Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Römer Glauben

wissen" eingibt. Rechtlich wäre die Kirche jedenfalls im Recht, wenn sie den Mann
nicht nur pensionierte, sondern überhaupt absetzte; was würde denn der Staat etwa
mit einem Amtsrichter machen, der plötzlich nach seinem "Gewissen" richtete und
nicht nach dem Gesetzbuch? Man muß sich sogar wundern, daß Jatho nicht
schon von selber aus seinem Amt ging. Ideell hat die Kirche auch recht: denn
sie erhielt die Tradition, die doch durch jahrhundertelange Arbeit bedeutender
Männer geschaffen ist und immerhin noch mehr wert sein wird wie eine nichtige
Tagesmeinung. Von "Ketzerrichten" kann hier überhaupt keine Rede sein, denn
als Privatmann kann Herr Jatho glauben und lehren, was er will.

Nur in religiös aufgeregten Zeiten erleben viele die Religion; in normalen
Zeiten ist unter den Menschen das religiöse Erlebnis so selten wie das Erlebnis der
Liebe oder der Kunst, trotzdem jeder glaubt, er habe es gehabt. Gerade daß die
Kirche sich niederläßt, dieser staatlich gewünschte Ersatz der Religion, ist ja der
Beweis dafür. Alles, was Jatho zu sagen hatte, waren Verneinungen: er glaubt
nicht an die persönliche Unsterblichkeit, an den Opfertod Christi, überhaupt nicht
an den transzendenten Gott, und nach der allbekannten Theologenart schiebt er
den durchaus klaren Worten und Begriffen des Dogmas seine eigenen respektive
die allgemeinliberalen, mehr oder weniger unklaren, stets aber anderen Worte
und Begriffe unter. Das große Publikum merkt ja diese Verwechselungen nicht,
das Konsistorium und er selber werden sich auch nicht klar über die intellektuelle
Unehrlichkeit dieses Betriebes gewesen sein, denn die Unterlegungeu sind eben seit
altersher theologische Sitte. Jemand, der an die Sauberkeit der modernen
wissenschaftlichen Arbeit gewöhnt ist, kann sich nur mit Entrüstung von solchem
Betrieb abwenden. Aber selbst wenn man darüber hinweggehen will: was ist
denn damit getan, daß einer gewisse Dinge nicht glaubt? Nur der Glauben
schafft etwas. Nicht die liberalen Auguren haben ihrer Zeit das Christentum
geschaffen, sondern die verzweifelten und heldenhaften Männer, welche das
Furchtbare, das Entsetzliche glaubten: daß Gott für unsere Sünden als Mensch
den Verbrechertod gestorben ist, daß wir im Abendmahl sein, Gottes, Fleisch
und Blut genießen.

Eine Bewegung beweist noch gar nichts für den Mann, der sie entfacht.
Offenbar gard es im Volk, und die Menschen suchen neue Religion; der Steine,
welche die Kirche ihnen zu bieten hat, sind sie überdrüssig, und sie merken nicht
gleich, daß Leute wie Jatho, oder wie die Monisten und Welträtsellöser, ihnen
noch nicht einmal diese Steine zu bieten haben.

Wenn wir uns klarmachen wollen, woher uns heute eine religiöse Erneuerung
kommen kann, und wenn wir etwa vorhandene Anfänge erkennen wollen, so
werden wir am besten tun, uns nach der Analogie des entstehenden Christen¬
tums zu richten. Die neueren Forscher, welche einen scheinbar nebensächlichen
Umstand untersuchten, nämlich, ob Jesus eine historische Persönlichkeit oder eine
mythische Gestalt sei, haben die Elemente, aus denen sich das Christentum
bildete, soweit das möglich ist, zusammengestellt. Danach scheint etwa seit dem


Römer Glauben

wissen" eingibt. Rechtlich wäre die Kirche jedenfalls im Recht, wenn sie den Mann
nicht nur pensionierte, sondern überhaupt absetzte; was würde denn der Staat etwa
mit einem Amtsrichter machen, der plötzlich nach seinem „Gewissen" richtete und
nicht nach dem Gesetzbuch? Man muß sich sogar wundern, daß Jatho nicht
schon von selber aus seinem Amt ging. Ideell hat die Kirche auch recht: denn
sie erhielt die Tradition, die doch durch jahrhundertelange Arbeit bedeutender
Männer geschaffen ist und immerhin noch mehr wert sein wird wie eine nichtige
Tagesmeinung. Von „Ketzerrichten" kann hier überhaupt keine Rede sein, denn
als Privatmann kann Herr Jatho glauben und lehren, was er will.

Nur in religiös aufgeregten Zeiten erleben viele die Religion; in normalen
Zeiten ist unter den Menschen das religiöse Erlebnis so selten wie das Erlebnis der
Liebe oder der Kunst, trotzdem jeder glaubt, er habe es gehabt. Gerade daß die
Kirche sich niederläßt, dieser staatlich gewünschte Ersatz der Religion, ist ja der
Beweis dafür. Alles, was Jatho zu sagen hatte, waren Verneinungen: er glaubt
nicht an die persönliche Unsterblichkeit, an den Opfertod Christi, überhaupt nicht
an den transzendenten Gott, und nach der allbekannten Theologenart schiebt er
den durchaus klaren Worten und Begriffen des Dogmas seine eigenen respektive
die allgemeinliberalen, mehr oder weniger unklaren, stets aber anderen Worte
und Begriffe unter. Das große Publikum merkt ja diese Verwechselungen nicht,
das Konsistorium und er selber werden sich auch nicht klar über die intellektuelle
Unehrlichkeit dieses Betriebes gewesen sein, denn die Unterlegungeu sind eben seit
altersher theologische Sitte. Jemand, der an die Sauberkeit der modernen
wissenschaftlichen Arbeit gewöhnt ist, kann sich nur mit Entrüstung von solchem
Betrieb abwenden. Aber selbst wenn man darüber hinweggehen will: was ist
denn damit getan, daß einer gewisse Dinge nicht glaubt? Nur der Glauben
schafft etwas. Nicht die liberalen Auguren haben ihrer Zeit das Christentum
geschaffen, sondern die verzweifelten und heldenhaften Männer, welche das
Furchtbare, das Entsetzliche glaubten: daß Gott für unsere Sünden als Mensch
den Verbrechertod gestorben ist, daß wir im Abendmahl sein, Gottes, Fleisch
und Blut genießen.

Eine Bewegung beweist noch gar nichts für den Mann, der sie entfacht.
Offenbar gard es im Volk, und die Menschen suchen neue Religion; der Steine,
welche die Kirche ihnen zu bieten hat, sind sie überdrüssig, und sie merken nicht
gleich, daß Leute wie Jatho, oder wie die Monisten und Welträtsellöser, ihnen
noch nicht einmal diese Steine zu bieten haben.

Wenn wir uns klarmachen wollen, woher uns heute eine religiöse Erneuerung
kommen kann, und wenn wir etwa vorhandene Anfänge erkennen wollen, so
werden wir am besten tun, uns nach der Analogie des entstehenden Christen¬
tums zu richten. Die neueren Forscher, welche einen scheinbar nebensächlichen
Umstand untersuchten, nämlich, ob Jesus eine historische Persönlichkeit oder eine
mythische Gestalt sei, haben die Elemente, aus denen sich das Christentum
bildete, soweit das möglich ist, zusammengestellt. Danach scheint etwa seit dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0605" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322352"/>
          <fw type="header" place="top"> Römer Glauben</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2696" prev="#ID_2695"> wissen" eingibt. Rechtlich wäre die Kirche jedenfalls im Recht, wenn sie den Mann<lb/>
nicht nur pensionierte, sondern überhaupt absetzte; was würde denn der Staat etwa<lb/>
mit einem Amtsrichter machen, der plötzlich nach seinem &#x201E;Gewissen" richtete und<lb/>
nicht nach dem Gesetzbuch? Man muß sich sogar wundern, daß Jatho nicht<lb/>
schon von selber aus seinem Amt ging. Ideell hat die Kirche auch recht: denn<lb/>
sie erhielt die Tradition, die doch durch jahrhundertelange Arbeit bedeutender<lb/>
Männer geschaffen ist und immerhin noch mehr wert sein wird wie eine nichtige<lb/>
Tagesmeinung. Von &#x201E;Ketzerrichten" kann hier überhaupt keine Rede sein, denn<lb/>
als Privatmann kann Herr Jatho glauben und lehren, was er will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2697"> Nur in religiös aufgeregten Zeiten erleben viele die Religion; in normalen<lb/>
Zeiten ist unter den Menschen das religiöse Erlebnis so selten wie das Erlebnis der<lb/>
Liebe oder der Kunst, trotzdem jeder glaubt, er habe es gehabt. Gerade daß die<lb/>
Kirche sich niederläßt, dieser staatlich gewünschte Ersatz der Religion, ist ja der<lb/>
Beweis dafür. Alles, was Jatho zu sagen hatte, waren Verneinungen: er glaubt<lb/>
nicht an die persönliche Unsterblichkeit, an den Opfertod Christi, überhaupt nicht<lb/>
an den transzendenten Gott, und nach der allbekannten Theologenart schiebt er<lb/>
den durchaus klaren Worten und Begriffen des Dogmas seine eigenen respektive<lb/>
die allgemeinliberalen, mehr oder weniger unklaren, stets aber anderen Worte<lb/>
und Begriffe unter. Das große Publikum merkt ja diese Verwechselungen nicht,<lb/>
das Konsistorium und er selber werden sich auch nicht klar über die intellektuelle<lb/>
Unehrlichkeit dieses Betriebes gewesen sein, denn die Unterlegungeu sind eben seit<lb/>
altersher theologische Sitte. Jemand, der an die Sauberkeit der modernen<lb/>
wissenschaftlichen Arbeit gewöhnt ist, kann sich nur mit Entrüstung von solchem<lb/>
Betrieb abwenden. Aber selbst wenn man darüber hinweggehen will: was ist<lb/>
denn damit getan, daß einer gewisse Dinge nicht glaubt? Nur der Glauben<lb/>
schafft etwas. Nicht die liberalen Auguren haben ihrer Zeit das Christentum<lb/>
geschaffen, sondern die verzweifelten und heldenhaften Männer, welche das<lb/>
Furchtbare, das Entsetzliche glaubten: daß Gott für unsere Sünden als Mensch<lb/>
den Verbrechertod gestorben ist, daß wir im Abendmahl sein, Gottes, Fleisch<lb/>
und Blut genießen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2698"> Eine Bewegung beweist noch gar nichts für den Mann, der sie entfacht.<lb/>
Offenbar gard es im Volk, und die Menschen suchen neue Religion; der Steine,<lb/>
welche die Kirche ihnen zu bieten hat, sind sie überdrüssig, und sie merken nicht<lb/>
gleich, daß Leute wie Jatho, oder wie die Monisten und Welträtsellöser, ihnen<lb/>
noch nicht einmal diese Steine zu bieten haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2699" next="#ID_2700"> Wenn wir uns klarmachen wollen, woher uns heute eine religiöse Erneuerung<lb/>
kommen kann, und wenn wir etwa vorhandene Anfänge erkennen wollen, so<lb/>
werden wir am besten tun, uns nach der Analogie des entstehenden Christen¬<lb/>
tums zu richten. Die neueren Forscher, welche einen scheinbar nebensächlichen<lb/>
Umstand untersuchten, nämlich, ob Jesus eine historische Persönlichkeit oder eine<lb/>
mythische Gestalt sei, haben die Elemente, aus denen sich das Christentum<lb/>
bildete, soweit das möglich ist, zusammengestellt.  Danach scheint etwa seit dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0605] Römer Glauben wissen" eingibt. Rechtlich wäre die Kirche jedenfalls im Recht, wenn sie den Mann nicht nur pensionierte, sondern überhaupt absetzte; was würde denn der Staat etwa mit einem Amtsrichter machen, der plötzlich nach seinem „Gewissen" richtete und nicht nach dem Gesetzbuch? Man muß sich sogar wundern, daß Jatho nicht schon von selber aus seinem Amt ging. Ideell hat die Kirche auch recht: denn sie erhielt die Tradition, die doch durch jahrhundertelange Arbeit bedeutender Männer geschaffen ist und immerhin noch mehr wert sein wird wie eine nichtige Tagesmeinung. Von „Ketzerrichten" kann hier überhaupt keine Rede sein, denn als Privatmann kann Herr Jatho glauben und lehren, was er will. Nur in religiös aufgeregten Zeiten erleben viele die Religion; in normalen Zeiten ist unter den Menschen das religiöse Erlebnis so selten wie das Erlebnis der Liebe oder der Kunst, trotzdem jeder glaubt, er habe es gehabt. Gerade daß die Kirche sich niederläßt, dieser staatlich gewünschte Ersatz der Religion, ist ja der Beweis dafür. Alles, was Jatho zu sagen hatte, waren Verneinungen: er glaubt nicht an die persönliche Unsterblichkeit, an den Opfertod Christi, überhaupt nicht an den transzendenten Gott, und nach der allbekannten Theologenart schiebt er den durchaus klaren Worten und Begriffen des Dogmas seine eigenen respektive die allgemeinliberalen, mehr oder weniger unklaren, stets aber anderen Worte und Begriffe unter. Das große Publikum merkt ja diese Verwechselungen nicht, das Konsistorium und er selber werden sich auch nicht klar über die intellektuelle Unehrlichkeit dieses Betriebes gewesen sein, denn die Unterlegungeu sind eben seit altersher theologische Sitte. Jemand, der an die Sauberkeit der modernen wissenschaftlichen Arbeit gewöhnt ist, kann sich nur mit Entrüstung von solchem Betrieb abwenden. Aber selbst wenn man darüber hinweggehen will: was ist denn damit getan, daß einer gewisse Dinge nicht glaubt? Nur der Glauben schafft etwas. Nicht die liberalen Auguren haben ihrer Zeit das Christentum geschaffen, sondern die verzweifelten und heldenhaften Männer, welche das Furchtbare, das Entsetzliche glaubten: daß Gott für unsere Sünden als Mensch den Verbrechertod gestorben ist, daß wir im Abendmahl sein, Gottes, Fleisch und Blut genießen. Eine Bewegung beweist noch gar nichts für den Mann, der sie entfacht. Offenbar gard es im Volk, und die Menschen suchen neue Religion; der Steine, welche die Kirche ihnen zu bieten hat, sind sie überdrüssig, und sie merken nicht gleich, daß Leute wie Jatho, oder wie die Monisten und Welträtsellöser, ihnen noch nicht einmal diese Steine zu bieten haben. Wenn wir uns klarmachen wollen, woher uns heute eine religiöse Erneuerung kommen kann, und wenn wir etwa vorhandene Anfänge erkennen wollen, so werden wir am besten tun, uns nach der Analogie des entstehenden Christen¬ tums zu richten. Die neueren Forscher, welche einen scheinbar nebensächlichen Umstand untersuchten, nämlich, ob Jesus eine historische Persönlichkeit oder eine mythische Gestalt sei, haben die Elemente, aus denen sich das Christentum bildete, soweit das möglich ist, zusammengestellt. Danach scheint etwa seit dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/605
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/605>, abgerufen am 22.07.2024.