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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Am Ban der deutschen Zukunft

erreichbar zu halten, daß unsere Volkswirtschaft nach und nach alle Arbeit
aufgibt, die nur Reizurigs- und Betäubungsmittel, Schmuck, Vergnügungen und
Zerstreuungen schafft, also Dingen dient, die zur Erhaltung des leiblichen, zur
Beglückung des seelischen Lebens nicht erforderlich sind; mithin schließliche Be¬
schränkung der Weltarbeit auf notwendige Produkte, womit in einem höheren
Sinne als in dein Ostwalds eine Energieersparnis gegeben wäre. Der Handel
müßte mit der Erregung immer neuer Bedürfnisse zur Erweiterung seiner Absatz¬
märkte aufhören; wenigstens müßte man anfangen, unsere kostbare Reserve, die
gesunde Landbevölkerung, anders zu behandeln als einen wilden Stamm, in
den man, um ihn ausbeuten zu können, nach und nach alle Zivilisationsgifte
hineinträgt.

Es ist nun nicht nur die ganze Schicht der Natürlich-Jugendlichen in
unserer Volksgesellschaft, der von der "Kultur" noch unverdorbenen Land¬
bevölkerung, sondern es ist auch alles auf persönlicher Bedeutung beruhende
Führertum, das von der mechanisierten Gesellschaft unterdrückt, nicht an seinen
Platz gestellt, durch Einpassung in einen Mechanismus seiner wertvollsten Be-
tätigung beraubt wird. "Wahrlich dies ist nicht der Wille des Lebens in uns,
daß wir die zu Dienern machen, denen die Kraft zur Herrschaft eingeboren ist",
so lautet demgegenüber das Evangelium des "Jndividualaristokratismus", wie
es Kurt Breysig in seinem Buche "Von Gegenwart und von Zukunft des
deutschen Menschen" (Berlin 1912, Bondi) verkündigt. Auch hier ist es
der Aufschrei der -- Rathenau würde sagen: germanischen -- Seele gegen
die Knechtung: "Es ist die Mechanisierung der Seele, des Lebens,
an der wir kranken . . . das unmechanischste Gut unseres Lebens, der
Mensch selbst, wird heut zu Rad- und Triebwerk umgeformt." Persön¬
liches Leben ist das Rettungsmittel vor dieser Verflachung, vor allen:
vor der Niedertretung der Führermenschen. Jedem zum Führer Befähigten
soll sein Wirkungskreis werden, aber nur ein so großer, als er von ihm per¬
sönlich übersehen und beeinflußt werden kann. Darum fordert Breysig vor
allem Dezentralisierung der Regierung, aber dafür Zusammenlegung aller nach
sachlichen Prinzipien geteilten Einzelfunktionen eines übersehbaren Bezirks in
die starke Hand eines natürlichen Führers. Nur so ist die Pflege der land¬
schaftlichen Eigenkultur möglich, die sonst unterzugehen droht. Mit Recht wird
gegenüber der zunehmenden Auflösung der Negierung in "Ressorts" an die
Macht des preußischen Landrath alter Observanz erinnert, der mit der Zusammen¬
fassung aller Zweige der Regierungsgewalt wie ein kleiner König in seinem
Kreise stand. (Daß man auch von anderer Seite an eine Reform der Ver¬
waltung in dieser Richtung denkt, beweisen die gleichgerichteten Ausführungen
eines Kenners wie Richard Witting im Tag vom 12. September d. I.). Dem¬
entsprechend ist die Zusammenballung einer großen Masse bloßer Nummern¬
menschen in einem Großbetriebe zu verwerfen; persönliche Beziehungen des ein¬
zelnen zu dem Führer des Ganzen, auf der Grundlage des bewußten Zu-


Am Ban der deutschen Zukunft

erreichbar zu halten, daß unsere Volkswirtschaft nach und nach alle Arbeit
aufgibt, die nur Reizurigs- und Betäubungsmittel, Schmuck, Vergnügungen und
Zerstreuungen schafft, also Dingen dient, die zur Erhaltung des leiblichen, zur
Beglückung des seelischen Lebens nicht erforderlich sind; mithin schließliche Be¬
schränkung der Weltarbeit auf notwendige Produkte, womit in einem höheren
Sinne als in dein Ostwalds eine Energieersparnis gegeben wäre. Der Handel
müßte mit der Erregung immer neuer Bedürfnisse zur Erweiterung seiner Absatz¬
märkte aufhören; wenigstens müßte man anfangen, unsere kostbare Reserve, die
gesunde Landbevölkerung, anders zu behandeln als einen wilden Stamm, in
den man, um ihn ausbeuten zu können, nach und nach alle Zivilisationsgifte
hineinträgt.

Es ist nun nicht nur die ganze Schicht der Natürlich-Jugendlichen in
unserer Volksgesellschaft, der von der „Kultur" noch unverdorbenen Land¬
bevölkerung, sondern es ist auch alles auf persönlicher Bedeutung beruhende
Führertum, das von der mechanisierten Gesellschaft unterdrückt, nicht an seinen
Platz gestellt, durch Einpassung in einen Mechanismus seiner wertvollsten Be-
tätigung beraubt wird. „Wahrlich dies ist nicht der Wille des Lebens in uns,
daß wir die zu Dienern machen, denen die Kraft zur Herrschaft eingeboren ist",
so lautet demgegenüber das Evangelium des „Jndividualaristokratismus", wie
es Kurt Breysig in seinem Buche „Von Gegenwart und von Zukunft des
deutschen Menschen" (Berlin 1912, Bondi) verkündigt. Auch hier ist es
der Aufschrei der — Rathenau würde sagen: germanischen — Seele gegen
die Knechtung: „Es ist die Mechanisierung der Seele, des Lebens,
an der wir kranken . . . das unmechanischste Gut unseres Lebens, der
Mensch selbst, wird heut zu Rad- und Triebwerk umgeformt." Persön¬
liches Leben ist das Rettungsmittel vor dieser Verflachung, vor allen:
vor der Niedertretung der Führermenschen. Jedem zum Führer Befähigten
soll sein Wirkungskreis werden, aber nur ein so großer, als er von ihm per¬
sönlich übersehen und beeinflußt werden kann. Darum fordert Breysig vor
allem Dezentralisierung der Regierung, aber dafür Zusammenlegung aller nach
sachlichen Prinzipien geteilten Einzelfunktionen eines übersehbaren Bezirks in
die starke Hand eines natürlichen Führers. Nur so ist die Pflege der land¬
schaftlichen Eigenkultur möglich, die sonst unterzugehen droht. Mit Recht wird
gegenüber der zunehmenden Auflösung der Negierung in „Ressorts" an die
Macht des preußischen Landrath alter Observanz erinnert, der mit der Zusammen¬
fassung aller Zweige der Regierungsgewalt wie ein kleiner König in seinem
Kreise stand. (Daß man auch von anderer Seite an eine Reform der Ver¬
waltung in dieser Richtung denkt, beweisen die gleichgerichteten Ausführungen
eines Kenners wie Richard Witting im Tag vom 12. September d. I.). Dem¬
entsprechend ist die Zusammenballung einer großen Masse bloßer Nummern¬
menschen in einem Großbetriebe zu verwerfen; persönliche Beziehungen des ein¬
zelnen zu dem Führer des Ganzen, auf der Grundlage des bewußten Zu-


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[0117] Am Ban der deutschen Zukunft erreichbar zu halten, daß unsere Volkswirtschaft nach und nach alle Arbeit aufgibt, die nur Reizurigs- und Betäubungsmittel, Schmuck, Vergnügungen und Zerstreuungen schafft, also Dingen dient, die zur Erhaltung des leiblichen, zur Beglückung des seelischen Lebens nicht erforderlich sind; mithin schließliche Be¬ schränkung der Weltarbeit auf notwendige Produkte, womit in einem höheren Sinne als in dein Ostwalds eine Energieersparnis gegeben wäre. Der Handel müßte mit der Erregung immer neuer Bedürfnisse zur Erweiterung seiner Absatz¬ märkte aufhören; wenigstens müßte man anfangen, unsere kostbare Reserve, die gesunde Landbevölkerung, anders zu behandeln als einen wilden Stamm, in den man, um ihn ausbeuten zu können, nach und nach alle Zivilisationsgifte hineinträgt. Es ist nun nicht nur die ganze Schicht der Natürlich-Jugendlichen in unserer Volksgesellschaft, der von der „Kultur" noch unverdorbenen Land¬ bevölkerung, sondern es ist auch alles auf persönlicher Bedeutung beruhende Führertum, das von der mechanisierten Gesellschaft unterdrückt, nicht an seinen Platz gestellt, durch Einpassung in einen Mechanismus seiner wertvollsten Be- tätigung beraubt wird. „Wahrlich dies ist nicht der Wille des Lebens in uns, daß wir die zu Dienern machen, denen die Kraft zur Herrschaft eingeboren ist", so lautet demgegenüber das Evangelium des „Jndividualaristokratismus", wie es Kurt Breysig in seinem Buche „Von Gegenwart und von Zukunft des deutschen Menschen" (Berlin 1912, Bondi) verkündigt. Auch hier ist es der Aufschrei der — Rathenau würde sagen: germanischen — Seele gegen die Knechtung: „Es ist die Mechanisierung der Seele, des Lebens, an der wir kranken . . . das unmechanischste Gut unseres Lebens, der Mensch selbst, wird heut zu Rad- und Triebwerk umgeformt." Persön¬ liches Leben ist das Rettungsmittel vor dieser Verflachung, vor allen: vor der Niedertretung der Führermenschen. Jedem zum Führer Befähigten soll sein Wirkungskreis werden, aber nur ein so großer, als er von ihm per¬ sönlich übersehen und beeinflußt werden kann. Darum fordert Breysig vor allem Dezentralisierung der Regierung, aber dafür Zusammenlegung aller nach sachlichen Prinzipien geteilten Einzelfunktionen eines übersehbaren Bezirks in die starke Hand eines natürlichen Führers. Nur so ist die Pflege der land¬ schaftlichen Eigenkultur möglich, die sonst unterzugehen droht. Mit Recht wird gegenüber der zunehmenden Auflösung der Negierung in „Ressorts" an die Macht des preußischen Landrath alter Observanz erinnert, der mit der Zusammen¬ fassung aller Zweige der Regierungsgewalt wie ein kleiner König in seinem Kreise stand. (Daß man auch von anderer Seite an eine Reform der Ver¬ waltung in dieser Richtung denkt, beweisen die gleichgerichteten Ausführungen eines Kenners wie Richard Witting im Tag vom 12. September d. I.). Dem¬ entsprechend ist die Zusammenballung einer großen Masse bloßer Nummern¬ menschen in einem Großbetriebe zu verwerfen; persönliche Beziehungen des ein¬ zelnen zu dem Führer des Ganzen, auf der Grundlage des bewußten Zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/117>, abgerufen am 15.01.2025.