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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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An der Wiege des Königreichs Rumänien

russische Intrige sie daran verhindert habe. Die Fürstentümer hätten nun einmal
ihre Blicke auf die Westmächte gerichtet und erwarteten vorzugsweise von diesen
ihr Heil; man wolle sie daran nicht hindern, sondern die Westmächte gewähren
lassen und nur vermeiden, daß, wenn das Heil doch ausbleibe, das Odium auf
Rußland falle. Mr. Balabine setzte hinzu, daß dies sicherlich auch die preußische
Auffassung sein werde, und ich sagte ihm darauf, daß Euer Königliche Majestät
gewiß allen Maßregeln beizustimmen geruhen würden, welche geeignet erscheinen
möchten, das Glück jener interessanten Länder zu begründen.

Gestern habe ich dem französischen Botschafter, Baron Bourqueney, meinen
Besuch gemacht; die Art und Weise, wie er sich äußerte, war einigermaßen
unbestimmt. Er bedauerte zunächst, daß bei dem Kongresse in Paris in bezug
auf die Fürstentümer so wenig Positives festgestellt worden sei; es habe auch
wohl daran gelegen, daß den Kongreßmitgliedern gerade dieser Punkt der orien¬
talischen Frage nicht aus früheren Dienstverhältnissen im Orient bekannt genug
gewesen sei. Nachdem die Regulierung dieser Verhältnisse der Hauptsache nach
auf die Kommission verwiesen worden, sei die Lösung der Frage eine viel
schwierigere geworden, da zu einer gegenseitigen Nachgiebigkeit nicht mehr durch
das größere Interesse für den allgemeinen Frieden hingedrängt werde. Alle
Separatinterefsen, Intrigen usw. hätten jetzt freie Zeit und freien Spielraum, sich
geltend zu machen und die Negoziation fange schon jetzt unter Auspizien an, die
nicht die besten wären. Nach seiner Kenntnis der türkischen Politik glaube er,
daß, obwohl die Pforte sehr wohl wisse, daß dieselbe nur einen Schatten von
Gewalt in den Fürstentümern, besessen habe und besitze, sie doch diesen Schatten
nicht werde aufgeben wollen, besonders da sich die Türkei von anderer Seite
her hierzu aufgefordert und unterstützt sehe. Nach dem Gange, den einmal die
Sache genommen, halte er dafür, daß eine Übereilung des Geschäftes schädlich
sein werde. Vielleicht gewinne man mit einem Opfer an Zeit mehr, als durch
eine Beeilung. Dies habe er auch dem unlängst nach Konstantinopel abgereisten
Baron Talleyrand gesagt.

Mir schienen diese Äußerungen von Baron Bourqueney -- dessen tiefe
Kenntnis der orientalischen Zustände durch seinen langen Aufenthalt in Kon¬
stantinopel bekannt und geschätzt ist -- dahin zu gehen, daß es ihm im allseitigen
Interesse zu liegen scheine, die Reorganisation der Fürstentümer etwas hinzu¬
halten, wenn sie sür den Augenblick zu große Schwierigkeiten ergeben solle.
Die Kommission würde dann eine Art von Permanenz erhalten.

Mr. de Bourqueney, der sich eigentlich bis dahin über die Absichten Frank¬
reichs gar nicht geäußert hatte, brachte hierauf die Sprache auf die Vereinigung
der Fürstentümer und legte mir eine Äußerung hierüber nahe. Da ich nun
gehört hatte, daß der französische Botschafter sich gegen Graf Buol dahin ver¬
traulich geäußert haben soll, daß ihm bekannt sei, daß preußischerseits auf diese
Vereinigung das größte Gewicht gelegt werde und dadurch, wenn auch absichtslos,
die österreichische Regierung gegen uns eingenommen habe, so sagte ich ihni,


Grenzboten III 1912 10
An der Wiege des Königreichs Rumänien

russische Intrige sie daran verhindert habe. Die Fürstentümer hätten nun einmal
ihre Blicke auf die Westmächte gerichtet und erwarteten vorzugsweise von diesen
ihr Heil; man wolle sie daran nicht hindern, sondern die Westmächte gewähren
lassen und nur vermeiden, daß, wenn das Heil doch ausbleibe, das Odium auf
Rußland falle. Mr. Balabine setzte hinzu, daß dies sicherlich auch die preußische
Auffassung sein werde, und ich sagte ihm darauf, daß Euer Königliche Majestät
gewiß allen Maßregeln beizustimmen geruhen würden, welche geeignet erscheinen
möchten, das Glück jener interessanten Länder zu begründen.

Gestern habe ich dem französischen Botschafter, Baron Bourqueney, meinen
Besuch gemacht; die Art und Weise, wie er sich äußerte, war einigermaßen
unbestimmt. Er bedauerte zunächst, daß bei dem Kongresse in Paris in bezug
auf die Fürstentümer so wenig Positives festgestellt worden sei; es habe auch
wohl daran gelegen, daß den Kongreßmitgliedern gerade dieser Punkt der orien¬
talischen Frage nicht aus früheren Dienstverhältnissen im Orient bekannt genug
gewesen sei. Nachdem die Regulierung dieser Verhältnisse der Hauptsache nach
auf die Kommission verwiesen worden, sei die Lösung der Frage eine viel
schwierigere geworden, da zu einer gegenseitigen Nachgiebigkeit nicht mehr durch
das größere Interesse für den allgemeinen Frieden hingedrängt werde. Alle
Separatinterefsen, Intrigen usw. hätten jetzt freie Zeit und freien Spielraum, sich
geltend zu machen und die Negoziation fange schon jetzt unter Auspizien an, die
nicht die besten wären. Nach seiner Kenntnis der türkischen Politik glaube er,
daß, obwohl die Pforte sehr wohl wisse, daß dieselbe nur einen Schatten von
Gewalt in den Fürstentümern, besessen habe und besitze, sie doch diesen Schatten
nicht werde aufgeben wollen, besonders da sich die Türkei von anderer Seite
her hierzu aufgefordert und unterstützt sehe. Nach dem Gange, den einmal die
Sache genommen, halte er dafür, daß eine Übereilung des Geschäftes schädlich
sein werde. Vielleicht gewinne man mit einem Opfer an Zeit mehr, als durch
eine Beeilung. Dies habe er auch dem unlängst nach Konstantinopel abgereisten
Baron Talleyrand gesagt.

Mir schienen diese Äußerungen von Baron Bourqueney — dessen tiefe
Kenntnis der orientalischen Zustände durch seinen langen Aufenthalt in Kon¬
stantinopel bekannt und geschätzt ist — dahin zu gehen, daß es ihm im allseitigen
Interesse zu liegen scheine, die Reorganisation der Fürstentümer etwas hinzu¬
halten, wenn sie sür den Augenblick zu große Schwierigkeiten ergeben solle.
Die Kommission würde dann eine Art von Permanenz erhalten.

Mr. de Bourqueney, der sich eigentlich bis dahin über die Absichten Frank¬
reichs gar nicht geäußert hatte, brachte hierauf die Sprache auf die Vereinigung
der Fürstentümer und legte mir eine Äußerung hierüber nahe. Da ich nun
gehört hatte, daß der französische Botschafter sich gegen Graf Buol dahin ver¬
traulich geäußert haben soll, daß ihm bekannt sei, daß preußischerseits auf diese
Vereinigung das größte Gewicht gelegt werde und dadurch, wenn auch absichtslos,
die österreichische Regierung gegen uns eingenommen habe, so sagte ich ihni,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/85>, abgerufen am 03.07.2024.