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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Gcburtenverhütung und Volksvermehrung

erforderlichen Geburtenüberschuß gewährleistet und doch die Rationalisierung des
Fortpflanzungsgeschäftes, die Anwendung der Eugenik und die Befreiung des
gesamten Sexuallebens von qualvollen Fesseln ermöglicht. Lenert müssen bei
der Aufstellung dieser Regel volkswirtschaftliche und medizinisch-hygienische
Gesichtspunkte sein. Schon der jetzige Stand der Wissenschaft ermöglicht es uns,
ein solches Normativ aufzustellen, dessen Inhalt sich etwa durch folgende Sätze
andeuten läßt:

1. Jedes Ehepaar hat die Pflicht, eine Mindestzahl von drei Kindern über
das fünfte Lebensjahr hinaus hochzubringen.

2. Diese Mindestzahl ist auch dann anzustreben, wenn die Beschaffenheit
der Eltern eine Minderwertigkeit der Nachkommen erwarten lassen dürfte; doch
ist in diesem Falle die Mindestzahl auf keinen Fall zu überschreiten.

3. Jedes Elternpaar, das sich durch besondere Rüstigkeit auszeichnet, hat
das Recht, die Mindestzahl um das Doppelte zu überschreiten und für jedes
überschreitende Kind eine materielle Gegenleistung in Empfang zu nehmen, die
von allen Ledigen oder Ehepaaren, die aus irgendwelchen Gründen hinter der
Mindestzahl zurückbleiben, beizusteuern ist.

Der wichtigste Satz ist der unter 1) angeführte. Wenn jedes Elternpaar
wirklich drei Kinder hervorbringt, nicht mitgerechnet die Säuglinge und Klein¬
kinder, die vor zurückgelegtem fünften Lebensjahr sterben, und außerdem eine
Anzahl der rüstigen Ehepaare, veranlaßt durch Bevorzugung und Zuwendungen
wirtschaftlicher Natur, über die Mindestzahl hinausgehen, so bleibt dem Volke
ein sehr erheblicher Bevölkerungszuwachs gesichert, der dem im Laufe des neun¬
zehnten Jahrhunderts in Deutschland durchschnittlichen entspricht.

Der unter 2) angeführte Satz ist wichtig, um den zahlreichen Elternpaaren,
die nicht zu den ganz rüstigen gehören, den Vorwand zu nehmen, sich der
Kinderaufzucht zu entziehen. Wir kennen gegenwärtig noch zu wenig die Ver¬
erbungsregeln, um bestimmt entscheiden zu können, welche Ehepaare wir über¬
haupt vom Fortpflanzungsgeschäft gänzlich fernhalten dürfen, da häufig die
Sonderbarkeiten oder Minderwertigkeiten des einen Partners durch die entgegen¬
gesetzten des anderen Partners ausgeglichen werden, oder Eigenschaften der Vor¬
fahren so durchschlagen, daß auch aus schwächlichen Eltern rüstige oder gar
hervorragend leistungsfähige Nachkommen entstehen. Der eugenische Gesichts¬
punkt kommt auch genügend zur Geltung, wenn man fordert, daß Ehepaare,
gegen deren Qualität Bedenken vorliegen, sich auf die angegebene Mindestzahl
beschränken sollen.

Auf die eigentliche Verbesserung der Bevölkerungsqualität zielt die unter 3)
gegebene Bestimmung ab, die die rüstigen Ehepaare zur Mehrproduktion über
die Mindestzahl hinaus anregt und ihnen dafür die Anerkennung des Gesamt¬
volkes für diese besondere Leistung in Gestalt einer erheblichen realen Vergütung
gesetzlich zusichert, damit sie die gesteigerten Familienlasten auch tragen können.
Die Mittel hierfür würde man ohne weiteres allen Personen auferlegen können,


Grenzboten III 1912 70
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erforderlichen Geburtenüberschuß gewährleistet und doch die Rationalisierung des
Fortpflanzungsgeschäftes, die Anwendung der Eugenik und die Befreiung des
gesamten Sexuallebens von qualvollen Fesseln ermöglicht. Lenert müssen bei
der Aufstellung dieser Regel volkswirtschaftliche und medizinisch-hygienische
Gesichtspunkte sein. Schon der jetzige Stand der Wissenschaft ermöglicht es uns,
ein solches Normativ aufzustellen, dessen Inhalt sich etwa durch folgende Sätze
andeuten läßt:

1. Jedes Ehepaar hat die Pflicht, eine Mindestzahl von drei Kindern über
das fünfte Lebensjahr hinaus hochzubringen.

2. Diese Mindestzahl ist auch dann anzustreben, wenn die Beschaffenheit
der Eltern eine Minderwertigkeit der Nachkommen erwarten lassen dürfte; doch
ist in diesem Falle die Mindestzahl auf keinen Fall zu überschreiten.

3. Jedes Elternpaar, das sich durch besondere Rüstigkeit auszeichnet, hat
das Recht, die Mindestzahl um das Doppelte zu überschreiten und für jedes
überschreitende Kind eine materielle Gegenleistung in Empfang zu nehmen, die
von allen Ledigen oder Ehepaaren, die aus irgendwelchen Gründen hinter der
Mindestzahl zurückbleiben, beizusteuern ist.

Der wichtigste Satz ist der unter 1) angeführte. Wenn jedes Elternpaar
wirklich drei Kinder hervorbringt, nicht mitgerechnet die Säuglinge und Klein¬
kinder, die vor zurückgelegtem fünften Lebensjahr sterben, und außerdem eine
Anzahl der rüstigen Ehepaare, veranlaßt durch Bevorzugung und Zuwendungen
wirtschaftlicher Natur, über die Mindestzahl hinausgehen, so bleibt dem Volke
ein sehr erheblicher Bevölkerungszuwachs gesichert, der dem im Laufe des neun¬
zehnten Jahrhunderts in Deutschland durchschnittlichen entspricht.

Der unter 2) angeführte Satz ist wichtig, um den zahlreichen Elternpaaren,
die nicht zu den ganz rüstigen gehören, den Vorwand zu nehmen, sich der
Kinderaufzucht zu entziehen. Wir kennen gegenwärtig noch zu wenig die Ver¬
erbungsregeln, um bestimmt entscheiden zu können, welche Ehepaare wir über¬
haupt vom Fortpflanzungsgeschäft gänzlich fernhalten dürfen, da häufig die
Sonderbarkeiten oder Minderwertigkeiten des einen Partners durch die entgegen¬
gesetzten des anderen Partners ausgeglichen werden, oder Eigenschaften der Vor¬
fahren so durchschlagen, daß auch aus schwächlichen Eltern rüstige oder gar
hervorragend leistungsfähige Nachkommen entstehen. Der eugenische Gesichts¬
punkt kommt auch genügend zur Geltung, wenn man fordert, daß Ehepaare,
gegen deren Qualität Bedenken vorliegen, sich auf die angegebene Mindestzahl
beschränken sollen.

Auf die eigentliche Verbesserung der Bevölkerungsqualität zielt die unter 3)
gegebene Bestimmung ab, die die rüstigen Ehepaare zur Mehrproduktion über
die Mindestzahl hinaus anregt und ihnen dafür die Anerkennung des Gesamt¬
volkes für diese besondere Leistung in Gestalt einer erheblichen realen Vergütung
gesetzlich zusichert, damit sie die gesteigerten Familienlasten auch tragen können.
Die Mittel hierfür würde man ohne weiteres allen Personen auferlegen können,


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[0561] Gcburtenverhütung und Volksvermehrung erforderlichen Geburtenüberschuß gewährleistet und doch die Rationalisierung des Fortpflanzungsgeschäftes, die Anwendung der Eugenik und die Befreiung des gesamten Sexuallebens von qualvollen Fesseln ermöglicht. Lenert müssen bei der Aufstellung dieser Regel volkswirtschaftliche und medizinisch-hygienische Gesichtspunkte sein. Schon der jetzige Stand der Wissenschaft ermöglicht es uns, ein solches Normativ aufzustellen, dessen Inhalt sich etwa durch folgende Sätze andeuten läßt: 1. Jedes Ehepaar hat die Pflicht, eine Mindestzahl von drei Kindern über das fünfte Lebensjahr hinaus hochzubringen. 2. Diese Mindestzahl ist auch dann anzustreben, wenn die Beschaffenheit der Eltern eine Minderwertigkeit der Nachkommen erwarten lassen dürfte; doch ist in diesem Falle die Mindestzahl auf keinen Fall zu überschreiten. 3. Jedes Elternpaar, das sich durch besondere Rüstigkeit auszeichnet, hat das Recht, die Mindestzahl um das Doppelte zu überschreiten und für jedes überschreitende Kind eine materielle Gegenleistung in Empfang zu nehmen, die von allen Ledigen oder Ehepaaren, die aus irgendwelchen Gründen hinter der Mindestzahl zurückbleiben, beizusteuern ist. Der wichtigste Satz ist der unter 1) angeführte. Wenn jedes Elternpaar wirklich drei Kinder hervorbringt, nicht mitgerechnet die Säuglinge und Klein¬ kinder, die vor zurückgelegtem fünften Lebensjahr sterben, und außerdem eine Anzahl der rüstigen Ehepaare, veranlaßt durch Bevorzugung und Zuwendungen wirtschaftlicher Natur, über die Mindestzahl hinausgehen, so bleibt dem Volke ein sehr erheblicher Bevölkerungszuwachs gesichert, der dem im Laufe des neun¬ zehnten Jahrhunderts in Deutschland durchschnittlichen entspricht. Der unter 2) angeführte Satz ist wichtig, um den zahlreichen Elternpaaren, die nicht zu den ganz rüstigen gehören, den Vorwand zu nehmen, sich der Kinderaufzucht zu entziehen. Wir kennen gegenwärtig noch zu wenig die Ver¬ erbungsregeln, um bestimmt entscheiden zu können, welche Ehepaare wir über¬ haupt vom Fortpflanzungsgeschäft gänzlich fernhalten dürfen, da häufig die Sonderbarkeiten oder Minderwertigkeiten des einen Partners durch die entgegen¬ gesetzten des anderen Partners ausgeglichen werden, oder Eigenschaften der Vor¬ fahren so durchschlagen, daß auch aus schwächlichen Eltern rüstige oder gar hervorragend leistungsfähige Nachkommen entstehen. Der eugenische Gesichts¬ punkt kommt auch genügend zur Geltung, wenn man fordert, daß Ehepaare, gegen deren Qualität Bedenken vorliegen, sich auf die angegebene Mindestzahl beschränken sollen. Auf die eigentliche Verbesserung der Bevölkerungsqualität zielt die unter 3) gegebene Bestimmung ab, die die rüstigen Ehepaare zur Mehrproduktion über die Mindestzahl hinaus anregt und ihnen dafür die Anerkennung des Gesamt¬ volkes für diese besondere Leistung in Gestalt einer erheblichen realen Vergütung gesetzlich zusichert, damit sie die gesteigerten Familienlasten auch tragen können. Die Mittel hierfür würde man ohne weiteres allen Personen auferlegen können, Grenzboten III 1912 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/561>, abgerufen am 22.07.2024.