Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Die Sprache unserer Reichsgesetze leicht ausgenommen, keine Fortschritte gemacht. Unseren Gesetzen werden zwar Vielleicht vermißt man in der vorstehenden Übersicht über die sprachliche Überblicken wir den vorstehend skizzierten Gang der Entwicklung unserer Die Sprache unserer Reichsgesetze leicht ausgenommen, keine Fortschritte gemacht. Unseren Gesetzen werden zwar Vielleicht vermißt man in der vorstehenden Übersicht über die sprachliche Überblicken wir den vorstehend skizzierten Gang der Entwicklung unserer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322774"/> <fw type="header" place="top"> Die Sprache unserer Reichsgesetze</fw><lb/> <p xml:id="ID_1772" prev="#ID_1771"> leicht ausgenommen, keine Fortschritte gemacht. Unseren Gesetzen werden zwar<lb/> jetzt keine „Motive" mehr beigegeben, sie erhalten dafür eine „Begründung",<lb/> man sucht entbehrliche Fremdwörter zu vermeiden, aber man legt nach wie vor<lb/> kein großes Gewicht auf die sprachliche Fassung der Gesetze. Alles, was auf<lb/> diesem Gebiete erreicht worden ist, ist nur den unablässigen Bemühungen des<lb/> Sprachvereins zu danken. Besondere Erörterung haben drei große Gesetz¬<lb/> entwürfe der letzten Zeit gefunden: Der Entwurf zur Strafprozeßordnung, der<lb/> zur Neichsversicherungsordnung und der Vorentwurf zum Strafgesetzbuche. Die<lb/> beiden erstgenannten Entwürfe sind so eingehend in der Zeitschrift des Sprach¬<lb/> vereins besprochen worden, daß ich mich darüber nicht ausführlicher zu ver¬<lb/> breiten brauche. Man rühmt die Sprache, namentlich die des zweiten Ent¬<lb/> wurfes der Strafprozeßordnung, die bekanntlich auf Veranlassung des Sprach¬<lb/> vereins von Professor Streicher umgearbeitet worden ist. Der Entwurf hat<lb/> durch diese Bearbeitung bedeutend an Klarheit, Knappheit, Richtigkeit und<lb/> Schönheit gewonnen, was allseitig anerkannt wird. Aber der Bearbeiter war<lb/> an sein Vorbild, den ersten Entwurf gebunden und durfte sich deshalb keine<lb/> grundstürzenden sprachlichen Änderungen gestatten. Was er bei der Bearbeitung<lb/> der Reichsversicherungsordnung geleistet hat, ist zu allgemein bekannt geworden<lb/> als daß ich es hier zu rühmen brauchte. Wenig erfreulich dagegen ist die<lb/> Sprache des Vorentwurfs zum neuen Strafgesetzbuche, die Staatsanwalt Wulffen<lb/> in der Zeitschrift Gesetz und Recht einer scharfen, aber größtenteils nicht<lb/> unbegründeten abfälligen Beurteilung unterzogen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1773"> Vielleicht vermißt man in der vorstehenden Übersicht über die sprachliche<lb/> Entwicklung unserer Reichsgesetze viele nicht unbedeutende Gesetze, z. B. die<lb/> Gesetze über militärische Verhältnisse oder die zahlreichen auf Handel und Industrie<lb/> bezüglichen Gesetze, die Gewerbeordnung an der Spitze, die Zoll- und Steuer¬<lb/> gesetze, die Gesetze über das Verkehrswesen usw. Hierzu möchte ich bemerken,<lb/> daß ich alle diese Gesetze und manche andere um deswillen nicht erwähnt habe,<lb/> weil sie sich, mag vielleicht auch das eine sprachlich besser, das andere schlechter<lb/> ausgefallen sein, doch nur inhaltlich voneinander unterscheiden, für die<lb/> Entwicklung unserer Gesetzessprache aber nichts bedeuten, so daß sich auch<lb/> nichts Besonderes und namentlich nichts Kennzeichnendes darüber hätte sagen<lb/> lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1774"> Überblicken wir den vorstehend skizzierten Gang der Entwicklung unserer<lb/> Gesetzessprache, so müssen wir die Frage, ob sie den berechtigten Anforderungen<lb/> entspricht, unbedingt verneinen. Im Zusammenhange mit dieser Tatsache steht<lb/> es, daß die Gesetzessprache und die Sprache des Volkes nur wenig gegenseitige<lb/> Einwirkung aufeinander haben, daß sich im Gegenteil eine tiefe Kluft zwischen<lb/> beiden aufgetan hat. Am deutlichsten tritt dies bei dem Bürgerlichen Gesetzbuche<lb/> zutage, dessen Ausdrucksweise nur sehr geringe Spuren in der Volkssprache hinter¬<lb/> lassen hat, wobei allerdings nicht außer acht zu lassen ist, daß es verhältnismäßig<lb/> erst kurze Zeit in Geltung ist.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0372]
Die Sprache unserer Reichsgesetze
leicht ausgenommen, keine Fortschritte gemacht. Unseren Gesetzen werden zwar
jetzt keine „Motive" mehr beigegeben, sie erhalten dafür eine „Begründung",
man sucht entbehrliche Fremdwörter zu vermeiden, aber man legt nach wie vor
kein großes Gewicht auf die sprachliche Fassung der Gesetze. Alles, was auf
diesem Gebiete erreicht worden ist, ist nur den unablässigen Bemühungen des
Sprachvereins zu danken. Besondere Erörterung haben drei große Gesetz¬
entwürfe der letzten Zeit gefunden: Der Entwurf zur Strafprozeßordnung, der
zur Neichsversicherungsordnung und der Vorentwurf zum Strafgesetzbuche. Die
beiden erstgenannten Entwürfe sind so eingehend in der Zeitschrift des Sprach¬
vereins besprochen worden, daß ich mich darüber nicht ausführlicher zu ver¬
breiten brauche. Man rühmt die Sprache, namentlich die des zweiten Ent¬
wurfes der Strafprozeßordnung, die bekanntlich auf Veranlassung des Sprach¬
vereins von Professor Streicher umgearbeitet worden ist. Der Entwurf hat
durch diese Bearbeitung bedeutend an Klarheit, Knappheit, Richtigkeit und
Schönheit gewonnen, was allseitig anerkannt wird. Aber der Bearbeiter war
an sein Vorbild, den ersten Entwurf gebunden und durfte sich deshalb keine
grundstürzenden sprachlichen Änderungen gestatten. Was er bei der Bearbeitung
der Reichsversicherungsordnung geleistet hat, ist zu allgemein bekannt geworden
als daß ich es hier zu rühmen brauchte. Wenig erfreulich dagegen ist die
Sprache des Vorentwurfs zum neuen Strafgesetzbuche, die Staatsanwalt Wulffen
in der Zeitschrift Gesetz und Recht einer scharfen, aber größtenteils nicht
unbegründeten abfälligen Beurteilung unterzogen hat.
Vielleicht vermißt man in der vorstehenden Übersicht über die sprachliche
Entwicklung unserer Reichsgesetze viele nicht unbedeutende Gesetze, z. B. die
Gesetze über militärische Verhältnisse oder die zahlreichen auf Handel und Industrie
bezüglichen Gesetze, die Gewerbeordnung an der Spitze, die Zoll- und Steuer¬
gesetze, die Gesetze über das Verkehrswesen usw. Hierzu möchte ich bemerken,
daß ich alle diese Gesetze und manche andere um deswillen nicht erwähnt habe,
weil sie sich, mag vielleicht auch das eine sprachlich besser, das andere schlechter
ausgefallen sein, doch nur inhaltlich voneinander unterscheiden, für die
Entwicklung unserer Gesetzessprache aber nichts bedeuten, so daß sich auch
nichts Besonderes und namentlich nichts Kennzeichnendes darüber hätte sagen
lassen.
Überblicken wir den vorstehend skizzierten Gang der Entwicklung unserer
Gesetzessprache, so müssen wir die Frage, ob sie den berechtigten Anforderungen
entspricht, unbedingt verneinen. Im Zusammenhange mit dieser Tatsache steht
es, daß die Gesetzessprache und die Sprache des Volkes nur wenig gegenseitige
Einwirkung aufeinander haben, daß sich im Gegenteil eine tiefe Kluft zwischen
beiden aufgetan hat. Am deutlichsten tritt dies bei dem Bürgerlichen Gesetzbuche
zutage, dessen Ausdrucksweise nur sehr geringe Spuren in der Volkssprache hinter¬
lassen hat, wobei allerdings nicht außer acht zu lassen ist, daß es verhältnismäßig
erst kurze Zeit in Geltung ist.
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