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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Max Dreyer

Wieviel schweigende Dichter mag es geben? In Dreyers Dichtungen finden
wir so manchen.

Kunst ist Entblößung. Das ist nicht bloß Dreyers Theorie, er hat auch,
leider, muß man sagen -- nur allzu sehr versucht, das Eigenste zu verbergen
und nur das Gröbere Gestalt werden lassen. "Meine Visage gehört mir selbst."
Das Allerpersönlichste des Dichters will er der Dichtung vorenthalten.

In solchen Absonderlichkeiten verliert sich Dreyer aber nicht. Die Lust
am Grübeln verdirbt ihm die Lust am Leben keineswegs. Er findet seine
Freude am Bilden und am Bildlichen. Selbst in seinen schwächeren Stücken
rettet ihn die Bildkraft seiner Schilderung. Die gedrungene Anschaulichkeit der
Menschenzeichnung und der beseelten Bildlichkeit der Naturschilderung in seinen
besten Werken ist schlechthin meisterhaft. Echte Bildschnitzerfreude wendet auch
dem Kleinsten seine ganze Liebe zu. "Nebenfiguren" gibt es nicht für ihn.
Das Nebensächlichste bekommt ein scharf gezeichnetes Gesicht. Und seine Dichter¬
güte blickt mit festen klaren Augen und findet ihre größte Freude an denen, die
das Leben stark und geruhig bejahen, der Grübler liebt die schlichtesten und
natürlichsten.

Auf eigener Erde -- das ist Max Dreyers Sieg und die Befreiung über
sich selbst. Eigene Erde -- das Beste, was dem Menschen beschieden sein kann.
Wer eine eigene Erde hat, etwas auf Erden, wo er wurzelt, um das er
kämpfen kann, dem seine Not und seine Liebe gehört, der ist gesegnet. Auf
eigener Erde -- ist das nicht die Losung für unsere Zeit? Bis ins Soziale
geht es. Denn gibt es bessere Abwehr gegen Vaterlandsvergessenheit und
Internationales als eigener Siedler auf eigener Erde? -- Doch bleiben wir
beim Menschlichen. Die eigene Erde ist die Lösung und Erlösung vom allzu
Täglichen. Vom Hastigen, von dem Zerrissenen, geistig Zerklüfteten, vom
Heimatlosen unserer Zeit.

Max Dreyer ist noch jung. So jung und schaffensstark, daß wir noch
viel von ihm erwarten dürfen. Wir wünschen, daß sein Schaffen ihm inMer
ernster und innerlicher werde, und keine Flüchtigkeit und keine falsche Scheu,
sich zu entblößen, ihm seine Werke schmälert. Zu lange hat er planmäßig
versteckt. Zu lange hat er von sich selbst wenig genug gegeben. Erst durch
"Ohm Peter", den "Lächelnden Knaben" und zuletzt durch den gemütvollen
"Martin Overbeck" erfahren wir von ihm selber etwas. Das ist ein Wunsch
zum Schluß: Dieser tapfere, klare, warmherzige, urdeutsche Dichter soll uns
mehr von seinem eigenen Wesen, aus seinem Herzen geben.




Max Dreyer

Wieviel schweigende Dichter mag es geben? In Dreyers Dichtungen finden
wir so manchen.

Kunst ist Entblößung. Das ist nicht bloß Dreyers Theorie, er hat auch,
leider, muß man sagen — nur allzu sehr versucht, das Eigenste zu verbergen
und nur das Gröbere Gestalt werden lassen. „Meine Visage gehört mir selbst."
Das Allerpersönlichste des Dichters will er der Dichtung vorenthalten.

In solchen Absonderlichkeiten verliert sich Dreyer aber nicht. Die Lust
am Grübeln verdirbt ihm die Lust am Leben keineswegs. Er findet seine
Freude am Bilden und am Bildlichen. Selbst in seinen schwächeren Stücken
rettet ihn die Bildkraft seiner Schilderung. Die gedrungene Anschaulichkeit der
Menschenzeichnung und der beseelten Bildlichkeit der Naturschilderung in seinen
besten Werken ist schlechthin meisterhaft. Echte Bildschnitzerfreude wendet auch
dem Kleinsten seine ganze Liebe zu. „Nebenfiguren" gibt es nicht für ihn.
Das Nebensächlichste bekommt ein scharf gezeichnetes Gesicht. Und seine Dichter¬
güte blickt mit festen klaren Augen und findet ihre größte Freude an denen, die
das Leben stark und geruhig bejahen, der Grübler liebt die schlichtesten und
natürlichsten.

Auf eigener Erde — das ist Max Dreyers Sieg und die Befreiung über
sich selbst. Eigene Erde — das Beste, was dem Menschen beschieden sein kann.
Wer eine eigene Erde hat, etwas auf Erden, wo er wurzelt, um das er
kämpfen kann, dem seine Not und seine Liebe gehört, der ist gesegnet. Auf
eigener Erde — ist das nicht die Losung für unsere Zeit? Bis ins Soziale
geht es. Denn gibt es bessere Abwehr gegen Vaterlandsvergessenheit und
Internationales als eigener Siedler auf eigener Erde? — Doch bleiben wir
beim Menschlichen. Die eigene Erde ist die Lösung und Erlösung vom allzu
Täglichen. Vom Hastigen, von dem Zerrissenen, geistig Zerklüfteten, vom
Heimatlosen unserer Zeit.

Max Dreyer ist noch jung. So jung und schaffensstark, daß wir noch
viel von ihm erwarten dürfen. Wir wünschen, daß sein Schaffen ihm inMer
ernster und innerlicher werde, und keine Flüchtigkeit und keine falsche Scheu,
sich zu entblößen, ihm seine Werke schmälert. Zu lange hat er planmäßig
versteckt. Zu lange hat er von sich selbst wenig genug gegeben. Erst durch
„Ohm Peter", den „Lächelnden Knaben" und zuletzt durch den gemütvollen
„Martin Overbeck" erfahren wir von ihm selber etwas. Das ist ein Wunsch
zum Schluß: Dieser tapfere, klare, warmherzige, urdeutsche Dichter soll uns
mehr von seinem eigenen Wesen, aus seinem Herzen geben.




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[0104] Max Dreyer Wieviel schweigende Dichter mag es geben? In Dreyers Dichtungen finden wir so manchen. Kunst ist Entblößung. Das ist nicht bloß Dreyers Theorie, er hat auch, leider, muß man sagen — nur allzu sehr versucht, das Eigenste zu verbergen und nur das Gröbere Gestalt werden lassen. „Meine Visage gehört mir selbst." Das Allerpersönlichste des Dichters will er der Dichtung vorenthalten. In solchen Absonderlichkeiten verliert sich Dreyer aber nicht. Die Lust am Grübeln verdirbt ihm die Lust am Leben keineswegs. Er findet seine Freude am Bilden und am Bildlichen. Selbst in seinen schwächeren Stücken rettet ihn die Bildkraft seiner Schilderung. Die gedrungene Anschaulichkeit der Menschenzeichnung und der beseelten Bildlichkeit der Naturschilderung in seinen besten Werken ist schlechthin meisterhaft. Echte Bildschnitzerfreude wendet auch dem Kleinsten seine ganze Liebe zu. „Nebenfiguren" gibt es nicht für ihn. Das Nebensächlichste bekommt ein scharf gezeichnetes Gesicht. Und seine Dichter¬ güte blickt mit festen klaren Augen und findet ihre größte Freude an denen, die das Leben stark und geruhig bejahen, der Grübler liebt die schlichtesten und natürlichsten. Auf eigener Erde — das ist Max Dreyers Sieg und die Befreiung über sich selbst. Eigene Erde — das Beste, was dem Menschen beschieden sein kann. Wer eine eigene Erde hat, etwas auf Erden, wo er wurzelt, um das er kämpfen kann, dem seine Not und seine Liebe gehört, der ist gesegnet. Auf eigener Erde — ist das nicht die Losung für unsere Zeit? Bis ins Soziale geht es. Denn gibt es bessere Abwehr gegen Vaterlandsvergessenheit und Internationales als eigener Siedler auf eigener Erde? — Doch bleiben wir beim Menschlichen. Die eigene Erde ist die Lösung und Erlösung vom allzu Täglichen. Vom Hastigen, von dem Zerrissenen, geistig Zerklüfteten, vom Heimatlosen unserer Zeit. Max Dreyer ist noch jung. So jung und schaffensstark, daß wir noch viel von ihm erwarten dürfen. Wir wünschen, daß sein Schaffen ihm inMer ernster und innerlicher werde, und keine Flüchtigkeit und keine falsche Scheu, sich zu entblößen, ihm seine Werke schmälert. Zu lange hat er planmäßig versteckt. Zu lange hat er von sich selbst wenig genug gegeben. Erst durch „Ohm Peter", den „Lächelnden Knaben" und zuletzt durch den gemütvollen „Martin Overbeck" erfahren wir von ihm selber etwas. Das ist ein Wunsch zum Schluß: Dieser tapfere, klare, warmherzige, urdeutsche Dichter soll uns mehr von seinem eigenen Wesen, aus seinem Herzen geben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/104>, abgerufen am 15.01.2025.