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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Max Dauthendey

zu fremd, sie bleiben uns Kuriositäten, die wir anstaunen, aber nicht unserem
Vorstellungsschatz einzuordnen vermögen. Denn noch ist die Erde dem ge¬
wöhnlichen Menschen zu groß und von Indiens Wundern, Chinas Emsigkeit
und Japans Zierlichkeit ist noch gar zu wenig ins Allgemeinbewußtsein ein¬
gedrungen. So muß denn auch der Dichter statt zu schildern, allzu oft be¬
schreiben, was denn nicht selten einen gereimten Bädeker ergibt, über den man
füglich den Kopf schüttelt.

Aber noch andere Früchte hat uns diese Weltreise des Dichters gebracht,
den Roman "Raubmenschen" und die bereits erwähnten "Japanischen Novellen".
Wie Vorübungen dazu, kaum mehr, nehmen sich die unter dem Titel "Lingam"
vereinigten astatischen Novellen aus. Es sind gutgeschliffene Skizzen, die fast
alle in der Weise angelegt sind, daß gelegentlich der Schilderung einer inter¬
essanten Örtlichkeit ein exotischer Charakter skizziert wird. Mit Kiplings Ge¬
schichten, denen man sie zur Seite gestellt hat, können sie sich nicht messen, dazu
sehlt ihnen die Bodenständigkeit und das lebendige Verständnis für die not¬
wendige Eigenart der geschilderten Menschen, ein Mangel, der sich übrigens auch
in der "Geflügelten Erde" unangenehm bemerkbar macht, wo Bauchenden
über Buddhismus und indische Askese spricht, wie der "Arme Mann im Tocken-
burg" über Shakespeare!*)

Einen Fortschritt demgegenüber bedeutet der Roman "Raubmenschen", der
uns von der Küste der Bretagne nach Amerika und Mexiko führt. Freilich
können uns weder die Handlung, von welcher der Dichter selbst zugibt, daß sie
sich ein wenig kolportagehaft ausnimmt, noch die nur von außen gesehenen
Menschen interessieren, aber die Schilderungen, von denen nur die Ankunft am
Atlant, das Vogelfest, die Einfahrt im Newnorker Hafen, der Brand der Hoch¬
bahn, der Einbruch der Tropennacht und der großartige Sturm auf der Rück¬
fahrt hervorgehoben seien, sind ganz wundervoll. Es sind nicht mehr bloße
Bilder, sondern Erlebnisse, Erlebnisse mit allen Nerven aufgenommen und mit
erstaunlicher Anschaulichkeit und Lebendigkeit wiedergegeben. Duftiger sind die
Japanischen Novellen mit dem Titel "Die acht Gesichter am Biwasee". Mag
sein, daß auch sie nicht ganz echt in der Auffassung sind, wir sind keine
Japaner, also kommt für uns wenig darauf an. Aber wie zart ist die eigen¬
tümliche Naturstimmung erfaßt, der Nachtregen, der Mondschein, die Segel¬
boote, und seit Albert Samains Novellen habe ich nicht wieder etwas so Gra¬
ziöses gelesen wie den "Flug der Wildgänse" oder die zweite von "Hasenauges"
Geschichten, während die dritte mit den grandiosen Kriegsprahlereien an die
übermütigsten Schwänke der Nenaissanceliteratur erinnert.



*) Alle aufrichtigen Shakespeareverehrer seien in? Vorbeigehen auf diese naiven und
ungelehrten, aber frischen und ein wohltuendes Dokument herzlichen Kunstgenusses bildenden
Aufzeichnungen Ulrich Bräkers, eines armen schweizerischen Webers und Handelsmannes, hin¬
gewiesen. Sie sind erschienen in einem für den anspruchslosen Inhalt fast zu schön aus¬
gestatteten Bande bei Meyer u. Jessen, Berlin 1911.
Max Dauthendey

zu fremd, sie bleiben uns Kuriositäten, die wir anstaunen, aber nicht unserem
Vorstellungsschatz einzuordnen vermögen. Denn noch ist die Erde dem ge¬
wöhnlichen Menschen zu groß und von Indiens Wundern, Chinas Emsigkeit
und Japans Zierlichkeit ist noch gar zu wenig ins Allgemeinbewußtsein ein¬
gedrungen. So muß denn auch der Dichter statt zu schildern, allzu oft be¬
schreiben, was denn nicht selten einen gereimten Bädeker ergibt, über den man
füglich den Kopf schüttelt.

Aber noch andere Früchte hat uns diese Weltreise des Dichters gebracht,
den Roman „Raubmenschen" und die bereits erwähnten „Japanischen Novellen".
Wie Vorübungen dazu, kaum mehr, nehmen sich die unter dem Titel „Lingam"
vereinigten astatischen Novellen aus. Es sind gutgeschliffene Skizzen, die fast
alle in der Weise angelegt sind, daß gelegentlich der Schilderung einer inter¬
essanten Örtlichkeit ein exotischer Charakter skizziert wird. Mit Kiplings Ge¬
schichten, denen man sie zur Seite gestellt hat, können sie sich nicht messen, dazu
sehlt ihnen die Bodenständigkeit und das lebendige Verständnis für die not¬
wendige Eigenart der geschilderten Menschen, ein Mangel, der sich übrigens auch
in der „Geflügelten Erde" unangenehm bemerkbar macht, wo Bauchenden
über Buddhismus und indische Askese spricht, wie der „Arme Mann im Tocken-
burg" über Shakespeare!*)

Einen Fortschritt demgegenüber bedeutet der Roman „Raubmenschen", der
uns von der Küste der Bretagne nach Amerika und Mexiko führt. Freilich
können uns weder die Handlung, von welcher der Dichter selbst zugibt, daß sie
sich ein wenig kolportagehaft ausnimmt, noch die nur von außen gesehenen
Menschen interessieren, aber die Schilderungen, von denen nur die Ankunft am
Atlant, das Vogelfest, die Einfahrt im Newnorker Hafen, der Brand der Hoch¬
bahn, der Einbruch der Tropennacht und der großartige Sturm auf der Rück¬
fahrt hervorgehoben seien, sind ganz wundervoll. Es sind nicht mehr bloße
Bilder, sondern Erlebnisse, Erlebnisse mit allen Nerven aufgenommen und mit
erstaunlicher Anschaulichkeit und Lebendigkeit wiedergegeben. Duftiger sind die
Japanischen Novellen mit dem Titel „Die acht Gesichter am Biwasee". Mag
sein, daß auch sie nicht ganz echt in der Auffassung sind, wir sind keine
Japaner, also kommt für uns wenig darauf an. Aber wie zart ist die eigen¬
tümliche Naturstimmung erfaßt, der Nachtregen, der Mondschein, die Segel¬
boote, und seit Albert Samains Novellen habe ich nicht wieder etwas so Gra¬
ziöses gelesen wie den „Flug der Wildgänse" oder die zweite von „Hasenauges"
Geschichten, während die dritte mit den grandiosen Kriegsprahlereien an die
übermütigsten Schwänke der Nenaissanceliteratur erinnert.



*) Alle aufrichtigen Shakespeareverehrer seien in? Vorbeigehen auf diese naiven und
ungelehrten, aber frischen und ein wohltuendes Dokument herzlichen Kunstgenusses bildenden
Aufzeichnungen Ulrich Bräkers, eines armen schweizerischen Webers und Handelsmannes, hin¬
gewiesen. Sie sind erschienen in einem für den anspruchslosen Inhalt fast zu schön aus¬
gestatteten Bande bei Meyer u. Jessen, Berlin 1911.
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[0242] Max Dauthendey zu fremd, sie bleiben uns Kuriositäten, die wir anstaunen, aber nicht unserem Vorstellungsschatz einzuordnen vermögen. Denn noch ist die Erde dem ge¬ wöhnlichen Menschen zu groß und von Indiens Wundern, Chinas Emsigkeit und Japans Zierlichkeit ist noch gar zu wenig ins Allgemeinbewußtsein ein¬ gedrungen. So muß denn auch der Dichter statt zu schildern, allzu oft be¬ schreiben, was denn nicht selten einen gereimten Bädeker ergibt, über den man füglich den Kopf schüttelt. Aber noch andere Früchte hat uns diese Weltreise des Dichters gebracht, den Roman „Raubmenschen" und die bereits erwähnten „Japanischen Novellen". Wie Vorübungen dazu, kaum mehr, nehmen sich die unter dem Titel „Lingam" vereinigten astatischen Novellen aus. Es sind gutgeschliffene Skizzen, die fast alle in der Weise angelegt sind, daß gelegentlich der Schilderung einer inter¬ essanten Örtlichkeit ein exotischer Charakter skizziert wird. Mit Kiplings Ge¬ schichten, denen man sie zur Seite gestellt hat, können sie sich nicht messen, dazu sehlt ihnen die Bodenständigkeit und das lebendige Verständnis für die not¬ wendige Eigenart der geschilderten Menschen, ein Mangel, der sich übrigens auch in der „Geflügelten Erde" unangenehm bemerkbar macht, wo Bauchenden über Buddhismus und indische Askese spricht, wie der „Arme Mann im Tocken- burg" über Shakespeare!*) Einen Fortschritt demgegenüber bedeutet der Roman „Raubmenschen", der uns von der Küste der Bretagne nach Amerika und Mexiko führt. Freilich können uns weder die Handlung, von welcher der Dichter selbst zugibt, daß sie sich ein wenig kolportagehaft ausnimmt, noch die nur von außen gesehenen Menschen interessieren, aber die Schilderungen, von denen nur die Ankunft am Atlant, das Vogelfest, die Einfahrt im Newnorker Hafen, der Brand der Hoch¬ bahn, der Einbruch der Tropennacht und der großartige Sturm auf der Rück¬ fahrt hervorgehoben seien, sind ganz wundervoll. Es sind nicht mehr bloße Bilder, sondern Erlebnisse, Erlebnisse mit allen Nerven aufgenommen und mit erstaunlicher Anschaulichkeit und Lebendigkeit wiedergegeben. Duftiger sind die Japanischen Novellen mit dem Titel „Die acht Gesichter am Biwasee". Mag sein, daß auch sie nicht ganz echt in der Auffassung sind, wir sind keine Japaner, also kommt für uns wenig darauf an. Aber wie zart ist die eigen¬ tümliche Naturstimmung erfaßt, der Nachtregen, der Mondschein, die Segel¬ boote, und seit Albert Samains Novellen habe ich nicht wieder etwas so Gra¬ ziöses gelesen wie den „Flug der Wildgänse" oder die zweite von „Hasenauges" Geschichten, während die dritte mit den grandiosen Kriegsprahlereien an die übermütigsten Schwänke der Nenaissanceliteratur erinnert. *) Alle aufrichtigen Shakespeareverehrer seien in? Vorbeigehen auf diese naiven und ungelehrten, aber frischen und ein wohltuendes Dokument herzlichen Kunstgenusses bildenden Aufzeichnungen Ulrich Bräkers, eines armen schweizerischen Webers und Handelsmannes, hin¬ gewiesen. Sie sind erschienen in einem für den anspruchslosen Inhalt fast zu schön aus¬ gestatteten Bande bei Meyer u. Jessen, Berlin 1911.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/242>, abgerufen am 15.01.2025.