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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Katholizismus und Kultur

fehlt, und daß die Ratschläge, die Rost erteilt, befolgt worden sind, lange ehe
sie gegeben wurden. Doch wäre es bedauerlich, wenn diese Ratschläge die
Wirkung hätten, die Flucht aus der Landwirtschaft in die Industrie, an der
Ostelbien leidet, auch ini katholischen Süden und Westen einreihen zu lassen.
Rost hebt es als einen Ruhmestitel der deutschen Katholiken hervor, daß sie
dem Priesterstande und den Klosterorden reichlich Rekruten liefern und für
kirchliche Zwecke Spenden opfern, die in Anbetracht ihrer bescheidenen Vermögens¬
lage übermäßig genannt werden können. Das ist ein sehr zweifelhafter Ruhmes¬
titel, denn die eifrige Sorge für Kultzwecke entspringt einer Wertschätzung des
Knies, die in schreienden Widerspruch steht zum Geiste des Evangeliums (wie ihn
besonders das dreiundzwanzigste Kapitel des Matthäus, das zweite und das
siebente des Markus und der Galalerbrief deutlich aussprechen), und an einer
Überfülle von Geistlichen, Mönchen und Nonnen hat die Kirche noch niemals
Freude erlebt. Solche Fülle hat in neuester Zeit die Franzosen, die Portugiesen
mit rasendem Haß nicht allein gegen die Kirche, sondern gegen das Christentum
entflammt, und nirgends in der Welt ist der Klerus verachteter als in Rom,
am Sitze des Papsttums, wo es von überflüssigen Geistlichen wimmelt, während
in Deutschland der durch den Kulturkampf verursachte Priestermangel die Liebe
zur Kirche nicht vermindert, sondern zur Leidenschaft gesteigert hat. Häufung
von Kulthandlungen, die viele geistliche Personen nötig macht, ist nicht christliche,
sondern jüdisch-pharisäische und heidnische Art; eine im Verhältnis zur Kopfzahl
der Gemeinden übergroße Zahl von Geistlichen läßt sich nur in der Diaspora
rechtfertigen, wo die kleinen Gemeinden zu weit entfernt voneinander liegen, als daß
sie von einem Orte aus pastoriert werden könnten. Rost selbst sieht sich veranlaßt,
mit Berufung auf den Kardinal Fischer gegen die übermäßigen Ausgaben auf
zum Teil geschmacklosen Kirchenschmuck, und in vorsichtiger Weise sogar gegen
das Meßstipendienwesen zu polemisieren. Daß die katholischen Bauern der
Landwirtschaft treu bleiben, das ist, namentlich unter den heutigen Umständen,
ein weit echterer Ruhmestitel, und es entspricht auch den Grundsätzen des Evan¬
geliums, denen in höherem Grade als die Protestanten treu geblieben zu sein
die Katholiken sich rühmen. (In einer Beziehung mit Recht. Während die
katholische Kirche durch weltliche Machtansprüche und durch die Ausbildung ihres
Knies vom echten Christentum abgewichen ist, ist sie ihm treu geblieben durch
die Pflege des Geistes der Bergpredigt, der allerdings mitunter gefährlich wird,
indem sich Sorglosigkeit, Trägheit und Leichtsinn darunter verbergen, wie auch
Rost zugesteht. Liiacun a Iss cMauw ac se8 czualites, gilt eben auch von
jedem Volke, jedem Zeitalter, jeder Konfession). Die Landwirtschaft ist nicht
allein, wie schon Cicero hervorgehoben hat, das neidloseste Gewerbe, sondern
auch frei von Versuchungen zu anderen Sünden, die namentlich im Handel
lauern. Gerade weil in der Landwirtschaft mit harter körperlicher Arbeit nur
mäßiger Wohlstand erlangt werden kann, erhält sie Leib und Seele gesund.
Überhaupt würde die Absicht, es den Protestanten oder gar den Juden im


Katholizismus und Kultur

fehlt, und daß die Ratschläge, die Rost erteilt, befolgt worden sind, lange ehe
sie gegeben wurden. Doch wäre es bedauerlich, wenn diese Ratschläge die
Wirkung hätten, die Flucht aus der Landwirtschaft in die Industrie, an der
Ostelbien leidet, auch ini katholischen Süden und Westen einreihen zu lassen.
Rost hebt es als einen Ruhmestitel der deutschen Katholiken hervor, daß sie
dem Priesterstande und den Klosterorden reichlich Rekruten liefern und für
kirchliche Zwecke Spenden opfern, die in Anbetracht ihrer bescheidenen Vermögens¬
lage übermäßig genannt werden können. Das ist ein sehr zweifelhafter Ruhmes¬
titel, denn die eifrige Sorge für Kultzwecke entspringt einer Wertschätzung des
Knies, die in schreienden Widerspruch steht zum Geiste des Evangeliums (wie ihn
besonders das dreiundzwanzigste Kapitel des Matthäus, das zweite und das
siebente des Markus und der Galalerbrief deutlich aussprechen), und an einer
Überfülle von Geistlichen, Mönchen und Nonnen hat die Kirche noch niemals
Freude erlebt. Solche Fülle hat in neuester Zeit die Franzosen, die Portugiesen
mit rasendem Haß nicht allein gegen die Kirche, sondern gegen das Christentum
entflammt, und nirgends in der Welt ist der Klerus verachteter als in Rom,
am Sitze des Papsttums, wo es von überflüssigen Geistlichen wimmelt, während
in Deutschland der durch den Kulturkampf verursachte Priestermangel die Liebe
zur Kirche nicht vermindert, sondern zur Leidenschaft gesteigert hat. Häufung
von Kulthandlungen, die viele geistliche Personen nötig macht, ist nicht christliche,
sondern jüdisch-pharisäische und heidnische Art; eine im Verhältnis zur Kopfzahl
der Gemeinden übergroße Zahl von Geistlichen läßt sich nur in der Diaspora
rechtfertigen, wo die kleinen Gemeinden zu weit entfernt voneinander liegen, als daß
sie von einem Orte aus pastoriert werden könnten. Rost selbst sieht sich veranlaßt,
mit Berufung auf den Kardinal Fischer gegen die übermäßigen Ausgaben auf
zum Teil geschmacklosen Kirchenschmuck, und in vorsichtiger Weise sogar gegen
das Meßstipendienwesen zu polemisieren. Daß die katholischen Bauern der
Landwirtschaft treu bleiben, das ist, namentlich unter den heutigen Umständen,
ein weit echterer Ruhmestitel, und es entspricht auch den Grundsätzen des Evan¬
geliums, denen in höherem Grade als die Protestanten treu geblieben zu sein
die Katholiken sich rühmen. (In einer Beziehung mit Recht. Während die
katholische Kirche durch weltliche Machtansprüche und durch die Ausbildung ihres
Knies vom echten Christentum abgewichen ist, ist sie ihm treu geblieben durch
die Pflege des Geistes der Bergpredigt, der allerdings mitunter gefährlich wird,
indem sich Sorglosigkeit, Trägheit und Leichtsinn darunter verbergen, wie auch
Rost zugesteht. Liiacun a Iss cMauw ac se8 czualites, gilt eben auch von
jedem Volke, jedem Zeitalter, jeder Konfession). Die Landwirtschaft ist nicht
allein, wie schon Cicero hervorgehoben hat, das neidloseste Gewerbe, sondern
auch frei von Versuchungen zu anderen Sünden, die namentlich im Handel
lauern. Gerade weil in der Landwirtschaft mit harter körperlicher Arbeit nur
mäßiger Wohlstand erlangt werden kann, erhält sie Leib und Seele gesund.
Überhaupt würde die Absicht, es den Protestanten oder gar den Juden im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/225>, abgerufen am 15.01.2025.