Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Prometheus und Zarathustra Zu diesem Tatbestand kam seither kein neues historisches Material, es sei Was viele andere über diese Frage geschrieben, ist kaum von Belang und Was folgt unzweideutig aus diesem historischen Material? 1. Daß von einer Abhängigkeit nur bei Nietzsche gesprochen werden kann, 2. Die Möglichkeit dessen, daß Nietzsche das Werk Spittelers gekannt habe, Spitteler ist kein Literarhistoriker, er ist Dichter und hat als solcher wahr¬ Erstens muß festgestellt werden, daß Spitteler die Behauptung. Nietzsche *) C, A, Bernouilli: "Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche." Jena 1908. I. 388, Vgl. Bernouilli, a. a. O, I. 303. Hermann F. Hofmann: "Carl Spitteler, Eine Einführung in seine Werke." Wanderer¬ verlag, Magdeburg 1S12, S. 12. f) Um dem Irrtum vorzubeugen, ich griffe hier Spitteler an, den ich als Dichter und
als Menschen in gleich hohem Maße verehre, sei ausdrücklich betont, daß ihn seine vornehme, jeglicher Autoreneitelkeit fremde Zurückhaltung zur ursprünglichen Hypothese seiner Abhängigkeit von Nietzsche jahrelang lächelnd schweigen ließ, da er doch den schlagenden Beweis seiner Ursprünglichkeit in Händen hatte. Nur Frau Försters Angriff brachte ihm zum Sprechen. Daß der Literarhistoriker an die Beweiskraft äußerer Umstände einen anderen Maßstab anlegt, als der Dichter, das wird Spitteler und auch jeder andere begreifen und gelten lassen. Prometheus und Zarathustra Zu diesem Tatbestand kam seither kein neues historisches Material, es sei Was viele andere über diese Frage geschrieben, ist kaum von Belang und Was folgt unzweideutig aus diesem historischen Material? 1. Daß von einer Abhängigkeit nur bei Nietzsche gesprochen werden kann, 2. Die Möglichkeit dessen, daß Nietzsche das Werk Spittelers gekannt habe, Spitteler ist kein Literarhistoriker, er ist Dichter und hat als solcher wahr¬ Erstens muß festgestellt werden, daß Spitteler die Behauptung. Nietzsche *) C, A, Bernouilli: „Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche." Jena 1908. I. 388, Vgl. Bernouilli, a. a. O, I. 303. Hermann F. Hofmann: „Carl Spitteler, Eine Einführung in seine Werke." Wanderer¬ verlag, Magdeburg 1S12, S. 12. f) Um dem Irrtum vorzubeugen, ich griffe hier Spitteler an, den ich als Dichter und
als Menschen in gleich hohem Maße verehre, sei ausdrücklich betont, daß ihn seine vornehme, jeglicher Autoreneitelkeit fremde Zurückhaltung zur ursprünglichen Hypothese seiner Abhängigkeit von Nietzsche jahrelang lächelnd schweigen ließ, da er doch den schlagenden Beweis seiner Ursprünglichkeit in Händen hatte. Nur Frau Försters Angriff brachte ihm zum Sprechen. Daß der Literarhistoriker an die Beweiskraft äußerer Umstände einen anderen Maßstab anlegt, als der Dichter, das wird Spitteler und auch jeder andere begreifen und gelten lassen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322713"/> <fw type="header" place="top"> Prometheus und Zarathustra</fw><lb/> <p xml:id="ID_1459"> Zu diesem Tatbestand kam seither kein neues historisches Material, es sei<lb/> denn die karge Bemerkung Bernouillis"): „Frau Overbeck las das Buch im<lb/> Jahre 1882 unmittelbar nach Erscheinen des zweiten Teiles und wollte bei<lb/> einem der Besuche Nietzsches in jenem Jahre das Gespräch darauf lenken;<lb/> Nietzsche verhielt sich aber völlig gleichgültig und achtlos, wie gegen etwas, das<lb/> ihn weder interessierte noch ihm bekannt war." Halten wir vorerst fest, daß<lb/> Nietzsche im Jahre 1882 anfangs Mai fünf Tage bei Ooerbecks zu Besuch<lb/> war und daß „Zarathustra" im Winter desselben Jahres vollendet wurde,<lb/> wenigstens Buch 1 bis 3'^).</p><lb/> <p xml:id="ID_1460"> Was viele andere über diese Frage geschrieben, ist kaum von Belang und<lb/> wenn Hermann F. Hofmann in bezug auf eine mögliche Abhängigkeit des<lb/> „Pronietheus" vom „Zarathustra" sagt: „Wir wissen jetzt bestimmt, daß es<lb/> sich umgekehrt verhält, daß Nietzsche Spittelers Werk gekannt hat" — so ist<lb/> sein „Wir" entweder als pluralis majestatis aufzufassen, oder es umfaßt nur<lb/> die, die jede neue Lehre durch ihre Neuheit für bewiesen erachten. Nein,<lb/> bestimmt wissen wir das noch lange nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1461"> Was folgt unzweideutig aus diesem historischen Material?</p><lb/> <p xml:id="ID_1462"> 1. Daß von einer Abhängigkeit nur bei Nietzsche gesprochen werden kann,<lb/> da doch der „Prometheus" vor dem „Zarathustra" bereits fertig war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1463"> 2. Die Möglichkeit dessen, daß Nietzsche das Werk Spittelers gekannt habe,<lb/> ist gegeben, jedoch ist die Wahrscheinlichkeit nicht so überzeugend, wie sie nach<lb/> den Ausführungen Spittelers auf den ersten Anblick erscheint, dagegen ist jegliche<lb/> Gewißheit vom historischen Standpunkt aus der Luft gegriffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1464"> Spitteler ist kein Literarhistoriker, er ist Dichter und hat als solcher wahr¬<lb/> haftig keinen Grund, allen Einzelheiten in Nietzsches Leben nachzugehen, die<lb/> der Wahrscheinlichkeit seiner Annahme Abbruch tun könnten f).</p><lb/> <p xml:id="ID_1465" next="#ID_1466"> Erstens muß festgestellt werden, daß Spitteler die Behauptung. Nietzsche<lb/> habe den „Prometheus" vor Abfassung des „Zarathustra" gekannt, im Jahre<lb/> 1908 nicht in dem bestimmten Ton des Kunstwartartikels von 1902 wiederholt,<lb/> sondern nur die Möglichkeit zu beweisen sucht. Ist ihn: inzwischen nach<lb/> genauerer Überprüfung seiner Erinnerungen die Gewißheit des Jahres 1902<lb/> zu einer Wahrscheinlichkeit herabgesunken? Es ist recht begreiflich, daß Spitteler</p><lb/> <note xml:id="FID_30" place="foot"> *) C, A, Bernouilli: „Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche." Jena 1908. I. 388,</note><lb/> <note xml:id="FID_31" place="foot"> Vgl. Bernouilli, a. a. O, I. 303.</note><lb/> <note xml:id="FID_32" place="foot"> Hermann F. Hofmann: „Carl Spitteler, Eine Einführung in seine Werke." Wanderer¬<lb/> verlag, Magdeburg 1S12, S. 12.</note><lb/> <note xml:id="FID_33" place="foot"> f) Um dem Irrtum vorzubeugen, ich griffe hier Spitteler an, den ich als Dichter und<lb/> als Menschen in gleich hohem Maße verehre, sei ausdrücklich betont, daß ihn seine vornehme,<lb/> jeglicher Autoreneitelkeit fremde Zurückhaltung zur ursprünglichen Hypothese seiner Abhängigkeit<lb/> von Nietzsche jahrelang lächelnd schweigen ließ, da er doch den schlagenden Beweis seiner<lb/> Ursprünglichkeit in Händen hatte. Nur Frau Försters Angriff brachte ihm zum Sprechen.<lb/> Daß der Literarhistoriker an die Beweiskraft äußerer Umstände einen anderen Maßstab anlegt,<lb/> als der Dichter, das wird Spitteler und auch jeder andere begreifen und gelten lassen.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
Prometheus und Zarathustra
Zu diesem Tatbestand kam seither kein neues historisches Material, es sei
denn die karge Bemerkung Bernouillis"): „Frau Overbeck las das Buch im
Jahre 1882 unmittelbar nach Erscheinen des zweiten Teiles und wollte bei
einem der Besuche Nietzsches in jenem Jahre das Gespräch darauf lenken;
Nietzsche verhielt sich aber völlig gleichgültig und achtlos, wie gegen etwas, das
ihn weder interessierte noch ihm bekannt war." Halten wir vorerst fest, daß
Nietzsche im Jahre 1882 anfangs Mai fünf Tage bei Ooerbecks zu Besuch
war und daß „Zarathustra" im Winter desselben Jahres vollendet wurde,
wenigstens Buch 1 bis 3'^).
Was viele andere über diese Frage geschrieben, ist kaum von Belang und
wenn Hermann F. Hofmann in bezug auf eine mögliche Abhängigkeit des
„Pronietheus" vom „Zarathustra" sagt: „Wir wissen jetzt bestimmt, daß es
sich umgekehrt verhält, daß Nietzsche Spittelers Werk gekannt hat" — so ist
sein „Wir" entweder als pluralis majestatis aufzufassen, oder es umfaßt nur
die, die jede neue Lehre durch ihre Neuheit für bewiesen erachten. Nein,
bestimmt wissen wir das noch lange nicht.
Was folgt unzweideutig aus diesem historischen Material?
1. Daß von einer Abhängigkeit nur bei Nietzsche gesprochen werden kann,
da doch der „Prometheus" vor dem „Zarathustra" bereits fertig war.
2. Die Möglichkeit dessen, daß Nietzsche das Werk Spittelers gekannt habe,
ist gegeben, jedoch ist die Wahrscheinlichkeit nicht so überzeugend, wie sie nach
den Ausführungen Spittelers auf den ersten Anblick erscheint, dagegen ist jegliche
Gewißheit vom historischen Standpunkt aus der Luft gegriffen.
Spitteler ist kein Literarhistoriker, er ist Dichter und hat als solcher wahr¬
haftig keinen Grund, allen Einzelheiten in Nietzsches Leben nachzugehen, die
der Wahrscheinlichkeit seiner Annahme Abbruch tun könnten f).
Erstens muß festgestellt werden, daß Spitteler die Behauptung. Nietzsche
habe den „Prometheus" vor Abfassung des „Zarathustra" gekannt, im Jahre
1908 nicht in dem bestimmten Ton des Kunstwartartikels von 1902 wiederholt,
sondern nur die Möglichkeit zu beweisen sucht. Ist ihn: inzwischen nach
genauerer Überprüfung seiner Erinnerungen die Gewißheit des Jahres 1902
zu einer Wahrscheinlichkeit herabgesunken? Es ist recht begreiflich, daß Spitteler
*) C, A, Bernouilli: „Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche." Jena 1908. I. 388,
Vgl. Bernouilli, a. a. O, I. 303.
Hermann F. Hofmann: „Carl Spitteler, Eine Einführung in seine Werke." Wanderer¬
verlag, Magdeburg 1S12, S. 12.
f) Um dem Irrtum vorzubeugen, ich griffe hier Spitteler an, den ich als Dichter und
als Menschen in gleich hohem Maße verehre, sei ausdrücklich betont, daß ihn seine vornehme,
jeglicher Autoreneitelkeit fremde Zurückhaltung zur ursprünglichen Hypothese seiner Abhängigkeit
von Nietzsche jahrelang lächelnd schweigen ließ, da er doch den schlagenden Beweis seiner
Ursprünglichkeit in Händen hatte. Nur Frau Försters Angriff brachte ihm zum Sprechen.
Daß der Literarhistoriker an die Beweiskraft äußerer Umstände einen anderen Maßstab anlegt,
als der Dichter, das wird Spitteler und auch jeder andere begreifen und gelten lassen.
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