Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Aarl Salzer Karl wandert wie der ewige Jude. Im Hause hält es ihn nicht. Da geht Da und dort schließen die Dachziegeln nicht dicht und lassen die goldenen Karl holt sich einen Kumpf Gerste und läßt die Tiere aus der Hand fressen. So verweilt er sich mit diesem und jenem, bis die Sonne hinter das Scheuer¬ Aarl Salzer Karl wandert wie der ewige Jude. Im Hause hält es ihn nicht. Da geht Da und dort schließen die Dachziegeln nicht dicht und lassen die goldenen Karl holt sich einen Kumpf Gerste und läßt die Tiere aus der Hand fressen. So verweilt er sich mit diesem und jenem, bis die Sonne hinter das Scheuer¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322545"/> <fw type="header" place="top"> Aarl Salzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_640"> Karl wandert wie der ewige Jude. Im Hause hält es ihn nicht. Da geht<lb/> er in die Scheuer, steigt die Leiter hinauf bis unters Dach und setzt sich auf den<lb/> Katzenlauf. So nennen sie den langen kräftigen Balken, der von einer Giebel¬<lb/> wand zur anderen zieht.</p><lb/> <p xml:id="ID_641"> Da und dort schließen die Dachziegeln nicht dicht und lassen die goldenen<lb/> Sonnenstrahlen hindurch. Sie hängen sich in die vielen Spinngewebe und schaukeln<lb/> sich siebenfarbig darin. Stäubchen Wirbeln in den Sonnengassen, unaufhörlich in<lb/> Bewegung. Durch die beiden Luken in den Giebelwänden fällt nur wenig Licht.<lb/> Darum ist es da oben so schön dämmerig. Auch stille ist es. Wenn Karl seufzt<lb/> oder etwas vor sich hinspricht, hallt es nicht hohl und schaurig, denn die Scheune<lb/> ist fast bis unters Dach gefüllt, aber nicht mit eigener Frucht. Der Vater hat<lb/> ja nur immer Gummern und Gummern und wieder Gummern gepflanzt. Die<lb/> Scheuer ist an den reichen Metzger Scheck in Neuhauser vermietet, der auch in<lb/> der Spelzheimer Gemarkung viele Äcker hat. Die Frucht davon fährt er in die<lb/> Schmiedescheuer ein und läßt sie hier auch dreschen. Karl denkt, dieses Jahr wird<lb/> er die Dreschmaschine nicht in den Hof schieben helfen. Wie da alle Gedanken<lb/> jetzt immer sagen: das wird nicht mehr sein, und jenes wird nicht mehr sein. Die<lb/> Gedanken sagen auch: wie schön wär's jetzt da oben auf dem Katzenlauf, wenn<lb/> man den Amboß aus der Werkstätte sein lustig Lied singen hörte. Aber es ist<lb/> still, und man hört die Gedanken ganz laut in die Stille rufen: weißt du noch,<lb/> wie das Blut am Amboß floß und zwischen die Pflastersteinritzen sickerte? Wenn<lb/> aber die Gedanken so laut in die Stille rufen, dann meint man, die eigenen<lb/> Gedanken wären es gar nicht gewesen, sondern irgendeiner da in der Ecke oder<lb/> dort. So ein Böser, der einem erschrecken möchte. Karl sieht sich scheu um, ob<lb/> nicht einer in einer dunklen Ecke sitze. Und wie er in jene Ecke schaut, wo er's<lb/> verdächtig rascheln hörte, ist es ihm, als käme der Kerl nun wirklich gerade aus<lb/> der entgegengesetzten Ecke hinterrücks herbei und wolle ihn vom Katzenlauf hinunter<lb/> aufs Terr werfen. Da gruselts dem Burschen, und er steigt hastig die Leiter<lb/> hinab. Unten im Hofe sind wenigstens die Hühner, mit denen man sich ein<lb/> wenig unterhalten kann. Er hat ja zwar heute keinen Mittagshunger, aber die<lb/> Hinkel ganz sicher. Die kümmert es nicht, ob im Hause ein Toter liegt oder nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_642"> Karl holt sich einen Kumpf Gerste und läßt die Tiere aus der Hand fressen.</p><lb/> <p xml:id="ID_643"> So verweilt er sich mit diesem und jenem, bis die Sonne hinter das Scheuer¬<lb/> dach sinkt. Da wird's im Hofe schattig, und man kann an den Abend denken.<lb/> Das ist gut; jetzt wird Tante Seelchen nicht mehr lange bleiben. Aber was wird<lb/> sie dazu sagen, daß Karl keine Sargträger bekommen konnte? Wird sie einen<lb/> Rat wissen? Vielleicht spannt der Vetter Holtner den Wagen ein, und man fährt<lb/> den Sarg aus den Friedhof. Der Gedanke an diesen Ausweg beruhigt den<lb/> Burschen ein wenig. Er schaut sich um und sucht nach einer Arbeit, mit der er sich<lb/> die Zeit vertreiben könne. Es ist furchtbar, so nach Arbeit suchen zu müssen. Es<lb/> schadet dem Hofe nicht, wenn er einmal gekehrt wird, und so tut er das, fängt<lb/> am Tor an und hört am Misthaufen auf. Den haben die Hühner zerkratzt und<lb/> zerwühlt; sie suchen darin nach unverdauten Körnchen. Karl schichtet die zer¬<lb/> streuten und verzettelten Halmen und Strohsträhnen aufeinander, hat seine helle<lb/> Freude an der blitzblanken Sauberkeit und empfindet zum erstenmal aus Eigenem<lb/> den Segen der Arbeit.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0143]
Aarl Salzer
Karl wandert wie der ewige Jude. Im Hause hält es ihn nicht. Da geht
er in die Scheuer, steigt die Leiter hinauf bis unters Dach und setzt sich auf den
Katzenlauf. So nennen sie den langen kräftigen Balken, der von einer Giebel¬
wand zur anderen zieht.
Da und dort schließen die Dachziegeln nicht dicht und lassen die goldenen
Sonnenstrahlen hindurch. Sie hängen sich in die vielen Spinngewebe und schaukeln
sich siebenfarbig darin. Stäubchen Wirbeln in den Sonnengassen, unaufhörlich in
Bewegung. Durch die beiden Luken in den Giebelwänden fällt nur wenig Licht.
Darum ist es da oben so schön dämmerig. Auch stille ist es. Wenn Karl seufzt
oder etwas vor sich hinspricht, hallt es nicht hohl und schaurig, denn die Scheune
ist fast bis unters Dach gefüllt, aber nicht mit eigener Frucht. Der Vater hat
ja nur immer Gummern und Gummern und wieder Gummern gepflanzt. Die
Scheuer ist an den reichen Metzger Scheck in Neuhauser vermietet, der auch in
der Spelzheimer Gemarkung viele Äcker hat. Die Frucht davon fährt er in die
Schmiedescheuer ein und läßt sie hier auch dreschen. Karl denkt, dieses Jahr wird
er die Dreschmaschine nicht in den Hof schieben helfen. Wie da alle Gedanken
jetzt immer sagen: das wird nicht mehr sein, und jenes wird nicht mehr sein. Die
Gedanken sagen auch: wie schön wär's jetzt da oben auf dem Katzenlauf, wenn
man den Amboß aus der Werkstätte sein lustig Lied singen hörte. Aber es ist
still, und man hört die Gedanken ganz laut in die Stille rufen: weißt du noch,
wie das Blut am Amboß floß und zwischen die Pflastersteinritzen sickerte? Wenn
aber die Gedanken so laut in die Stille rufen, dann meint man, die eigenen
Gedanken wären es gar nicht gewesen, sondern irgendeiner da in der Ecke oder
dort. So ein Böser, der einem erschrecken möchte. Karl sieht sich scheu um, ob
nicht einer in einer dunklen Ecke sitze. Und wie er in jene Ecke schaut, wo er's
verdächtig rascheln hörte, ist es ihm, als käme der Kerl nun wirklich gerade aus
der entgegengesetzten Ecke hinterrücks herbei und wolle ihn vom Katzenlauf hinunter
aufs Terr werfen. Da gruselts dem Burschen, und er steigt hastig die Leiter
hinab. Unten im Hofe sind wenigstens die Hühner, mit denen man sich ein
wenig unterhalten kann. Er hat ja zwar heute keinen Mittagshunger, aber die
Hinkel ganz sicher. Die kümmert es nicht, ob im Hause ein Toter liegt oder nicht.
Karl holt sich einen Kumpf Gerste und läßt die Tiere aus der Hand fressen.
So verweilt er sich mit diesem und jenem, bis die Sonne hinter das Scheuer¬
dach sinkt. Da wird's im Hofe schattig, und man kann an den Abend denken.
Das ist gut; jetzt wird Tante Seelchen nicht mehr lange bleiben. Aber was wird
sie dazu sagen, daß Karl keine Sargträger bekommen konnte? Wird sie einen
Rat wissen? Vielleicht spannt der Vetter Holtner den Wagen ein, und man fährt
den Sarg aus den Friedhof. Der Gedanke an diesen Ausweg beruhigt den
Burschen ein wenig. Er schaut sich um und sucht nach einer Arbeit, mit der er sich
die Zeit vertreiben könne. Es ist furchtbar, so nach Arbeit suchen zu müssen. Es
schadet dem Hofe nicht, wenn er einmal gekehrt wird, und so tut er das, fängt
am Tor an und hört am Misthaufen auf. Den haben die Hühner zerkratzt und
zerwühlt; sie suchen darin nach unverdauten Körnchen. Karl schichtet die zer¬
streuten und verzettelten Halmen und Strohsträhnen aufeinander, hat seine helle
Freude an der blitzblanken Sauberkeit und empfindet zum erstenmal aus Eigenem
den Segen der Arbeit.
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