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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Katholizismus und Kultur

Kirche, der Hierarchie ausschließlich gut schreiben. Die beiden Kräfte, die mit
ihr zusammengewirkt haben, sind schon genannt worden, und nachdem die
Kirche das Erziehungswerk an den Germanen vollendet hatte, hat sie deren
entbundene und in der von ihnen geschaffenen bürgerlichen Ordnung tätige
Eigenkraft, wie jedermann weiß, meist mehr gehemmt als gefördert. Auch in
den bildenden Künsten, deren sie sich vorzugsweise rühmt, hat nicht ihr Geist
allein gewaltet. Nicht bloß Rubens und die übrigen Maler des Barock, sondern
auch Naffael, Correggio, die Venetianer, Murillo haben, was keinen Vorwurf
bedeutet, an den Heiligen und den Engeln, die sie malten, vor allem ihre Freude
an der schönen Gestalt, am warmen Fleisch, an prachtvollen Gewändern und
anderem weltlichen Prunk betätigt, und der gotische Stil ist, wie Ruskin nach¬
weist (John Nuskin von Sam. Saenger S. 65) keineswegs eine Schöpfung des
religiösen Geistes gewesen. Die gewaltigen Kirchenbauten der deutschen Städte
zumal waren Betätigungen weit mehr des kraftvollen, stolzen Bürgergeistes als
der Frömmigkeit. Diese Städte sind, wie Karl Adolf Menzel vor neunzig Jahren
geschrieben hat, eigentlich schon im Mittelalter protestantisch gewesen, sofern
"dieses Wort den Widerstand gegen das Streben bezeichnet, Religion und Kirche
als Mittel und Form weltlicher Machtübung zu gebrauchen". Dieser Mißbrauch
der Religion und des durch verdienstvolle Kulturarbeit erworbenen Einflusses
und Besitzes zur ungemessenen Mehrung des Besitzes und zur Aufrichtung einer
Weltherrschaft war nun hauptsächlich der Punkt, auf welchem das Verdienst der
römischen Kirche in Mißverdienst umschlug, so daß die Reformation und die
Trennung der nordischen Völker von der jeder Reform widerstrebenden unver¬
meidlich wurde, und das Papsttum beharrt bis auf den heutigen Tag in der
Schuld, indem es sie nicht anerkennt, die damalige geschichtlich gewordene und
nur vorübergehend berechtigt gewesene Form des Kirchenwesens als eine göttliche
Institution dogmatifiert und sich in die fortschreitende Säkularisierung der Gesell¬
schaft nicht fügt, die darin besteht, daß die Kirche, die als einzige Inhaberin
weltlicher Bildung bei den Barbaren anfänglich alle Funktionen einer geordneten
Negierung und Verwaltung sowie die Volkserziehung übernommen hatte, diese
Funktionen nach und nach an die Staaten, die bürgerlichen Gemeinden und die
gelehrten Korporationen verlieren muß, die sich unter ihrer Leitung gebildet
haben. Die Stellung, die sie vom siebenten bis ins zehnte Jahrhundert den
Germanen gegenüber einnahm, kann sie heute nur noch, und zwar mit Hilfe des
Staates, in der Heidenmission behaupten.

Sofern nun die deutschen Katholiken, nicht aus unedlen Absichten, sondern
in gutem Glauben, aus religiöser Überzeugung, die unberechtigten Ansprüche der
Kurie verteidigt haben, sind sie nicht ohne eigene Schuld in die dieser gebührende
Strafe verwickelt worden. Daß sie mit aller Kraft aus der ungünstigen wirt¬
schaftlichen Lage hinaus und hinausstreben, verdient Anerkennung, und die
reiche Entfaltung des katholischen Vereins- und Genossenschaftswesens und der
katholischen Presse und Literatur beweist, daß diesem Streben der Erfolg nicht


Grenzvoten IV 1912 28
Katholizismus und Kultur

Kirche, der Hierarchie ausschließlich gut schreiben. Die beiden Kräfte, die mit
ihr zusammengewirkt haben, sind schon genannt worden, und nachdem die
Kirche das Erziehungswerk an den Germanen vollendet hatte, hat sie deren
entbundene und in der von ihnen geschaffenen bürgerlichen Ordnung tätige
Eigenkraft, wie jedermann weiß, meist mehr gehemmt als gefördert. Auch in
den bildenden Künsten, deren sie sich vorzugsweise rühmt, hat nicht ihr Geist
allein gewaltet. Nicht bloß Rubens und die übrigen Maler des Barock, sondern
auch Naffael, Correggio, die Venetianer, Murillo haben, was keinen Vorwurf
bedeutet, an den Heiligen und den Engeln, die sie malten, vor allem ihre Freude
an der schönen Gestalt, am warmen Fleisch, an prachtvollen Gewändern und
anderem weltlichen Prunk betätigt, und der gotische Stil ist, wie Ruskin nach¬
weist (John Nuskin von Sam. Saenger S. 65) keineswegs eine Schöpfung des
religiösen Geistes gewesen. Die gewaltigen Kirchenbauten der deutschen Städte
zumal waren Betätigungen weit mehr des kraftvollen, stolzen Bürgergeistes als
der Frömmigkeit. Diese Städte sind, wie Karl Adolf Menzel vor neunzig Jahren
geschrieben hat, eigentlich schon im Mittelalter protestantisch gewesen, sofern
„dieses Wort den Widerstand gegen das Streben bezeichnet, Religion und Kirche
als Mittel und Form weltlicher Machtübung zu gebrauchen". Dieser Mißbrauch
der Religion und des durch verdienstvolle Kulturarbeit erworbenen Einflusses
und Besitzes zur ungemessenen Mehrung des Besitzes und zur Aufrichtung einer
Weltherrschaft war nun hauptsächlich der Punkt, auf welchem das Verdienst der
römischen Kirche in Mißverdienst umschlug, so daß die Reformation und die
Trennung der nordischen Völker von der jeder Reform widerstrebenden unver¬
meidlich wurde, und das Papsttum beharrt bis auf den heutigen Tag in der
Schuld, indem es sie nicht anerkennt, die damalige geschichtlich gewordene und
nur vorübergehend berechtigt gewesene Form des Kirchenwesens als eine göttliche
Institution dogmatifiert und sich in die fortschreitende Säkularisierung der Gesell¬
schaft nicht fügt, die darin besteht, daß die Kirche, die als einzige Inhaberin
weltlicher Bildung bei den Barbaren anfänglich alle Funktionen einer geordneten
Negierung und Verwaltung sowie die Volkserziehung übernommen hatte, diese
Funktionen nach und nach an die Staaten, die bürgerlichen Gemeinden und die
gelehrten Korporationen verlieren muß, die sich unter ihrer Leitung gebildet
haben. Die Stellung, die sie vom siebenten bis ins zehnte Jahrhundert den
Germanen gegenüber einnahm, kann sie heute nur noch, und zwar mit Hilfe des
Staates, in der Heidenmission behaupten.

Sofern nun die deutschen Katholiken, nicht aus unedlen Absichten, sondern
in gutem Glauben, aus religiöser Überzeugung, die unberechtigten Ansprüche der
Kurie verteidigt haben, sind sie nicht ohne eigene Schuld in die dieser gebührende
Strafe verwickelt worden. Daß sie mit aller Kraft aus der ungünstigen wirt¬
schaftlichen Lage hinaus und hinausstreben, verdient Anerkennung, und die
reiche Entfaltung des katholischen Vereins- und Genossenschaftswesens und der
katholischen Presse und Literatur beweist, daß diesem Streben der Erfolg nicht


Grenzvoten IV 1912 28
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[0224] Katholizismus und Kultur Kirche, der Hierarchie ausschließlich gut schreiben. Die beiden Kräfte, die mit ihr zusammengewirkt haben, sind schon genannt worden, und nachdem die Kirche das Erziehungswerk an den Germanen vollendet hatte, hat sie deren entbundene und in der von ihnen geschaffenen bürgerlichen Ordnung tätige Eigenkraft, wie jedermann weiß, meist mehr gehemmt als gefördert. Auch in den bildenden Künsten, deren sie sich vorzugsweise rühmt, hat nicht ihr Geist allein gewaltet. Nicht bloß Rubens und die übrigen Maler des Barock, sondern auch Naffael, Correggio, die Venetianer, Murillo haben, was keinen Vorwurf bedeutet, an den Heiligen und den Engeln, die sie malten, vor allem ihre Freude an der schönen Gestalt, am warmen Fleisch, an prachtvollen Gewändern und anderem weltlichen Prunk betätigt, und der gotische Stil ist, wie Ruskin nach¬ weist (John Nuskin von Sam. Saenger S. 65) keineswegs eine Schöpfung des religiösen Geistes gewesen. Die gewaltigen Kirchenbauten der deutschen Städte zumal waren Betätigungen weit mehr des kraftvollen, stolzen Bürgergeistes als der Frömmigkeit. Diese Städte sind, wie Karl Adolf Menzel vor neunzig Jahren geschrieben hat, eigentlich schon im Mittelalter protestantisch gewesen, sofern „dieses Wort den Widerstand gegen das Streben bezeichnet, Religion und Kirche als Mittel und Form weltlicher Machtübung zu gebrauchen". Dieser Mißbrauch der Religion und des durch verdienstvolle Kulturarbeit erworbenen Einflusses und Besitzes zur ungemessenen Mehrung des Besitzes und zur Aufrichtung einer Weltherrschaft war nun hauptsächlich der Punkt, auf welchem das Verdienst der römischen Kirche in Mißverdienst umschlug, so daß die Reformation und die Trennung der nordischen Völker von der jeder Reform widerstrebenden unver¬ meidlich wurde, und das Papsttum beharrt bis auf den heutigen Tag in der Schuld, indem es sie nicht anerkennt, die damalige geschichtlich gewordene und nur vorübergehend berechtigt gewesene Form des Kirchenwesens als eine göttliche Institution dogmatifiert und sich in die fortschreitende Säkularisierung der Gesell¬ schaft nicht fügt, die darin besteht, daß die Kirche, die als einzige Inhaberin weltlicher Bildung bei den Barbaren anfänglich alle Funktionen einer geordneten Negierung und Verwaltung sowie die Volkserziehung übernommen hatte, diese Funktionen nach und nach an die Staaten, die bürgerlichen Gemeinden und die gelehrten Korporationen verlieren muß, die sich unter ihrer Leitung gebildet haben. Die Stellung, die sie vom siebenten bis ins zehnte Jahrhundert den Germanen gegenüber einnahm, kann sie heute nur noch, und zwar mit Hilfe des Staates, in der Heidenmission behaupten. Sofern nun die deutschen Katholiken, nicht aus unedlen Absichten, sondern in gutem Glauben, aus religiöser Überzeugung, die unberechtigten Ansprüche der Kurie verteidigt haben, sind sie nicht ohne eigene Schuld in die dieser gebührende Strafe verwickelt worden. Daß sie mit aller Kraft aus der ungünstigen wirt¬ schaftlichen Lage hinaus und hinausstreben, verdient Anerkennung, und die reiche Entfaltung des katholischen Vereins- und Genossenschaftswesens und der katholischen Presse und Literatur beweist, daß diesem Streben der Erfolg nicht Grenzvoten IV 1912 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/224>, abgerufen am 15.01.2025.