mit Fräulein? Ganz sicher würde die Grek das als Hohn auf¬
fassen. Alle Welt ruft ihr eben Grek zu. Aber erstens gehört der Sohn eines
Selbstmörders nicht zu aller Welt, und dann will der Karl Salzer wirklich besonders
höflich sein. Aber es fällt ihm keine Anrede ein, und so sagt er noch rasch, ehe
die Grek den letzten Laden verschließt:

"Kann ich mal hinein zu Euch kommen?"

Huij, reißt da die Grek die Augen auf.

"Was, du zu mir?"

"Der Herr Pfarrer schickt nicht"

"Was, dich schickt der Herr Pfarrer, dich? Dich?"

"Ja, ich war gestern lang bei ihm und hab mit ihm geschwätzt und hab
auch Euch was zu sagen!"

"So, mir hast du was zu sagen? Na, dann komm mal 'rein, ich will dir's
schon verkaufen!"

Zwar hätte die Grek den Burschen am liebsten sofort zum Kuckuck gejagt,
aber wenn der Herr Pfarrer den Kerl geschickt hat.. .!

Sie setzt sich parat, schiebt die Brille auf die Nase und nimmt den Strick¬
strumpf zur Hand. Die Nadeln klappern. Es klopft an.

"Nur herein!"

"Gu' Owend auch!" sagt Karl und denkt daran, daß auch die Hungels-Grek
ihm an dem schrecklichen Tage ein böses Wort nachgerufen hat.

"Da geh mal her, stell dich da hin und sag kurz und bündig, was du willst,
und was der Herr Pfarrer will!" sagt die Grek, indem sie dabei über die Brillen¬
gläser glotzt. Dann sieht sie wieder auf ihren Strickstrumpf, strickt die angefangene
Nadel aus, rollt den Wollknäuel in die schon fertige Röhre des Strumpfes, steckt
die leer gewordene Nadel hindurch, legt das Strickzeug beiseite, setzt die Brille ab
und fixiert den in einiger Entfernung von ihr in dem hellen Lichtkreis der Lampe
stehenden Burschen. Ihre Nase ist stark gebogen, und der Rücken scheint scharf
wie ein Messer. Grelle graue Augen stehen daneben.

Karl hat seine Kappe in der Hand und wartet, bis die Grek so weit ist, um
zuzuhören; dann sagt er:

"Ich weiß net, ob's Euch bekannt ist, daß meinem Vater sein Grab schon
ein paarmal geschändet worden ist, oder vielmehr nur das Kreuz!"

Karl wartet aus Antwort, aber er bekommt keine. Die Grek kneift nur ihre
dünnen Lippen ein und macht:

"Ma!"

"Nun war ich gestern beim Herrn Pfarrer gewesen," fährt Karl fort, "und
Hab's ihm gesagt und hab gemeint, er sollt von der Kanzel herunter sagen, daß
das ungehörig wär'; die Leut sollten das lassen."

Wieder hält der Sprecher inne und schaut die Zuhörende an. Die aber läßt
nur ihre Augen kreisen und funkeln; man kann nicht erraten, was sie denkt. Das
will den Burschen ein wenig unsicher machen; er fragt:

"Ist so was net unrecht?"

"Nur mal weiter, nur mal weiter, auf daß ich hör', was ich mit der Geschieht
zu schaffen habt" drängt die alte Jungfer mit einem scharfen Lauerblick.


Karl Salzer

Und wie wär's mit Fräulein? Ganz sicher würde die Grek das als Hohn auf¬
fassen. Alle Welt ruft ihr eben Grek zu. Aber erstens gehört der Sohn eines
Selbstmörders nicht zu aller Welt, und dann will der Karl Salzer wirklich besonders
höflich sein. Aber es fällt ihm keine Anrede ein, und so sagt er noch rasch, ehe
die Grek den letzten Laden verschließt:

„Kann ich mal hinein zu Euch kommen?"

Huij, reißt da die Grek die Augen auf.

„Was, du zu mir?"

„Der Herr Pfarrer schickt nicht"

„Was, dich schickt der Herr Pfarrer, dich? Dich?"

„Ja, ich war gestern lang bei ihm und hab mit ihm geschwätzt und hab
auch Euch was zu sagen!"

„So, mir hast du was zu sagen? Na, dann komm mal 'rein, ich will dir's
schon verkaufen!"

Zwar hätte die Grek den Burschen am liebsten sofort zum Kuckuck gejagt,
aber wenn der Herr Pfarrer den Kerl geschickt hat.. .!

Sie setzt sich parat, schiebt die Brille auf die Nase und nimmt den Strick¬
strumpf zur Hand. Die Nadeln klappern. Es klopft an.

„Nur herein!"

„Gu' Owend auch!" sagt Karl und denkt daran, daß auch die Hungels-Grek
ihm an dem schrecklichen Tage ein böses Wort nachgerufen hat.

„Da geh mal her, stell dich da hin und sag kurz und bündig, was du willst,
und was der Herr Pfarrer will!" sagt die Grek, indem sie dabei über die Brillen¬
gläser glotzt. Dann sieht sie wieder auf ihren Strickstrumpf, strickt die angefangene
Nadel aus, rollt den Wollknäuel in die schon fertige Röhre des Strumpfes, steckt
die leer gewordene Nadel hindurch, legt das Strickzeug beiseite, setzt die Brille ab
und fixiert den in einiger Entfernung von ihr in dem hellen Lichtkreis der Lampe
stehenden Burschen. Ihre Nase ist stark gebogen, und der Rücken scheint scharf
wie ein Messer. Grelle graue Augen stehen daneben.

Karl hat seine Kappe in der Hand und wartet, bis die Grek so weit ist, um
zuzuhören; dann sagt er:

„Ich weiß net, ob's Euch bekannt ist, daß meinem Vater sein Grab schon
ein paarmal geschändet worden ist, oder vielmehr nur das Kreuz!"

Karl wartet aus Antwort, aber er bekommt keine. Die Grek kneift nur ihre
dünnen Lippen ein und macht:

„Ma!"

„Nun war ich gestern beim Herrn Pfarrer gewesen," fährt Karl fort, „und
Hab's ihm gesagt und hab gemeint, er sollt von der Kanzel herunter sagen, daß
das ungehörig wär'; die Leut sollten das lassen."

Wieder hält der Sprecher inne und schaut die Zuhörende an. Die aber läßt
nur ihre Augen kreisen und funkeln; man kann nicht erraten, was sie denkt. Das
will den Burschen ein wenig unsicher machen; er fragt:

„Ist so was net unrecht?"

„Nur mal weiter, nur mal weiter, auf daß ich hör', was ich mit der Geschieht
zu schaffen habt" drängt die alte Jungfer mit einem scharfen Lauerblick.


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[0387] Karl Salzer Und wie wär's mit Fräulein? Ganz sicher würde die Grek das als Hohn auf¬ fassen. Alle Welt ruft ihr eben Grek zu. Aber erstens gehört der Sohn eines Selbstmörders nicht zu aller Welt, und dann will der Karl Salzer wirklich besonders höflich sein. Aber es fällt ihm keine Anrede ein, und so sagt er noch rasch, ehe die Grek den letzten Laden verschließt: „Kann ich mal hinein zu Euch kommen?" Huij, reißt da die Grek die Augen auf. „Was, du zu mir?" „Der Herr Pfarrer schickt nicht" „Was, dich schickt der Herr Pfarrer, dich? Dich?" „Ja, ich war gestern lang bei ihm und hab mit ihm geschwätzt und hab auch Euch was zu sagen!" „So, mir hast du was zu sagen? Na, dann komm mal 'rein, ich will dir's schon verkaufen!" Zwar hätte die Grek den Burschen am liebsten sofort zum Kuckuck gejagt, aber wenn der Herr Pfarrer den Kerl geschickt hat.. .! Sie setzt sich parat, schiebt die Brille auf die Nase und nimmt den Strick¬ strumpf zur Hand. Die Nadeln klappern. Es klopft an. „Nur herein!" „Gu' Owend auch!" sagt Karl und denkt daran, daß auch die Hungels-Grek ihm an dem schrecklichen Tage ein böses Wort nachgerufen hat. „Da geh mal her, stell dich da hin und sag kurz und bündig, was du willst, und was der Herr Pfarrer will!" sagt die Grek, indem sie dabei über die Brillen¬ gläser glotzt. Dann sieht sie wieder auf ihren Strickstrumpf, strickt die angefangene Nadel aus, rollt den Wollknäuel in die schon fertige Röhre des Strumpfes, steckt die leer gewordene Nadel hindurch, legt das Strickzeug beiseite, setzt die Brille ab und fixiert den in einiger Entfernung von ihr in dem hellen Lichtkreis der Lampe stehenden Burschen. Ihre Nase ist stark gebogen, und der Rücken scheint scharf wie ein Messer. Grelle graue Augen stehen daneben. Karl hat seine Kappe in der Hand und wartet, bis die Grek so weit ist, um zuzuhören; dann sagt er: „Ich weiß net, ob's Euch bekannt ist, daß meinem Vater sein Grab schon ein paarmal geschändet worden ist, oder vielmehr nur das Kreuz!" Karl wartet aus Antwort, aber er bekommt keine. Die Grek kneift nur ihre dünnen Lippen ein und macht: „Ma!" „Nun war ich gestern beim Herrn Pfarrer gewesen," fährt Karl fort, „und Hab's ihm gesagt und hab gemeint, er sollt von der Kanzel herunter sagen, daß das ungehörig wär'; die Leut sollten das lassen." Wieder hält der Sprecher inne und schaut die Zuhörende an. Die aber läßt nur ihre Augen kreisen und funkeln; man kann nicht erraten, was sie denkt. Das will den Burschen ein wenig unsicher machen; er fragt: „Ist so was net unrecht?" „Nur mal weiter, nur mal weiter, auf daß ich hör', was ich mit der Geschieht zu schaffen habt" drängt die alte Jungfer mit einem scharfen Lauerblick.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/387>, abgerufen am 15.01.2025.