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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Prometheus und Zarathustra

als vielen Fremden. Spitteler, der ersten Generation nach dem Baseler Bürger¬
krieg angehörig, sah als Student in Basel und als Einwohner in Liestal, der
neuen Hauptstadt des neuen Kantons Baselland, den Konflikt mit eigenen
Augen. Er lebte als Schüler und Student in Liestal und fuhr täglich nach
Basel hinein, um von den Patrizierprofessoren zu lernen. Künstler neigen
naturgemäß immer zur Aristokratie, außerdem sind die Schweizer überhaupt
das aristokratischste Volk in Europa. Der alte Geburtsade! aber fiel, wenigstens
im Reiche und in der Schweiz verlor er bereits früher die Führerschaft, und
der neue Geistes- und Geldadel war noch nirgends zu sehen, -- so mußten
ihn die Seher erträumen, da die Menschheit ohne Adel nun mal nicht leben
kann. Die Sucher nach einem neuen, echten Adel im Zeitalter der Natur¬
wissenschaft konnten sich nicht von genealogischen Äußerlichkeiten führen lassen,
der Almanach von Gotha schien ihnen nicht verläßlich. Mußte da das Gefühl
einer bevorstehenden neuen Auslese der Menschheit nicht wieder in der Vor¬
stellung des Übermenschen münden?

"Die epischen Ingredienzien des .Zarathustra'" geben für Bernouilli einen
weiteren Beweis für die Abhängigkeit vom "Prometheus". Unter diesen
epischen Ingredienzien kann nichts anderes verstanden werden, als die Gestalt
des Zarathustra und alle eigentliche Handlungen, die äußere Erscheinung von
Zarathustras Schicksal, denn das ist das einzige, was als Rahmen die lose
aneinandergereihten Sprüche zusammenhält. Nach Ragaz konnte die Ver¬
schmelzung des ursprünglichen "Zarathustra"-Planes, mit einem hiervon unab¬
hängigen Buch von Sprüchen zum heutigen "Zarathustra", Ende 1882, über¬
haupt nur durch die Lektüre des "Prometheus" erfolgen. Wie ist's damit
beschaffen? Der epische Rahmen in "Zarathustra" ist ein untergeordnetes
Ornament, weit weniger gewichtig, als in "Bocaccio" oder in "Tausend und
eine Nacht". Was geschieht eigentlich, episch genommen, im "Zarathustra"?

"Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und
den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoß er seines
Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde." Nach
den 10 Jahren kehrt er zu den Menschen zurück. Auf dem Wege ereignen
sich noch die zwei symbolischen Abenteuer im "Till Ulenspiegel"-Stil und dann
beginnt Zarathustra zu sprechen. Er spricht, -- das ist alles und was er
spricht, sind eben "Nietzsches" Sprüche, die er jahrelang gesammelt, die, so
schön und tief sie sein mögen, mit "Zarathustra" und oft miteinander herzlich
wenig zu tun haben, sondern sie haben es mit Nietzsche und mit der Philosophie
zu tun. Kaum vier bis fünf Mal unterbricht eine epische Stelle die sast fünf¬
hundert Seiten starke Rubauat Nietzsches. So viel ist sicher, daß eben diese
epischen Stellen von ärmster Unoriginalität sind, nur weisen sie auf andere
Muster entschiedener als auf Spitteler hin. Untersuchen wir diese Fälle einzeln.

Der Eingang. Es wurde hervorgehoben, daß Zarathustra gleich dem
Prometheus sich in der Blüte seiner Jahre von der menschlichen Gesellschaft


Prometheus und Zarathustra

als vielen Fremden. Spitteler, der ersten Generation nach dem Baseler Bürger¬
krieg angehörig, sah als Student in Basel und als Einwohner in Liestal, der
neuen Hauptstadt des neuen Kantons Baselland, den Konflikt mit eigenen
Augen. Er lebte als Schüler und Student in Liestal und fuhr täglich nach
Basel hinein, um von den Patrizierprofessoren zu lernen. Künstler neigen
naturgemäß immer zur Aristokratie, außerdem sind die Schweizer überhaupt
das aristokratischste Volk in Europa. Der alte Geburtsade! aber fiel, wenigstens
im Reiche und in der Schweiz verlor er bereits früher die Führerschaft, und
der neue Geistes- und Geldadel war noch nirgends zu sehen, — so mußten
ihn die Seher erträumen, da die Menschheit ohne Adel nun mal nicht leben
kann. Die Sucher nach einem neuen, echten Adel im Zeitalter der Natur¬
wissenschaft konnten sich nicht von genealogischen Äußerlichkeiten führen lassen,
der Almanach von Gotha schien ihnen nicht verläßlich. Mußte da das Gefühl
einer bevorstehenden neuen Auslese der Menschheit nicht wieder in der Vor¬
stellung des Übermenschen münden?

„Die epischen Ingredienzien des .Zarathustra'" geben für Bernouilli einen
weiteren Beweis für die Abhängigkeit vom „Prometheus". Unter diesen
epischen Ingredienzien kann nichts anderes verstanden werden, als die Gestalt
des Zarathustra und alle eigentliche Handlungen, die äußere Erscheinung von
Zarathustras Schicksal, denn das ist das einzige, was als Rahmen die lose
aneinandergereihten Sprüche zusammenhält. Nach Ragaz konnte die Ver¬
schmelzung des ursprünglichen „Zarathustra"-Planes, mit einem hiervon unab¬
hängigen Buch von Sprüchen zum heutigen „Zarathustra", Ende 1882, über¬
haupt nur durch die Lektüre des „Prometheus" erfolgen. Wie ist's damit
beschaffen? Der epische Rahmen in „Zarathustra" ist ein untergeordnetes
Ornament, weit weniger gewichtig, als in „Bocaccio" oder in „Tausend und
eine Nacht". Was geschieht eigentlich, episch genommen, im „Zarathustra"?

„Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und
den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoß er seines
Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde." Nach
den 10 Jahren kehrt er zu den Menschen zurück. Auf dem Wege ereignen
sich noch die zwei symbolischen Abenteuer im „Till Ulenspiegel"-Stil und dann
beginnt Zarathustra zu sprechen. Er spricht, — das ist alles und was er
spricht, sind eben „Nietzsches" Sprüche, die er jahrelang gesammelt, die, so
schön und tief sie sein mögen, mit „Zarathustra" und oft miteinander herzlich
wenig zu tun haben, sondern sie haben es mit Nietzsche und mit der Philosophie
zu tun. Kaum vier bis fünf Mal unterbricht eine epische Stelle die sast fünf¬
hundert Seiten starke Rubauat Nietzsches. So viel ist sicher, daß eben diese
epischen Stellen von ärmster Unoriginalität sind, nur weisen sie auf andere
Muster entschiedener als auf Spitteler hin. Untersuchen wir diese Fälle einzeln.

Der Eingang. Es wurde hervorgehoben, daß Zarathustra gleich dem
Prometheus sich in der Blüte seiner Jahre von der menschlichen Gesellschaft


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[0318] Prometheus und Zarathustra als vielen Fremden. Spitteler, der ersten Generation nach dem Baseler Bürger¬ krieg angehörig, sah als Student in Basel und als Einwohner in Liestal, der neuen Hauptstadt des neuen Kantons Baselland, den Konflikt mit eigenen Augen. Er lebte als Schüler und Student in Liestal und fuhr täglich nach Basel hinein, um von den Patrizierprofessoren zu lernen. Künstler neigen naturgemäß immer zur Aristokratie, außerdem sind die Schweizer überhaupt das aristokratischste Volk in Europa. Der alte Geburtsade! aber fiel, wenigstens im Reiche und in der Schweiz verlor er bereits früher die Führerschaft, und der neue Geistes- und Geldadel war noch nirgends zu sehen, — so mußten ihn die Seher erträumen, da die Menschheit ohne Adel nun mal nicht leben kann. Die Sucher nach einem neuen, echten Adel im Zeitalter der Natur¬ wissenschaft konnten sich nicht von genealogischen Äußerlichkeiten führen lassen, der Almanach von Gotha schien ihnen nicht verläßlich. Mußte da das Gefühl einer bevorstehenden neuen Auslese der Menschheit nicht wieder in der Vor¬ stellung des Übermenschen münden? „Die epischen Ingredienzien des .Zarathustra'" geben für Bernouilli einen weiteren Beweis für die Abhängigkeit vom „Prometheus". Unter diesen epischen Ingredienzien kann nichts anderes verstanden werden, als die Gestalt des Zarathustra und alle eigentliche Handlungen, die äußere Erscheinung von Zarathustras Schicksal, denn das ist das einzige, was als Rahmen die lose aneinandergereihten Sprüche zusammenhält. Nach Ragaz konnte die Ver¬ schmelzung des ursprünglichen „Zarathustra"-Planes, mit einem hiervon unab¬ hängigen Buch von Sprüchen zum heutigen „Zarathustra", Ende 1882, über¬ haupt nur durch die Lektüre des „Prometheus" erfolgen. Wie ist's damit beschaffen? Der epische Rahmen in „Zarathustra" ist ein untergeordnetes Ornament, weit weniger gewichtig, als in „Bocaccio" oder in „Tausend und eine Nacht". Was geschieht eigentlich, episch genommen, im „Zarathustra"? „Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoß er seines Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde." Nach den 10 Jahren kehrt er zu den Menschen zurück. Auf dem Wege ereignen sich noch die zwei symbolischen Abenteuer im „Till Ulenspiegel"-Stil und dann beginnt Zarathustra zu sprechen. Er spricht, — das ist alles und was er spricht, sind eben „Nietzsches" Sprüche, die er jahrelang gesammelt, die, so schön und tief sie sein mögen, mit „Zarathustra" und oft miteinander herzlich wenig zu tun haben, sondern sie haben es mit Nietzsche und mit der Philosophie zu tun. Kaum vier bis fünf Mal unterbricht eine epische Stelle die sast fünf¬ hundert Seiten starke Rubauat Nietzsches. So viel ist sicher, daß eben diese epischen Stellen von ärmster Unoriginalität sind, nur weisen sie auf andere Muster entschiedener als auf Spitteler hin. Untersuchen wir diese Fälle einzeln. Der Eingang. Es wurde hervorgehoben, daß Zarathustra gleich dem Prometheus sich in der Blüte seiner Jahre von der menschlichen Gesellschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/318>, abgerufen am 15.01.2025.