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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Geburtcuvcrhütung und volksvcrmehrung

die entweder überhaupt nicht verheiratet sind oder kinderlos oder nicht die
Mindestzahl von Kindern haben, nach welchen Gesichtspunkten die Steuer ab¬
gestuft werden kann. Dabei kann ganz gleichgültig bleiben, ob diese Personen
aus Absicht oder aus Unvermögen, aus Frivolität oder aus wohlerwogenen
Gründen die normale Beteiligung an der Fortpflanzung unterlassen; denn ihre
Steuer ist nicht als Strafe gedacht, sondern lediglich als Ausgleich für die
generative Leistung, die andere mehr und sie weniger, als der Norm entspricht,
erfüllen.

Es hat keinen Zweck, an dieser Stelle das hier kurz skizzierte "Dreikinder-
minimalsystem" in den Einzelheiten auszumalen. Es sei nur bemerkt, daß in
seinem Rahmen schon die gegenwärtige bescheidene Kenntnis der generativen
Hygiene zur praktischen Anwendung gebracht werden könnte und zugleich Raum
für diesbezügliche Erkenntnisse der Zukunft und die dadurch bedingten Modi¬
fikationen lassen würde. Voraussetzung der Anwendung dieses Systems ist
natürlich die allgemeine Kenntnis und Beherrschung der Präventivmaßnahmen,
die ja ohnehin von Tag zu Tag unaufhaltsame Fortschritte macht. Es ist nur
erforderlich, von den unzähligen Mitteln jene durch ärztliche Empfehlung heraus¬
zuheben, die ungefährlich und daher zuverlässig sind . . .

Die Befolgung dieser oder ähnlicher Regeln kann zunächst nur durch Appell
an Vernunft und Gewissen angestrebt werden. Wichtiger aber als der Appell
an das moralische Bewußtsein des einzelnen Individuums dürfte die Einführung
sozialer Maßnahmen sein, durch die direkt oder indirekt ein stärkerer Nachwuchs
den Familien erträglicher und wünschenswerter gemacht werden kann, als das
gegenwärtig der Fall ist. Von direkten Maßnahmen liegt in den Ländern des
deutschen Sprachgebietes, wie oben bereits in der dritten These angedeutet wurde,
recht nahe die Heranziehung der obligatorischen sozialen Versicherung etwa in
der Gestalt einer Familien- oder Mutterschaftsversicherung. Eine solche Ver¬
sicherung ließe sich ohne unüberwindliche Schwierigkeiten in der Richtung aus¬
bauen, daß rüstigen Elternpaaren ein zahlreicher Nachwuchs zum Vorteil gereicht
und anderseits der unerwünschte Nachwuchs minderwertiger Eltern eingeschränkt
würde und auf diese Weise die schwer drückenden Familienlasten, die gegen¬
wärtig und in Zukunft voraussichtlich noch mehr zur Geburtenprävention an
unzweckmäßiger Stelle verleiten, von der Einzelfamilie auf die Gesamtheit der
Bevölkerung abgewälzt würden.

Wenn durch die Anwendung der obigen Regeln die Quantität der Be¬
völkerung durchaus sichergestellt und die Qualität begünstigt ist, kann die
rationelle Anwendung der Präventivmittel ungestört erfolgen und ihre in vieler
Hinsicht unermeßlichen Segen stiftende Wirksamkeit entfalten. Dann kann
endlich eine vernünftige Pause zwischen zwei Geburten zur Volkssitte werden'
Dann hört die unsinnige Vielgebärerei in den Schichten auf. die am wenigsten
Mittel, Raum und Zeit für die Aufzucht haben. Dann kann der Arzt aus
Gründen der Eugenik das Verbot weiterer Schwangerschaften ebenso skrupellos


Geburtcuvcrhütung und volksvcrmehrung

die entweder überhaupt nicht verheiratet sind oder kinderlos oder nicht die
Mindestzahl von Kindern haben, nach welchen Gesichtspunkten die Steuer ab¬
gestuft werden kann. Dabei kann ganz gleichgültig bleiben, ob diese Personen
aus Absicht oder aus Unvermögen, aus Frivolität oder aus wohlerwogenen
Gründen die normale Beteiligung an der Fortpflanzung unterlassen; denn ihre
Steuer ist nicht als Strafe gedacht, sondern lediglich als Ausgleich für die
generative Leistung, die andere mehr und sie weniger, als der Norm entspricht,
erfüllen.

Es hat keinen Zweck, an dieser Stelle das hier kurz skizzierte „Dreikinder-
minimalsystem" in den Einzelheiten auszumalen. Es sei nur bemerkt, daß in
seinem Rahmen schon die gegenwärtige bescheidene Kenntnis der generativen
Hygiene zur praktischen Anwendung gebracht werden könnte und zugleich Raum
für diesbezügliche Erkenntnisse der Zukunft und die dadurch bedingten Modi¬
fikationen lassen würde. Voraussetzung der Anwendung dieses Systems ist
natürlich die allgemeine Kenntnis und Beherrschung der Präventivmaßnahmen,
die ja ohnehin von Tag zu Tag unaufhaltsame Fortschritte macht. Es ist nur
erforderlich, von den unzähligen Mitteln jene durch ärztliche Empfehlung heraus¬
zuheben, die ungefährlich und daher zuverlässig sind . . .

Die Befolgung dieser oder ähnlicher Regeln kann zunächst nur durch Appell
an Vernunft und Gewissen angestrebt werden. Wichtiger aber als der Appell
an das moralische Bewußtsein des einzelnen Individuums dürfte die Einführung
sozialer Maßnahmen sein, durch die direkt oder indirekt ein stärkerer Nachwuchs
den Familien erträglicher und wünschenswerter gemacht werden kann, als das
gegenwärtig der Fall ist. Von direkten Maßnahmen liegt in den Ländern des
deutschen Sprachgebietes, wie oben bereits in der dritten These angedeutet wurde,
recht nahe die Heranziehung der obligatorischen sozialen Versicherung etwa in
der Gestalt einer Familien- oder Mutterschaftsversicherung. Eine solche Ver¬
sicherung ließe sich ohne unüberwindliche Schwierigkeiten in der Richtung aus¬
bauen, daß rüstigen Elternpaaren ein zahlreicher Nachwuchs zum Vorteil gereicht
und anderseits der unerwünschte Nachwuchs minderwertiger Eltern eingeschränkt
würde und auf diese Weise die schwer drückenden Familienlasten, die gegen¬
wärtig und in Zukunft voraussichtlich noch mehr zur Geburtenprävention an
unzweckmäßiger Stelle verleiten, von der Einzelfamilie auf die Gesamtheit der
Bevölkerung abgewälzt würden.

Wenn durch die Anwendung der obigen Regeln die Quantität der Be¬
völkerung durchaus sichergestellt und die Qualität begünstigt ist, kann die
rationelle Anwendung der Präventivmittel ungestört erfolgen und ihre in vieler
Hinsicht unermeßlichen Segen stiftende Wirksamkeit entfalten. Dann kann
endlich eine vernünftige Pause zwischen zwei Geburten zur Volkssitte werden'
Dann hört die unsinnige Vielgebärerei in den Schichten auf. die am wenigsten
Mittel, Raum und Zeit für die Aufzucht haben. Dann kann der Arzt aus
Gründen der Eugenik das Verbot weiterer Schwangerschaften ebenso skrupellos


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[0562] Geburtcuvcrhütung und volksvcrmehrung die entweder überhaupt nicht verheiratet sind oder kinderlos oder nicht die Mindestzahl von Kindern haben, nach welchen Gesichtspunkten die Steuer ab¬ gestuft werden kann. Dabei kann ganz gleichgültig bleiben, ob diese Personen aus Absicht oder aus Unvermögen, aus Frivolität oder aus wohlerwogenen Gründen die normale Beteiligung an der Fortpflanzung unterlassen; denn ihre Steuer ist nicht als Strafe gedacht, sondern lediglich als Ausgleich für die generative Leistung, die andere mehr und sie weniger, als der Norm entspricht, erfüllen. Es hat keinen Zweck, an dieser Stelle das hier kurz skizzierte „Dreikinder- minimalsystem" in den Einzelheiten auszumalen. Es sei nur bemerkt, daß in seinem Rahmen schon die gegenwärtige bescheidene Kenntnis der generativen Hygiene zur praktischen Anwendung gebracht werden könnte und zugleich Raum für diesbezügliche Erkenntnisse der Zukunft und die dadurch bedingten Modi¬ fikationen lassen würde. Voraussetzung der Anwendung dieses Systems ist natürlich die allgemeine Kenntnis und Beherrschung der Präventivmaßnahmen, die ja ohnehin von Tag zu Tag unaufhaltsame Fortschritte macht. Es ist nur erforderlich, von den unzähligen Mitteln jene durch ärztliche Empfehlung heraus¬ zuheben, die ungefährlich und daher zuverlässig sind . . . Die Befolgung dieser oder ähnlicher Regeln kann zunächst nur durch Appell an Vernunft und Gewissen angestrebt werden. Wichtiger aber als der Appell an das moralische Bewußtsein des einzelnen Individuums dürfte die Einführung sozialer Maßnahmen sein, durch die direkt oder indirekt ein stärkerer Nachwuchs den Familien erträglicher und wünschenswerter gemacht werden kann, als das gegenwärtig der Fall ist. Von direkten Maßnahmen liegt in den Ländern des deutschen Sprachgebietes, wie oben bereits in der dritten These angedeutet wurde, recht nahe die Heranziehung der obligatorischen sozialen Versicherung etwa in der Gestalt einer Familien- oder Mutterschaftsversicherung. Eine solche Ver¬ sicherung ließe sich ohne unüberwindliche Schwierigkeiten in der Richtung aus¬ bauen, daß rüstigen Elternpaaren ein zahlreicher Nachwuchs zum Vorteil gereicht und anderseits der unerwünschte Nachwuchs minderwertiger Eltern eingeschränkt würde und auf diese Weise die schwer drückenden Familienlasten, die gegen¬ wärtig und in Zukunft voraussichtlich noch mehr zur Geburtenprävention an unzweckmäßiger Stelle verleiten, von der Einzelfamilie auf die Gesamtheit der Bevölkerung abgewälzt würden. Wenn durch die Anwendung der obigen Regeln die Quantität der Be¬ völkerung durchaus sichergestellt und die Qualität begünstigt ist, kann die rationelle Anwendung der Präventivmittel ungestört erfolgen und ihre in vieler Hinsicht unermeßlichen Segen stiftende Wirksamkeit entfalten. Dann kann endlich eine vernünftige Pause zwischen zwei Geburten zur Volkssitte werden' Dann hört die unsinnige Vielgebärerei in den Schichten auf. die am wenigsten Mittel, Raum und Zeit für die Aufzucht haben. Dann kann der Arzt aus Gründen der Eugenik das Verbot weiterer Schwangerschaften ebenso skrupellos

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/562>, abgerufen am 22.07.2024.