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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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An der Wiege des Königreichs Rumänien

daß Euere Königliche Majestät noch nicht geruhet hätten, eine bestimmte Ansicht
über diese Frage auszusprechen, indem ja noch zweifelhaft sei, ob die Fürsten¬
tümer selbst durch ihre Diwans hierauf antragen würden. Ich bediente mich
des Vergleichs, daß man nicht füglich zwei Personen verheiraten könne, wenn
nicht beide wollten, und daß von der Angemessenheit und Zweckmäßigkeit einer
solchen Verbindung füglich erst dann gesprochen werden könne, wenn beide Teile
den Willen, sie zu schließen, erklärt hätten. Von der Moldau könne dies wohl
erwartet werden, aber von der wichtigeren Walachei fehle noch jede Äußerung,
weshalb die Sache für uns bis jetzt so gelegen habe, daß sie noch kein bestimmtes
Urteil zu erheischen schien; in der Theorie und im Prinzip böten größere
Staatenkomplexe allerdings eine bessere Garantie für eine gute Administration,
als kleinere dar, und wenn die Fürstentümer lnder den Wunsch auf Ver¬
einigung aussprechen sollten, so würden die Gründe dieses Wunsches auch in
Berlin verstanden und gewürdigt werden.

Mr. de Bourqueney schien ein wärmeres Eingehen meinerseits auf die
Vereinigungssrage erwartet zu haben; er hob hervor, daß nach seinen Nach¬
richten die Walachei diesen Wunsch allerdings teile, und wenn es dort zu einer
Manifestation desselben noch nicht gekommen sei, dies lediglich daran gelegen
habe, daß der Fürst Stirbey dieselbe unterdrückt habe. In Frankreich sehe man
es für unzweifelhaft an, daß diese Frage zur Diskussion kommen müßte und
daß man sich ihr nicht würde entziehen können, man sehe sie sogar als einen
Hauptpunkt an, dessen Entscheidung im affirmativen Sinne eine Bedingung für
die Wohlfahrt der beiden Länder sei. Hierauf entwickelte der Botschafter alle
die bekannten Gründe, welche für die Vereinigung sprechen und zwar in einer
Weise, daß ich eine sehr genaue Übereinstimmung derselben mit einem Leit¬
artikel der "Presse" desselben Tages fand, der mir einige Stunden nachher in
die Hände kam und welcher zum ersten Male in Österreich entschieden für die
Vereinigung sich ausspricht.

Auf diesen Punkt, der allerdings von dem französischen Ambassadeur mit
der größten Entschiedenheit hingestellt wurde, beschränkten sich indes seine
Äußerungen, und über die sonstigen Absichten des französischen Gouvernements
bei Konstituierung und Organisation der Regierungsgewalt in den Fürsten¬
tümern ließ er nichts verlauten; nur das konnte ich mit Sicherheit entnehmen,
daß bei der Anwesenheit des französischen Kommissars Baron Talleyrand Hier¬
selbst keinerlei Verabredungen mit dem Wiener Kabinett stattgefunden haben
und daß, wenn die hiesige Presse mit geflissentlicher Ostentation von befriedigenden
Vorverhandlungen spricht, dies auf Unwahrheit beruht.

Jene bestimmte Äußerung des französischen Botschafters über die Vereinigungs¬
frage abgerechnet, zu welcher derselbe bis dahin keine Gelegenheit gehabt haben
mag, habe ich hiernach die Auffassung der hiesigen Diplomatie genau so un¬
bestimmt und unsicher gefunden, als Euer Königlichen Majestät interimistischer
Geschäftsträger dies in seinem alleruntertänigsten Berichte vom 9. d. M. gemeldet


An der Wiege des Königreichs Rumänien

daß Euere Königliche Majestät noch nicht geruhet hätten, eine bestimmte Ansicht
über diese Frage auszusprechen, indem ja noch zweifelhaft sei, ob die Fürsten¬
tümer selbst durch ihre Diwans hierauf antragen würden. Ich bediente mich
des Vergleichs, daß man nicht füglich zwei Personen verheiraten könne, wenn
nicht beide wollten, und daß von der Angemessenheit und Zweckmäßigkeit einer
solchen Verbindung füglich erst dann gesprochen werden könne, wenn beide Teile
den Willen, sie zu schließen, erklärt hätten. Von der Moldau könne dies wohl
erwartet werden, aber von der wichtigeren Walachei fehle noch jede Äußerung,
weshalb die Sache für uns bis jetzt so gelegen habe, daß sie noch kein bestimmtes
Urteil zu erheischen schien; in der Theorie und im Prinzip böten größere
Staatenkomplexe allerdings eine bessere Garantie für eine gute Administration,
als kleinere dar, und wenn die Fürstentümer lnder den Wunsch auf Ver¬
einigung aussprechen sollten, so würden die Gründe dieses Wunsches auch in
Berlin verstanden und gewürdigt werden.

Mr. de Bourqueney schien ein wärmeres Eingehen meinerseits auf die
Vereinigungssrage erwartet zu haben; er hob hervor, daß nach seinen Nach¬
richten die Walachei diesen Wunsch allerdings teile, und wenn es dort zu einer
Manifestation desselben noch nicht gekommen sei, dies lediglich daran gelegen
habe, daß der Fürst Stirbey dieselbe unterdrückt habe. In Frankreich sehe man
es für unzweifelhaft an, daß diese Frage zur Diskussion kommen müßte und
daß man sich ihr nicht würde entziehen können, man sehe sie sogar als einen
Hauptpunkt an, dessen Entscheidung im affirmativen Sinne eine Bedingung für
die Wohlfahrt der beiden Länder sei. Hierauf entwickelte der Botschafter alle
die bekannten Gründe, welche für die Vereinigung sprechen und zwar in einer
Weise, daß ich eine sehr genaue Übereinstimmung derselben mit einem Leit¬
artikel der „Presse" desselben Tages fand, der mir einige Stunden nachher in
die Hände kam und welcher zum ersten Male in Österreich entschieden für die
Vereinigung sich ausspricht.

Auf diesen Punkt, der allerdings von dem französischen Ambassadeur mit
der größten Entschiedenheit hingestellt wurde, beschränkten sich indes seine
Äußerungen, und über die sonstigen Absichten des französischen Gouvernements
bei Konstituierung und Organisation der Regierungsgewalt in den Fürsten¬
tümern ließ er nichts verlauten; nur das konnte ich mit Sicherheit entnehmen,
daß bei der Anwesenheit des französischen Kommissars Baron Talleyrand Hier¬
selbst keinerlei Verabredungen mit dem Wiener Kabinett stattgefunden haben
und daß, wenn die hiesige Presse mit geflissentlicher Ostentation von befriedigenden
Vorverhandlungen spricht, dies auf Unwahrheit beruht.

Jene bestimmte Äußerung des französischen Botschafters über die Vereinigungs¬
frage abgerechnet, zu welcher derselbe bis dahin keine Gelegenheit gehabt haben
mag, habe ich hiernach die Auffassung der hiesigen Diplomatie genau so un¬
bestimmt und unsicher gefunden, als Euer Königlichen Majestät interimistischer
Geschäftsträger dies in seinem alleruntertänigsten Berichte vom 9. d. M. gemeldet


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[0086] An der Wiege des Königreichs Rumänien daß Euere Königliche Majestät noch nicht geruhet hätten, eine bestimmte Ansicht über diese Frage auszusprechen, indem ja noch zweifelhaft sei, ob die Fürsten¬ tümer selbst durch ihre Diwans hierauf antragen würden. Ich bediente mich des Vergleichs, daß man nicht füglich zwei Personen verheiraten könne, wenn nicht beide wollten, und daß von der Angemessenheit und Zweckmäßigkeit einer solchen Verbindung füglich erst dann gesprochen werden könne, wenn beide Teile den Willen, sie zu schließen, erklärt hätten. Von der Moldau könne dies wohl erwartet werden, aber von der wichtigeren Walachei fehle noch jede Äußerung, weshalb die Sache für uns bis jetzt so gelegen habe, daß sie noch kein bestimmtes Urteil zu erheischen schien; in der Theorie und im Prinzip böten größere Staatenkomplexe allerdings eine bessere Garantie für eine gute Administration, als kleinere dar, und wenn die Fürstentümer lnder den Wunsch auf Ver¬ einigung aussprechen sollten, so würden die Gründe dieses Wunsches auch in Berlin verstanden und gewürdigt werden. Mr. de Bourqueney schien ein wärmeres Eingehen meinerseits auf die Vereinigungssrage erwartet zu haben; er hob hervor, daß nach seinen Nach¬ richten die Walachei diesen Wunsch allerdings teile, und wenn es dort zu einer Manifestation desselben noch nicht gekommen sei, dies lediglich daran gelegen habe, daß der Fürst Stirbey dieselbe unterdrückt habe. In Frankreich sehe man es für unzweifelhaft an, daß diese Frage zur Diskussion kommen müßte und daß man sich ihr nicht würde entziehen können, man sehe sie sogar als einen Hauptpunkt an, dessen Entscheidung im affirmativen Sinne eine Bedingung für die Wohlfahrt der beiden Länder sei. Hierauf entwickelte der Botschafter alle die bekannten Gründe, welche für die Vereinigung sprechen und zwar in einer Weise, daß ich eine sehr genaue Übereinstimmung derselben mit einem Leit¬ artikel der „Presse" desselben Tages fand, der mir einige Stunden nachher in die Hände kam und welcher zum ersten Male in Österreich entschieden für die Vereinigung sich ausspricht. Auf diesen Punkt, der allerdings von dem französischen Ambassadeur mit der größten Entschiedenheit hingestellt wurde, beschränkten sich indes seine Äußerungen, und über die sonstigen Absichten des französischen Gouvernements bei Konstituierung und Organisation der Regierungsgewalt in den Fürsten¬ tümern ließ er nichts verlauten; nur das konnte ich mit Sicherheit entnehmen, daß bei der Anwesenheit des französischen Kommissars Baron Talleyrand Hier¬ selbst keinerlei Verabredungen mit dem Wiener Kabinett stattgefunden haben und daß, wenn die hiesige Presse mit geflissentlicher Ostentation von befriedigenden Vorverhandlungen spricht, dies auf Unwahrheit beruht. Jene bestimmte Äußerung des französischen Botschafters über die Vereinigungs¬ frage abgerechnet, zu welcher derselbe bis dahin keine Gelegenheit gehabt haben mag, habe ich hiernach die Auffassung der hiesigen Diplomatie genau so un¬ bestimmt und unsicher gefunden, als Euer Königlichen Majestät interimistischer Geschäftsträger dies in seinem alleruntertänigsten Berichte vom 9. d. M. gemeldet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/86>, abgerufen am 03.07.2024.