Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Karl Salzer Zwischendurch kommt der junge Schreiner Kling und bringt das Totenkreuz. Hier ruht in Gott Karl liest die Inschrift des Täfelchens und fühlt im ersten Augenblick sein So ist es in Karls Seele, als er vor dem Totenkreuz seines Vaters steht, Er steht noch immer vor dem braun gestrichenen Kreuz, als das Tor aufgeht "Na, Buhl" sagt sie, "hast du schon alles in Ordnung, weil du da stehst?" "Garnix hab ich in Ordnung, Tante SettchenI" erwidert Karl. "Ja, aber warum denn net?" fragt sie mit einem leichten Vorwurf in der "Tante Seelchen, ich bin net schuld; ich hab alles getan, was du mir gesagt "Hab ich mir's net gedenkt!" seufzt Tante Seelchen. Sie gehen in die Küche. Tante Seelchen weiß viel zu erzählen von der Vetter und Base nennen sie in Spelzheim alle, zu denen sie nicht Du sagen. Als man in Heppenheim gefragt habe, wer die Kosten bezahle, habe er, noch "Kosten bezahlt Hannes Holtner, Spelzheim bei Wormsl" So habe der Vetter Holtner gesagt, und die Sophie sei wieder ganz außer Grenzboten IV 1812 18
Karl Salzer Zwischendurch kommt der junge Schreiner Kling und bringt das Totenkreuz. Hier ruht in Gott Karl liest die Inschrift des Täfelchens und fühlt im ersten Augenblick sein So ist es in Karls Seele, als er vor dem Totenkreuz seines Vaters steht, Er steht noch immer vor dem braun gestrichenen Kreuz, als das Tor aufgeht „Na, Buhl" sagt sie, „hast du schon alles in Ordnung, weil du da stehst?" „Garnix hab ich in Ordnung, Tante SettchenI" erwidert Karl. „Ja, aber warum denn net?" fragt sie mit einem leichten Vorwurf in der „Tante Seelchen, ich bin net schuld; ich hab alles getan, was du mir gesagt „Hab ich mir's net gedenkt!" seufzt Tante Seelchen. Sie gehen in die Küche. Tante Seelchen weiß viel zu erzählen von der Vetter und Base nennen sie in Spelzheim alle, zu denen sie nicht Du sagen. Als man in Heppenheim gefragt habe, wer die Kosten bezahle, habe er, noch „Kosten bezahlt Hannes Holtner, Spelzheim bei Wormsl" So habe der Vetter Holtner gesagt, und die Sophie sei wieder ganz außer Grenzboten IV 1812 18
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Karl Salzer
Zwischendurch kommt der junge Schreiner Kling und bringt das Totenkreuz.
Wo der Längsarm und der Querarm sich schneiden, ist ein ovales Schild angebracht
mit der Aufschrift:
Hier ruht in Gott
Franz Salzer
« 17. 4. 1850. 1' 11. 8. 1897.
K. I. ?.
Karl liest die Inschrift des Täfelchens und fühlt im ersten Augenblick sein
Herz wieder zentnerschwer werden. Es ist wie ein Schwamm, der sich voll saugt
von Leid und Weh. Aber dann muß er denken, daß dieses Kreuz auf einem
Blumenhügel stehen wird. Er wird des Vaters Grab mit Geranikum bepflanzen,
und es wird blühen wie alle Gräber, und man wird nicht sehen, daß der in ihm
Ruhende eines anderen Todes gestorben ist wie seine Nachbaren zur Rechten und
zur Linken. Der Bursche muß an die milden sonnigen Sonntagnachmittage des
Frühlings denken, wenn nach Winterkälte und Winternöten die Dörfler zum erstenmal
wieder ihre Gräber besuchen. Wenn auch auf den Gräbern ein grünes Ostersprossen
ist. Wenn die Weiber mit sanften, wehmütigen Stimmen von den Toten sprechen,
die da ruhen. Und wie da ein großer Friede ist auf dem Kirchhof, den ein Kranz
von blühenden Kastanienbäumen umschließt. Und über die blühende strotzende
Pracht des Sommers hinweg denkt Karl an die Zeit des Herbstes, wo der Nebel
seine grauen frostigen Tränentücher über die Welt schleift, an Allerheiligen und
Allerseelen, wo die Dörfler unter Trauer- und Bußgesängen hinaus auf den
Friedhof ziehen, um für die Abgestorbenen zu beten. Und wie auch da aus dem
leisen halbgetrösteten Weinen der Frauen an den über und über geschmückten
Gräbern ein frommer, gutmachender Friede quillt. . .
So ist es in Karls Seele, als er vor dem Totenkreuz seines Vaters steht,
und so wird es in ihm ganz still und gut.
Er steht noch immer vor dem braun gestrichenen Kreuz, als das Tor aufgeht
und Tante Seelchen hereintritt.
„Na, Buhl" sagt sie, „hast du schon alles in Ordnung, weil du da stehst?"
„Garnix hab ich in Ordnung, Tante SettchenI" erwidert Karl.
„Ja, aber warum denn net?" fragt sie mit einem leichten Vorwurf in der
Stimme.
„Tante Seelchen, ich bin net schuld; ich hab alles getan, was du mir gesagt
hast, aber keiner will helfen, den Vater hinaustun I"
„Hab ich mir's net gedenkt!" seufzt Tante Seelchen.
Sie gehen in die Küche. Tante Seelchen weiß viel zu erzählen von der
Güte des rauhbautzigen Vetters Holtner.
Vetter und Base nennen sie in Spelzheim alle, zu denen sie nicht Du sagen.
Als man in Heppenheim gefragt habe, wer die Kosten bezahle, habe er, noch
ehe sie eigentlich über diese Frage in Verlegenheit hätte kommen können, geant¬
wortet, als müßt es so sein:
„Kosten bezahlt Hannes Holtner, Spelzheim bei Wormsl"
So habe der Vetter Holtner gesagt, und die Sophie sei wieder ganz außer
sich gewesen, so daß sie Tante Seelchen, schon Angst gehabt hätte, man würde
Grenzboten IV 1812 18
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