Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Freiherr von Marschall Stellung, die er als Berater, Freund und Vertrauensmann des Sultans Abdul So erschien wohl die Hoffnung berechtigt, ein solcher Mann werde auch Freiherr von Marschall Stellung, die er als Berater, Freund und Vertrauensmann des Sultans Abdul So erschien wohl die Hoffnung berechtigt, ein solcher Mann werde auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322421"/> <fw type="header" place="top"> Freiherr von Marschall</fw><lb/> <p xml:id="ID_25" prev="#ID_24"> Stellung, die er als Berater, Freund und Vertrauensmann des Sultans Abdul<lb/> Hamid, eines der argwöhnischsten und kompliziertesten Charaktere, die die<lb/> orientalische Herrschergeschichte gekannt hat, einnahm? Worauf die Möglichkeit,<lb/> in kurzer Zeit das scheinbar zusammengebrochene Werk wieder aufzubauen und<lb/> bei den Männern, die Abdul Hamid gestürzt hatten, das gleiche Vertrauen<lb/> wiederzugewinnen? Worauf das hohe Ansehen, das er persönlich auch bei denen<lb/> seiner diplomatischen Kollegen genoß, die sich in der Rolle zurückgedrängter<lb/> Rivalen und unterlegener Gegner sahen? Es kommen da mancherlei seltene<lb/> Eigenschaften zusammen. Zunächst Äußerliches. Er gab sich stets natürlich, ja<lb/> er schien sich gehen zu lassen in demi zutreffenden, sicheren Bewußtsein seines<lb/> inneren Übergewichts, das durch die angeborene freie Vornehmheit seines Wesens<lb/> vor jeder Gefährdung geschützt war. Seine Überlegenheit, die auf Menschen¬<lb/> kenntnis, Sachkenntnis und logischer Klarheit beruhte, bedürfte eben niemals der<lb/> äußeren Pose. Die behäbige Ruhe, die durch die Wucht seiner körperlichen<lb/> Erscheinung an Schwerfälligkeit zu grenzen schien, imponierte besonders den<lb/> Orientalen. Es gefiel ihnen, daß dieser Mann immer Zeit zu haben schien,<lb/> die wichtigsten Fragen mit lächelnder Gelassenheit, eine Zigarette nach der<lb/> andern rauchend, verhandelte, nie ungeduldig und aufgeregt wurde, aber auch<lb/> mit fester Entschiedenheit ohne Winkelzüge forderte, wenn er von Rechts wegen<lb/> etwas zu fordern hatte. Es schien ihm nie auf einen Triumph persönlicher<lb/> Geschicklichkeit anzukommen; er war wie der Spieler, der mit Verschlagenheit<lb/> die Chancen vorbereitet und die sich bietenden schnell ausnutzt. Wer aber ihm<lb/> gegenüber mit solchen Mitteln arbeiten wollte, der fühlte sich alsbald durch¬<lb/> schaut. Seine Kunst und seine Mittel waren die besseren Gründe; hatte er sie<lb/> mit seiner sicheren, geschulten und scharfen Dialektik für eine Sache zusammen¬<lb/> getragen, dann ließ er diese selbst wirken und unterstützte diese Wirkung nur<lb/> dach die Bonhomie und die ungezwungene, liebenswürdige Menschlichkeit, die<lb/> sein ganzes Auftreten ausstrahlte. Deshalb konnte ihm auch der geschlagene<lb/> Gegner persönlich nicht ernstlich böse sein, denn er sah hinter den Erfolgen<lb/> dieses Mannes nicht die sonst so häufig vorhandene Genugtuung befriedigter<lb/> Eitelkeit, sondern den durch menschliches Verstehen und leicht ironische Skepsis<lb/> gemilderten Ernst der Pflichterfüllung um der Sache willen.</p><lb/> <p xml:id="ID_26"> So erschien wohl die Hoffnung berechtigt, ein solcher Mann werde auch<lb/> das Beste dazu tun können, um die Mißverständnisse zwischen Deutschland und<lb/> England zu beseitigen. Schon das wenige, was Freiherr von Marschall in der<lb/> kurzen Zeit seiner Übernahme der deutschen Botschaft in London tun konnte,<lb/> hat in den maßgebenden Kreisen in England den Eindruck hervorgerufen, daß<lb/> der rechte Mann an diese Stelle gestellt worden sei. Das Schicksal hat es<lb/> anders gewollt, und der Platz, den ein tüchtiger und trefflicher Mann einnahm,<lb/> ist leer geworden. Aber er hat sich seinen Platz in der Geschichte erworben und<lb/> sein Andenken wird darin fortleben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
Freiherr von Marschall
Stellung, die er als Berater, Freund und Vertrauensmann des Sultans Abdul
Hamid, eines der argwöhnischsten und kompliziertesten Charaktere, die die
orientalische Herrschergeschichte gekannt hat, einnahm? Worauf die Möglichkeit,
in kurzer Zeit das scheinbar zusammengebrochene Werk wieder aufzubauen und
bei den Männern, die Abdul Hamid gestürzt hatten, das gleiche Vertrauen
wiederzugewinnen? Worauf das hohe Ansehen, das er persönlich auch bei denen
seiner diplomatischen Kollegen genoß, die sich in der Rolle zurückgedrängter
Rivalen und unterlegener Gegner sahen? Es kommen da mancherlei seltene
Eigenschaften zusammen. Zunächst Äußerliches. Er gab sich stets natürlich, ja
er schien sich gehen zu lassen in demi zutreffenden, sicheren Bewußtsein seines
inneren Übergewichts, das durch die angeborene freie Vornehmheit seines Wesens
vor jeder Gefährdung geschützt war. Seine Überlegenheit, die auf Menschen¬
kenntnis, Sachkenntnis und logischer Klarheit beruhte, bedürfte eben niemals der
äußeren Pose. Die behäbige Ruhe, die durch die Wucht seiner körperlichen
Erscheinung an Schwerfälligkeit zu grenzen schien, imponierte besonders den
Orientalen. Es gefiel ihnen, daß dieser Mann immer Zeit zu haben schien,
die wichtigsten Fragen mit lächelnder Gelassenheit, eine Zigarette nach der
andern rauchend, verhandelte, nie ungeduldig und aufgeregt wurde, aber auch
mit fester Entschiedenheit ohne Winkelzüge forderte, wenn er von Rechts wegen
etwas zu fordern hatte. Es schien ihm nie auf einen Triumph persönlicher
Geschicklichkeit anzukommen; er war wie der Spieler, der mit Verschlagenheit
die Chancen vorbereitet und die sich bietenden schnell ausnutzt. Wer aber ihm
gegenüber mit solchen Mitteln arbeiten wollte, der fühlte sich alsbald durch¬
schaut. Seine Kunst und seine Mittel waren die besseren Gründe; hatte er sie
mit seiner sicheren, geschulten und scharfen Dialektik für eine Sache zusammen¬
getragen, dann ließ er diese selbst wirken und unterstützte diese Wirkung nur
dach die Bonhomie und die ungezwungene, liebenswürdige Menschlichkeit, die
sein ganzes Auftreten ausstrahlte. Deshalb konnte ihm auch der geschlagene
Gegner persönlich nicht ernstlich böse sein, denn er sah hinter den Erfolgen
dieses Mannes nicht die sonst so häufig vorhandene Genugtuung befriedigter
Eitelkeit, sondern den durch menschliches Verstehen und leicht ironische Skepsis
gemilderten Ernst der Pflichterfüllung um der Sache willen.
So erschien wohl die Hoffnung berechtigt, ein solcher Mann werde auch
das Beste dazu tun können, um die Mißverständnisse zwischen Deutschland und
England zu beseitigen. Schon das wenige, was Freiherr von Marschall in der
kurzen Zeit seiner Übernahme der deutschen Botschaft in London tun konnte,
hat in den maßgebenden Kreisen in England den Eindruck hervorgerufen, daß
der rechte Mann an diese Stelle gestellt worden sei. Das Schicksal hat es
anders gewollt, und der Platz, den ein tüchtiger und trefflicher Mann einnahm,
ist leer geworden. Aber er hat sich seinen Platz in der Geschichte erworben und
sein Andenken wird darin fortleben.
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