Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Am Bau der deutschen Zukunft zuführen, daß er seine Erfahrungen im hoffnungslosen Getriebe der großen Mit großem Nachdruck hat in den letzten Jahren neben anderen besonders Am Bau der deutschen Zukunft zuführen, daß er seine Erfahrungen im hoffnungslosen Getriebe der großen Mit großem Nachdruck hat in den letzten Jahren neben anderen besonders <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322518"/> <fw type="header" place="top"> Am Bau der deutschen Zukunft</fw><lb/> <p xml:id="ID_472" prev="#ID_471"> zuführen, daß er seine Erfahrungen im hoffnungslosen Getriebe der großen<lb/> Stadt, der großen Welt gesammelt hat, in rettungslos mechanisierten Schichten.<lb/> Meiner Meinung nach müssen wir vielmehr von der anderen Seite ausgehen,<lb/> von den Gesunden oder noch Heilbaren. Daß wir diese Volksteile stärken und<lb/> von ihnen die Durchseuchung fernhalten, darin ruht das deutsche Zukunfts¬<lb/> problem, vor dessen Lösung alle sozialen, kulturellen, politischen Probleme zurück¬<lb/> treten, weil unsere Existenz als Volk davon abhängt, daß nicht das Dekadente<lb/> überwiegt, sondern das Jugendkräftige. Nur auf diesem Wege kann auch<lb/> Klarheit über die Frage gewonnen werden, ob wir als Volk jung oder alt sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_473" next="#ID_474"> Mit großem Nachdruck hat in den letzten Jahren neben anderen besonders<lb/> A. I'Houel darauf hingewiesen, daß unser Volk seine jugendliche Schicht in<lb/> seinem Bauerntum besitzt; zuletzt in dem Buche „Zur Psychologie der Kultur,<lb/> Briefe an die Großstadt" (Bremen 19.10, Niedersachsen-Verlag Schünemann).<lb/> Im Zeitalter der literarischen Pflaumenweichheit will es etwas besagen, wenn<lb/> ein Buch zeigt, daß sein Verfasser noch rechtschaffen zürnen und hassen kann.<lb/> Das ganze Buch ist eine Anklage, gerichtet gegen den Volksverderb, der aus¬<lb/> geht von den Großstädten, vom Kapital, von der Industrie, von der Börse;<lb/> es sind Rathenaus Ausgangspunkte der mechanistischen Bewegung, die hier als<lb/> Feinde erkannt werden. Ein echter Prediger des alten Stils, nennt der evan¬<lb/> gelische Pfarrer I'Houel das Kind stets beim rechten Namen. Getragen ist die<lb/> Jnveltwe von dem positiven Untergrund einer genauen Kenntnis der Bauern¬<lb/> psyche, wie sie der Verfasser schon in einem früheren Buche erwiesen hat („Zur<lb/> Psychologie des Bauerntums", 1905). Wenn man ein fühlendes Verständnis<lb/> des inneren Lebens sucht, so wird man bei l'Houel nicht selten an Wilhelm<lb/> Heinrich nicht erinnert, aber die Heftigkeit der Tonart berührt sich mit einzelnen<lb/> Schriften von Hansjakob, dessen Gesinnungsgenosse l'Houel in mancher Hinsicht<lb/> ist. Von den Großstädtern erwartet l'Houel nichts mehr, ihnen will er auch<lb/> nicht helfen; „aber der Raubbau an unserer Natur, am Lande, am Bauerntum<lb/> ist der gefährliche; gefährlich, weil er unser Volk seiner Zukunft beraubt".<lb/> Kapitalistische Unternehmung, Eisenbahn, Presse, eine Volksschule, die den Bauer<lb/> nicht auf seiner Scholle heimisch macht, sondern ihr entfremdet, — sie alle<lb/> tragen das dem Bauerntum Fremdartige ins Land hinaus. Die Folge ist die<lb/> Abwanderung des jungen Landvolkes in die Städte, Proletarisierung, mancherlei<lb/> anderer Verderb. Und der auf dem Lande bleibende Teil des Volkes beginnt<lb/> seine Eigenart zu verachten. Eine Rettung erwartet l'Houel nicht von Heimat¬<lb/> vereinen und Trachtenfesten, sondern vom Staate, der das Land als Rückhalt<lb/> und Depot des ganzen Volkes werten lernt, der Bauernblut oder doch Bauern¬<lb/> verständnis in die Behörden bringt; ferner von der Wissenschaft, insbesondere<lb/> der volkskundlichen, und vor allem von dem Wiedererwachen einer lebendigen<lb/> Religion, auch in dem noch heilbaren Teile des Bürgerstandes. Man wird<lb/> wohl auch dahin zu streben haben, daß der Warenhunger des Landvolkes nicht<lb/> immer neu erregt wird. Selbst der weltknndige Rathenau scheint es für</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
Am Bau der deutschen Zukunft
zuführen, daß er seine Erfahrungen im hoffnungslosen Getriebe der großen
Stadt, der großen Welt gesammelt hat, in rettungslos mechanisierten Schichten.
Meiner Meinung nach müssen wir vielmehr von der anderen Seite ausgehen,
von den Gesunden oder noch Heilbaren. Daß wir diese Volksteile stärken und
von ihnen die Durchseuchung fernhalten, darin ruht das deutsche Zukunfts¬
problem, vor dessen Lösung alle sozialen, kulturellen, politischen Probleme zurück¬
treten, weil unsere Existenz als Volk davon abhängt, daß nicht das Dekadente
überwiegt, sondern das Jugendkräftige. Nur auf diesem Wege kann auch
Klarheit über die Frage gewonnen werden, ob wir als Volk jung oder alt sind.
Mit großem Nachdruck hat in den letzten Jahren neben anderen besonders
A. I'Houel darauf hingewiesen, daß unser Volk seine jugendliche Schicht in
seinem Bauerntum besitzt; zuletzt in dem Buche „Zur Psychologie der Kultur,
Briefe an die Großstadt" (Bremen 19.10, Niedersachsen-Verlag Schünemann).
Im Zeitalter der literarischen Pflaumenweichheit will es etwas besagen, wenn
ein Buch zeigt, daß sein Verfasser noch rechtschaffen zürnen und hassen kann.
Das ganze Buch ist eine Anklage, gerichtet gegen den Volksverderb, der aus¬
geht von den Großstädten, vom Kapital, von der Industrie, von der Börse;
es sind Rathenaus Ausgangspunkte der mechanistischen Bewegung, die hier als
Feinde erkannt werden. Ein echter Prediger des alten Stils, nennt der evan¬
gelische Pfarrer I'Houel das Kind stets beim rechten Namen. Getragen ist die
Jnveltwe von dem positiven Untergrund einer genauen Kenntnis der Bauern¬
psyche, wie sie der Verfasser schon in einem früheren Buche erwiesen hat („Zur
Psychologie des Bauerntums", 1905). Wenn man ein fühlendes Verständnis
des inneren Lebens sucht, so wird man bei l'Houel nicht selten an Wilhelm
Heinrich nicht erinnert, aber die Heftigkeit der Tonart berührt sich mit einzelnen
Schriften von Hansjakob, dessen Gesinnungsgenosse l'Houel in mancher Hinsicht
ist. Von den Großstädtern erwartet l'Houel nichts mehr, ihnen will er auch
nicht helfen; „aber der Raubbau an unserer Natur, am Lande, am Bauerntum
ist der gefährliche; gefährlich, weil er unser Volk seiner Zukunft beraubt".
Kapitalistische Unternehmung, Eisenbahn, Presse, eine Volksschule, die den Bauer
nicht auf seiner Scholle heimisch macht, sondern ihr entfremdet, — sie alle
tragen das dem Bauerntum Fremdartige ins Land hinaus. Die Folge ist die
Abwanderung des jungen Landvolkes in die Städte, Proletarisierung, mancherlei
anderer Verderb. Und der auf dem Lande bleibende Teil des Volkes beginnt
seine Eigenart zu verachten. Eine Rettung erwartet l'Houel nicht von Heimat¬
vereinen und Trachtenfesten, sondern vom Staate, der das Land als Rückhalt
und Depot des ganzen Volkes werten lernt, der Bauernblut oder doch Bauern¬
verständnis in die Behörden bringt; ferner von der Wissenschaft, insbesondere
der volkskundlichen, und vor allem von dem Wiedererwachen einer lebendigen
Religion, auch in dem noch heilbaren Teile des Bürgerstandes. Man wird
wohl auch dahin zu streben haben, daß der Warenhunger des Landvolkes nicht
immer neu erregt wird. Selbst der weltknndige Rathenau scheint es für
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