Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Max Dauthendey Über den Dramatiker Dauthendey kann man sich vorläufig kürzer fassen. Max Dauthendey Über den Dramatiker Dauthendey kann man sich vorläufig kürzer fassen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322645"/> <fw type="header" place="top"> Max Dauthendey</fw><lb/> <p xml:id="ID_1130" next="#ID_1131"> Über den Dramatiker Dauthendey kann man sich vorläufig kürzer fassen.<lb/> Er ist bis jetzt nichts weiter als eine Hoffnung, eine geliebte zwar, doch eine,<lb/> die sich immer wieder gegen bange Zweifel wehren muß. Gewiß sei gegenüber<lb/> der oft beklagten Eigentümlichkeit des Publikums, einen Künstler zum Spezialisten<lb/> der Gattung machen zu wollen, mit der er sich zuerst bekannt gemacht hat,<lb/> betont, daß es sich hier weder um eine Spielerei, noch um einen vergeblich<lb/> ringenden Ehrgeiz handelt, aber noch weniger liegt ein Grund vor, in dithy¬<lb/> rambisch jauchzende Begeisterung zu verfallen, wie das hier und da geschehen<lb/> ist. Daß diesen kräftigen, keineswegs sentimentalen Anschauungsmenschen neben<lb/> der zartesten Lyrik handfeste reale Stoffe reizen, kann nach dem Gesagten nicht<lb/> wundernehmen; überraschend ist jedoch seine Fähigkeit, solche Stoffe durchaus<lb/> bühnengerecht zu gestalten. Wenn man von der allzu breiten, mit Satire über¬<lb/> ladenen Bohömekomödie „Maja", den beiden Einaktern „Lachen und Sterben"<lb/> und dem „Fünfuhrtee", dramatisierten Novellen, der grobschlächtigen Jahrmarkts¬<lb/> komödie „Menagerie Krummholz" und dem gequälten Humor der „Madame<lb/> Null" absieht, so bleiben mit „Frau Raufenbart" und „Ein Schatten fiel über<lb/> den Tisch" zwei höchst beachtenswerte, außerordentlich gut gemachte Theater¬<lb/> stücke (das ist heute nicht wenig!). Namentlich das erstere dürste eines lebhaften<lb/> Bühnenerfolges gewiß sein, ebenso wie es die „Spielereien einer Kaiserin"<lb/> überall sind, wo eine gute Vertreterin dieser „Bombenrolle" zu beschaffen sein,<lb/> wird. Aber gute Theaterstücke brauchen noch keine hervorragenden Dichtungen<lb/> zu sein. Gewiß ist diese Trödlerin, Frau Raufenbart, eine voll ausgerundete.<lb/> prächtig dastehende Gestalt; höchst beachtenswert ist sogar die Objektivität, mit<lb/> der diese unsympathische Figur gezeichnet ist; und die Art, wie sie sich trotz<lb/> dem jammervollen Ende, das sie den liebenswürdigen Gestalten des Stückes<lb/> bereitet, zur alles beherrschenden Heldin des Dramas auswächst, verrät den<lb/> großen Künstler. Aber wie klein wird wieder das Ganze, wenn man es mit<lb/> dem Maßstab von Hebbels „Maria Magdalena" mißt, ein Vergleich, zu dem<lb/> das Stück durch den ähnlichen Stoff herausfordert. Und wie roh stehen<lb/> die Effekte und Kraftstellen der „Spielereien" neben der weitschauenden<lb/> Größe und der viel ruhigeren, aber nicht minder packenden Dramatik<lb/> von Strindbergs ebenfalls das problematische Weib behandelnden „Königin<lb/> Christine". Viel Natur ist in Dauthendeys Dramen, man sehe die<lb/> zarten Szenen im ersten Akt des „Schattens", aber auch oft statt Gestaltung<lb/> Aphorismen, und statt Größe Effekt. Und auch das jüngste Drama „Der<lb/> Drache Granti" läßt kein abschließendes Urteil zu. Betrachtet man die wunder¬<lb/> volle, allerdings auch unter großem Aufwand an starken Mitteln zustande¬<lb/> gebrachte Geschlossenheit des ersten Aktes, mit den eigentümlichen Naturlauten<lb/> der Leuchtturmbewohner und der grausigen Unwetterstimmung, so möchte man<lb/> über den neuen Dramatiker jubeln, aber über dem schleppenden zweiten und<lb/> dem an groteske Räubergeschichten gemahnenden dritten Akt möchte man schier<lb/> verzweifeln. Es hilft nichts anzuerkennen, daß die starken Effekte ganz naiv</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0243]
Max Dauthendey
Über den Dramatiker Dauthendey kann man sich vorläufig kürzer fassen.
Er ist bis jetzt nichts weiter als eine Hoffnung, eine geliebte zwar, doch eine,
die sich immer wieder gegen bange Zweifel wehren muß. Gewiß sei gegenüber
der oft beklagten Eigentümlichkeit des Publikums, einen Künstler zum Spezialisten
der Gattung machen zu wollen, mit der er sich zuerst bekannt gemacht hat,
betont, daß es sich hier weder um eine Spielerei, noch um einen vergeblich
ringenden Ehrgeiz handelt, aber noch weniger liegt ein Grund vor, in dithy¬
rambisch jauchzende Begeisterung zu verfallen, wie das hier und da geschehen
ist. Daß diesen kräftigen, keineswegs sentimentalen Anschauungsmenschen neben
der zartesten Lyrik handfeste reale Stoffe reizen, kann nach dem Gesagten nicht
wundernehmen; überraschend ist jedoch seine Fähigkeit, solche Stoffe durchaus
bühnengerecht zu gestalten. Wenn man von der allzu breiten, mit Satire über¬
ladenen Bohömekomödie „Maja", den beiden Einaktern „Lachen und Sterben"
und dem „Fünfuhrtee", dramatisierten Novellen, der grobschlächtigen Jahrmarkts¬
komödie „Menagerie Krummholz" und dem gequälten Humor der „Madame
Null" absieht, so bleiben mit „Frau Raufenbart" und „Ein Schatten fiel über
den Tisch" zwei höchst beachtenswerte, außerordentlich gut gemachte Theater¬
stücke (das ist heute nicht wenig!). Namentlich das erstere dürste eines lebhaften
Bühnenerfolges gewiß sein, ebenso wie es die „Spielereien einer Kaiserin"
überall sind, wo eine gute Vertreterin dieser „Bombenrolle" zu beschaffen sein,
wird. Aber gute Theaterstücke brauchen noch keine hervorragenden Dichtungen
zu sein. Gewiß ist diese Trödlerin, Frau Raufenbart, eine voll ausgerundete.
prächtig dastehende Gestalt; höchst beachtenswert ist sogar die Objektivität, mit
der diese unsympathische Figur gezeichnet ist; und die Art, wie sie sich trotz
dem jammervollen Ende, das sie den liebenswürdigen Gestalten des Stückes
bereitet, zur alles beherrschenden Heldin des Dramas auswächst, verrät den
großen Künstler. Aber wie klein wird wieder das Ganze, wenn man es mit
dem Maßstab von Hebbels „Maria Magdalena" mißt, ein Vergleich, zu dem
das Stück durch den ähnlichen Stoff herausfordert. Und wie roh stehen
die Effekte und Kraftstellen der „Spielereien" neben der weitschauenden
Größe und der viel ruhigeren, aber nicht minder packenden Dramatik
von Strindbergs ebenfalls das problematische Weib behandelnden „Königin
Christine". Viel Natur ist in Dauthendeys Dramen, man sehe die
zarten Szenen im ersten Akt des „Schattens", aber auch oft statt Gestaltung
Aphorismen, und statt Größe Effekt. Und auch das jüngste Drama „Der
Drache Granti" läßt kein abschließendes Urteil zu. Betrachtet man die wunder¬
volle, allerdings auch unter großem Aufwand an starken Mitteln zustande¬
gebrachte Geschlossenheit des ersten Aktes, mit den eigentümlichen Naturlauten
der Leuchtturmbewohner und der grausigen Unwetterstimmung, so möchte man
über den neuen Dramatiker jubeln, aber über dem schleppenden zweiten und
dem an groteske Räubergeschichten gemahnenden dritten Akt möchte man schier
verzweifeln. Es hilft nichts anzuerkennen, daß die starken Effekte ganz naiv
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