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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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An der Wiege des Königreichs Rumänien

erreichen konnte, ein entschiedenes Zeichen der Einsichtslosigkeit derer, die dort
getagt haben, und die nach seiner Meinung alle mehr oder weniger mit Blindheit
geschlagen sind. Ich habe nicht unterlassen, ihn daran zu erinnern, daß darunter
sich auch Graf Buol befunden, und sein Kaiser demnächst zu denjenigen Souveränen
gehört habe, die den Vertrag mit sanktioniert haben, während wir beim Eintritt
in den Kongreß diese Punkte bereits als vereinbarte vorgefunden haben, denn
etwas Wahres hat diese Auffassung.

Im allgemeinen kommen die österreichischen Raisonnements in der Sache
selbst auf folgende Punkte hinaus:

1. Die Türkei soll in ihrer Integrität erhalten werden; Osterreich hat dies
noch besonders mit Frankreich und England stipuliert. Eine Ordnung der Ver¬
hältnisse in der Moldau und Wallachei, die das Band zur Pforte lockert, und
dies würde jede selbständige Gestaltung der dortigen Zustände sein, ist somit
gegen seine eingegangenen Verbindlichkeiten; Österreich muß daher dabei stehen
bleiben, daß die Moldau und Wallachei den Charakter getrennter Provinzen, und,
als Provinzen, den einer möglichsten provinziellen Abhängigkeit von der Pforte,
als Zentrum des Reiches, behalten.

2. Die Anhörung der Volkswünsche ist ein gefährliches, das konservative
Prinzip in Frage Stellendes Präzedens. Wer diesen Gedanken ausgesonnen, ist
ohne weiteres ein Demokrat, und noch dazu ein vollkommen roter gewesen. Wer
irgend zur Ausführung dieses heillosen Gedankens mitwirken wolle, der ist ein
noch röterer Demokrat. Der Kongreß in Paris hätte nichts ärgeres erfinden
können, um sich und das konservative Prinzip bloßzustellen. Dieser Punkt müßte
daher nach Möglichkeit eludiert werden, und die Kommission habe gut zu machen,
was der Pariser Kongreß in dieser Hinsicht verpfuscht habe.

3. Dagegen habe man sich mit allem Ernste der inneren Entwicklung des
Landes durch Ordnung der Kommunal- und Agrarverhältnisse, durch Herstellung
eines guten Finanzsystems, Aufhebung der Bojarenprivilegien, Einführung einer
besseren Justiz usw. zu unterziehen.

Es ist sehr leicht, dieses Raisonnement als unhaltbar zu bekämpfen. Innere
Verbesserungen lassen sich da nirgend mit Erfolg ausführen, wo die energische
Hand der Leitung, die Moralität in der Verwaltung, und der gute Wille fehlt.
Diese Eigenschaften werden aber jeder Bojarenregierung abgehen. Ich konnte
daher auch dem Baron Prokesch und ohne ihn zu verletzen geradezu sagen, und
meine Ansicht begründen, daß ich an gar keine Verbesserungen glaube, die Oster¬
reich in jenen Ländern beabsichtige, und daß dieses alles eitle Phrase sei. Wer
etwas Ordentliches in der Moldau und Wallachei herstellen wolle, der müßte
ihr vor allen Dingen eine Negierung geben, die Macht und Ansehen habe, das
Gute durchzusetzen. Dies sei die conciitlo sine ama non des Gedeihens der
Länder. Baron Prokesch gab dies gewissermaßen zu, und meinte, der Kongreß
in Paris hätte am besten getan, einen einzigen Kommissär mit ausgedehnten
Vollmachten zur Reorganisation des Landes abzusenden. "Einen österreichischen"


An der Wiege des Königreichs Rumänien

erreichen konnte, ein entschiedenes Zeichen der Einsichtslosigkeit derer, die dort
getagt haben, und die nach seiner Meinung alle mehr oder weniger mit Blindheit
geschlagen sind. Ich habe nicht unterlassen, ihn daran zu erinnern, daß darunter
sich auch Graf Buol befunden, und sein Kaiser demnächst zu denjenigen Souveränen
gehört habe, die den Vertrag mit sanktioniert haben, während wir beim Eintritt
in den Kongreß diese Punkte bereits als vereinbarte vorgefunden haben, denn
etwas Wahres hat diese Auffassung.

Im allgemeinen kommen die österreichischen Raisonnements in der Sache
selbst auf folgende Punkte hinaus:

1. Die Türkei soll in ihrer Integrität erhalten werden; Osterreich hat dies
noch besonders mit Frankreich und England stipuliert. Eine Ordnung der Ver¬
hältnisse in der Moldau und Wallachei, die das Band zur Pforte lockert, und
dies würde jede selbständige Gestaltung der dortigen Zustände sein, ist somit
gegen seine eingegangenen Verbindlichkeiten; Österreich muß daher dabei stehen
bleiben, daß die Moldau und Wallachei den Charakter getrennter Provinzen, und,
als Provinzen, den einer möglichsten provinziellen Abhängigkeit von der Pforte,
als Zentrum des Reiches, behalten.

2. Die Anhörung der Volkswünsche ist ein gefährliches, das konservative
Prinzip in Frage Stellendes Präzedens. Wer diesen Gedanken ausgesonnen, ist
ohne weiteres ein Demokrat, und noch dazu ein vollkommen roter gewesen. Wer
irgend zur Ausführung dieses heillosen Gedankens mitwirken wolle, der ist ein
noch röterer Demokrat. Der Kongreß in Paris hätte nichts ärgeres erfinden
können, um sich und das konservative Prinzip bloßzustellen. Dieser Punkt müßte
daher nach Möglichkeit eludiert werden, und die Kommission habe gut zu machen,
was der Pariser Kongreß in dieser Hinsicht verpfuscht habe.

3. Dagegen habe man sich mit allem Ernste der inneren Entwicklung des
Landes durch Ordnung der Kommunal- und Agrarverhältnisse, durch Herstellung
eines guten Finanzsystems, Aufhebung der Bojarenprivilegien, Einführung einer
besseren Justiz usw. zu unterziehen.

Es ist sehr leicht, dieses Raisonnement als unhaltbar zu bekämpfen. Innere
Verbesserungen lassen sich da nirgend mit Erfolg ausführen, wo die energische
Hand der Leitung, die Moralität in der Verwaltung, und der gute Wille fehlt.
Diese Eigenschaften werden aber jeder Bojarenregierung abgehen. Ich konnte
daher auch dem Baron Prokesch und ohne ihn zu verletzen geradezu sagen, und
meine Ansicht begründen, daß ich an gar keine Verbesserungen glaube, die Oster¬
reich in jenen Ländern beabsichtige, und daß dieses alles eitle Phrase sei. Wer
etwas Ordentliches in der Moldau und Wallachei herstellen wolle, der müßte
ihr vor allen Dingen eine Negierung geben, die Macht und Ansehen habe, das
Gute durchzusetzen. Dies sei die conciitlo sine ama non des Gedeihens der
Länder. Baron Prokesch gab dies gewissermaßen zu, und meinte, der Kongreß
in Paris hätte am besten getan, einen einzigen Kommissär mit ausgedehnten
Vollmachten zur Reorganisation des Landes abzusenden. „Einen österreichischen"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/133>, abgerufen am 15.01.2025.