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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Die Sprache unserer Reichsgesetze

eingebürgert hätten und den umständlichen Umschreibungen, die das Bürgerliche
Gesetzbuch dafür verwendet, wohl vorzuziehen gewesen wären. Im allgemeinen
aber kann man dem Gesetzgeber nur Dank wissen, daß er mit den Fremd¬
wörtern gründlich aufgeräumt hat. Nach dieser Richtung hat denn auch die
Sprache des Gesetzbuches ganz überwiegend Anerkennung gefunden.

Auch die Nichtigkeit der Sprache verdient warme Anerkennung. Die Ver¬
fasser haben sich offenbar große Mühe um die Wahl des passenden Ausdrucks
und die Beobachtung der Sprachregeln gegeben. Ein Versehen, wie es ihnen
im Z 919 vorgekommen ist, wo von einem "verrückt gewordenen Grenzzeichen"
die Rede ist, wirkt mehr erheiternd als verstimmend.

Weniger leicht als die beiden vorhergehenden Fragen ist die Frage nach
der Klarheit und Schönheit der Sprache zu beantworten. Es ist nicht zu ver¬
kennen, daß die Einwürfe, die man nach dieser Richtung gegen das Gesetzbuch
erhoben hat, es sei für den Laien vollständig unverständlich und bereite selbst
dem Juristen große Schwierigkeiten, es sei weitschweifig, abstrakt und farblos
geschrieben, gehe dem Einfachen, Natürlichen, schlichten aus dem Wege, zu
einem großen Teile wenigstens der Berechtigung nicht entbehren. Es scheint,
als ob diese Ausdrucksweise weniger in einem mangelnden Können als in einem
mangelnden Wollen der Verfasser seinen Grund gehabt habe. Das Gesetzbuch
vermeidet mit Absicht volkstümliche Ausdrücke und sucht in möglichst umständ¬
licher Weise seine Vorschriften so zu fassen, daß alle nur denkbaren Fälle ein¬
begriffen sind, jeder Zweifel ausgeschlossen ist oder es doch sein soll. Damit
wird aber Unerreichbares angestrebt und der Klarheit, Übersichtlichkeit und An¬
schaulichkeit der Sprache Abbruch getan.

Entsprechend der Entwicklung, die unsere neuere Gesetzessprache genommen hat,
vermeidet das Gesetzbuch jede Anführung von Beispielen, was die Lebhaftigkeit und
die Anschaulichkeit der Darstellung ebenfalls sehr beeinträchtigt. Sehr zu loben ist
dagegen, daß der Entwurf eine feste juristische Fachsprache durchführt. Überall,
wo ein Ausdruck wiederkehrt, hat er dieselbe Bedeutung. Die zahlreichen Ver¬
weisungen, die sich finden, erschweren das Verständnis, namentlich da, wo nur
gesagt wird, daß diese oder jene Vorschriften "entsprechende Anwendung" finden.

In auffallendem Gegensatze zu der Sprache des Gesetzbuches selbst steht
die Ausdrucksweise der dickleibigen Motive, die sogar in der Überschrift die
von selbst sich darbietende Verdeutschung "Begründung" verschmähen. Sie
sind mit Fremdwörtern geradezu gespickt und auch sonst in dem herkömmlichen
Stil der Rechtswissenschaft gehalten. Wie man aber auch immer über die
Sprache des Bürgerlichen Gesetzbuches denken mag, jedenfalls ist es hoch zu
veranschlagen, daß die Gesetzgeber auf die Form des Gesetzes so viel Sorgfalt
verwendet haben. Um so mehr ist es zu verwundern, daß dieser Vorstoß auf
sprachlichem Gebiete in unserer Gesetzgebung so wenig Nachahmung gefunden
hat. Denn in den sechzehn Jahren, die seit der Verkündung des Bürgerlichen
Gesetzbuches verflossen sind, hat unsere Gesetzessprache, die allerneueste Zeit viel-


Die Sprache unserer Reichsgesetze

eingebürgert hätten und den umständlichen Umschreibungen, die das Bürgerliche
Gesetzbuch dafür verwendet, wohl vorzuziehen gewesen wären. Im allgemeinen
aber kann man dem Gesetzgeber nur Dank wissen, daß er mit den Fremd¬
wörtern gründlich aufgeräumt hat. Nach dieser Richtung hat denn auch die
Sprache des Gesetzbuches ganz überwiegend Anerkennung gefunden.

Auch die Nichtigkeit der Sprache verdient warme Anerkennung. Die Ver¬
fasser haben sich offenbar große Mühe um die Wahl des passenden Ausdrucks
und die Beobachtung der Sprachregeln gegeben. Ein Versehen, wie es ihnen
im Z 919 vorgekommen ist, wo von einem „verrückt gewordenen Grenzzeichen"
die Rede ist, wirkt mehr erheiternd als verstimmend.

Weniger leicht als die beiden vorhergehenden Fragen ist die Frage nach
der Klarheit und Schönheit der Sprache zu beantworten. Es ist nicht zu ver¬
kennen, daß die Einwürfe, die man nach dieser Richtung gegen das Gesetzbuch
erhoben hat, es sei für den Laien vollständig unverständlich und bereite selbst
dem Juristen große Schwierigkeiten, es sei weitschweifig, abstrakt und farblos
geschrieben, gehe dem Einfachen, Natürlichen, schlichten aus dem Wege, zu
einem großen Teile wenigstens der Berechtigung nicht entbehren. Es scheint,
als ob diese Ausdrucksweise weniger in einem mangelnden Können als in einem
mangelnden Wollen der Verfasser seinen Grund gehabt habe. Das Gesetzbuch
vermeidet mit Absicht volkstümliche Ausdrücke und sucht in möglichst umständ¬
licher Weise seine Vorschriften so zu fassen, daß alle nur denkbaren Fälle ein¬
begriffen sind, jeder Zweifel ausgeschlossen ist oder es doch sein soll. Damit
wird aber Unerreichbares angestrebt und der Klarheit, Übersichtlichkeit und An¬
schaulichkeit der Sprache Abbruch getan.

Entsprechend der Entwicklung, die unsere neuere Gesetzessprache genommen hat,
vermeidet das Gesetzbuch jede Anführung von Beispielen, was die Lebhaftigkeit und
die Anschaulichkeit der Darstellung ebenfalls sehr beeinträchtigt. Sehr zu loben ist
dagegen, daß der Entwurf eine feste juristische Fachsprache durchführt. Überall,
wo ein Ausdruck wiederkehrt, hat er dieselbe Bedeutung. Die zahlreichen Ver¬
weisungen, die sich finden, erschweren das Verständnis, namentlich da, wo nur
gesagt wird, daß diese oder jene Vorschriften „entsprechende Anwendung" finden.

In auffallendem Gegensatze zu der Sprache des Gesetzbuches selbst steht
die Ausdrucksweise der dickleibigen Motive, die sogar in der Überschrift die
von selbst sich darbietende Verdeutschung „Begründung" verschmähen. Sie
sind mit Fremdwörtern geradezu gespickt und auch sonst in dem herkömmlichen
Stil der Rechtswissenschaft gehalten. Wie man aber auch immer über die
Sprache des Bürgerlichen Gesetzbuches denken mag, jedenfalls ist es hoch zu
veranschlagen, daß die Gesetzgeber auf die Form des Gesetzes so viel Sorgfalt
verwendet haben. Um so mehr ist es zu verwundern, daß dieser Vorstoß auf
sprachlichem Gebiete in unserer Gesetzgebung so wenig Nachahmung gefunden
hat. Denn in den sechzehn Jahren, die seit der Verkündung des Bürgerlichen
Gesetzbuches verflossen sind, hat unsere Gesetzessprache, die allerneueste Zeit viel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/371>, abgerufen am 15.01.2025.