Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gcbnrtenvcrhntnng und Volksvcrmohrnng

in Zukunft hoffentlich einmal alle oben gekennzeichneten Individuen aufsaugen
wird, den nämlichen Effekt bezüglich des Ausfalles der körperlich und geistig
Minderwertigen aus der Fortpflanzung herbeiführen wird, wie ihn schon heute
die Existenz einer Welt von Verwahrlosten mit sich bringt. Eine Verall¬
gemeinerung des Asylwesens könnte der Reinigung der menschlichen Gesellschaft
von zur Fortpflanzung ungeeigneten Elementen in humanerer und trotzdem ziel¬
bewußterer Weise dienen als die jetzige unvollkommene Selbstregulierung, wie
sie die Ausscheidung zahlreicher Minderwertigen durch Verwahrlosung und Ver¬
elendung darstellt. Man könnte sich ein Volk vorstellen, in dem geistig Minder¬
wertige, Epileptiker und andere hereditär Belastete so zahlreich und so früh
asnlisiert würden, daß sie aus dem Fortpflanzungsprozeß ein für allemal eliminiert
werden.

Außer der Asnlisierung der Minderwertigen könnte man hier auch noch
das freiwillige Zölibat anführen, in dem schon gegenwärtig ein ansehnlicher
Bruchteil der Bevölkerung lebt: es wäre denkbar, daß das freiwillige Zölibat
einmal nicht mehr aus wirtschaftlichen oder religiösen, sondern aus Gründen
einer generativen Hygiene übernommen würde.

Man könnte diese Beispiele, den Artprozeß mittelbar zu beeinflussen, ver¬
mehren, aber es hieße doch dem springenden Punkte ausweichen, wenn man
verschwiege, daß die unmittelbaren Formen des Geschlechtsverkehres alles in
allem doch die wichtigsten Angriffspunkte für eine rationelle Eugenik abgeben
werden.

Nun sind aber die Methoden der Geburtenprävention zugleich auch das
Mittel, durch die die Bevölkerungsvermehrung gehemmt und die Quantität der
Bevölkerung ganz unabhängig von ihrer Qualität beeinflußt werden kann.
Dadurch erwächst die Gefahr, daß die Prävention in einer Ausdehnung an¬
gewandt wird, die den Bevölkerungsaustrieb, der zur kulturellen Behauptung
durchaus erforderlich ist, beeinträchtigt und schließlich Bevölkerungsstillstand oder
gar Bevölkerungsrückgang verursacht. Ganz abgesehen von den wirtschaftlichen
und politischen Gefahren, die mit einer Verminderung der Bevölkerungsquantität
verknüpft sind, kann diese auf die Dauer nicht ohne Rückwirkung auf die Qua¬
lität bleiben, wirkt also an sich wieder entartend, denn einmal wird, wenn die
auf eine Familie fallende Zahl von Kindern nur gering ist, die Rate der erst¬
geborenen Individuen, die erfahrungsgemäß immer etwas geringwertiger aus¬
fallen als die späteren Früchte, viel größer werden als bei einem Volke mit
kinderreichen Familien, sodann wird aber auch die Anspannung der schwäch¬
lichen Volksglieder zur Behauptung der Kulturstellung eine viel größere sein als
bei den Nationen mit wachsender Bevölkerungszahl. Es ist also auch vom
Standpunkte der Erhaltung der Qualität unbedingt erforderlich, daß die Be¬
völkerung einen gewissen Auftrieb, d, h. einen namhaften Überschuß der Geburten
über die Todesfälle aufweist und deshalb bedeutet es allerdings eine Gefahr,
wenn die Methoden der Geburtenprävention, deren Anwendung für eine rationelle


Gcbnrtenvcrhntnng und Volksvcrmohrnng

in Zukunft hoffentlich einmal alle oben gekennzeichneten Individuen aufsaugen
wird, den nämlichen Effekt bezüglich des Ausfalles der körperlich und geistig
Minderwertigen aus der Fortpflanzung herbeiführen wird, wie ihn schon heute
die Existenz einer Welt von Verwahrlosten mit sich bringt. Eine Verall¬
gemeinerung des Asylwesens könnte der Reinigung der menschlichen Gesellschaft
von zur Fortpflanzung ungeeigneten Elementen in humanerer und trotzdem ziel¬
bewußterer Weise dienen als die jetzige unvollkommene Selbstregulierung, wie
sie die Ausscheidung zahlreicher Minderwertigen durch Verwahrlosung und Ver¬
elendung darstellt. Man könnte sich ein Volk vorstellen, in dem geistig Minder¬
wertige, Epileptiker und andere hereditär Belastete so zahlreich und so früh
asnlisiert würden, daß sie aus dem Fortpflanzungsprozeß ein für allemal eliminiert
werden.

Außer der Asnlisierung der Minderwertigen könnte man hier auch noch
das freiwillige Zölibat anführen, in dem schon gegenwärtig ein ansehnlicher
Bruchteil der Bevölkerung lebt: es wäre denkbar, daß das freiwillige Zölibat
einmal nicht mehr aus wirtschaftlichen oder religiösen, sondern aus Gründen
einer generativen Hygiene übernommen würde.

Man könnte diese Beispiele, den Artprozeß mittelbar zu beeinflussen, ver¬
mehren, aber es hieße doch dem springenden Punkte ausweichen, wenn man
verschwiege, daß die unmittelbaren Formen des Geschlechtsverkehres alles in
allem doch die wichtigsten Angriffspunkte für eine rationelle Eugenik abgeben
werden.

Nun sind aber die Methoden der Geburtenprävention zugleich auch das
Mittel, durch die die Bevölkerungsvermehrung gehemmt und die Quantität der
Bevölkerung ganz unabhängig von ihrer Qualität beeinflußt werden kann.
Dadurch erwächst die Gefahr, daß die Prävention in einer Ausdehnung an¬
gewandt wird, die den Bevölkerungsaustrieb, der zur kulturellen Behauptung
durchaus erforderlich ist, beeinträchtigt und schließlich Bevölkerungsstillstand oder
gar Bevölkerungsrückgang verursacht. Ganz abgesehen von den wirtschaftlichen
und politischen Gefahren, die mit einer Verminderung der Bevölkerungsquantität
verknüpft sind, kann diese auf die Dauer nicht ohne Rückwirkung auf die Qua¬
lität bleiben, wirkt also an sich wieder entartend, denn einmal wird, wenn die
auf eine Familie fallende Zahl von Kindern nur gering ist, die Rate der erst¬
geborenen Individuen, die erfahrungsgemäß immer etwas geringwertiger aus¬
fallen als die späteren Früchte, viel größer werden als bei einem Volke mit
kinderreichen Familien, sodann wird aber auch die Anspannung der schwäch¬
lichen Volksglieder zur Behauptung der Kulturstellung eine viel größere sein als
bei den Nationen mit wachsender Bevölkerungszahl. Es ist also auch vom
Standpunkte der Erhaltung der Qualität unbedingt erforderlich, daß die Be¬
völkerung einen gewissen Auftrieb, d, h. einen namhaften Überschuß der Geburten
über die Todesfälle aufweist und deshalb bedeutet es allerdings eine Gefahr,
wenn die Methoden der Geburtenprävention, deren Anwendung für eine rationelle


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0557" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322304"/>
          <fw type="header" place="top"> Gcbnrtenvcrhntnng und Volksvcrmohrnng</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2463" prev="#ID_2462"> in Zukunft hoffentlich einmal alle oben gekennzeichneten Individuen aufsaugen<lb/>
wird, den nämlichen Effekt bezüglich des Ausfalles der körperlich und geistig<lb/>
Minderwertigen aus der Fortpflanzung herbeiführen wird, wie ihn schon heute<lb/>
die Existenz einer Welt von Verwahrlosten mit sich bringt. Eine Verall¬<lb/>
gemeinerung des Asylwesens könnte der Reinigung der menschlichen Gesellschaft<lb/>
von zur Fortpflanzung ungeeigneten Elementen in humanerer und trotzdem ziel¬<lb/>
bewußterer Weise dienen als die jetzige unvollkommene Selbstregulierung, wie<lb/>
sie die Ausscheidung zahlreicher Minderwertigen durch Verwahrlosung und Ver¬<lb/>
elendung darstellt. Man könnte sich ein Volk vorstellen, in dem geistig Minder¬<lb/>
wertige, Epileptiker und andere hereditär Belastete so zahlreich und so früh<lb/>
asnlisiert würden, daß sie aus dem Fortpflanzungsprozeß ein für allemal eliminiert<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2464"> Außer der Asnlisierung der Minderwertigen könnte man hier auch noch<lb/>
das freiwillige Zölibat anführen, in dem schon gegenwärtig ein ansehnlicher<lb/>
Bruchteil der Bevölkerung lebt: es wäre denkbar, daß das freiwillige Zölibat<lb/>
einmal nicht mehr aus wirtschaftlichen oder religiösen, sondern aus Gründen<lb/>
einer generativen Hygiene übernommen würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2465"> Man könnte diese Beispiele, den Artprozeß mittelbar zu beeinflussen, ver¬<lb/>
mehren, aber es hieße doch dem springenden Punkte ausweichen, wenn man<lb/>
verschwiege, daß die unmittelbaren Formen des Geschlechtsverkehres alles in<lb/>
allem doch die wichtigsten Angriffspunkte für eine rationelle Eugenik abgeben<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2466" next="#ID_2467"> Nun sind aber die Methoden der Geburtenprävention zugleich auch das<lb/>
Mittel, durch die die Bevölkerungsvermehrung gehemmt und die Quantität der<lb/>
Bevölkerung ganz unabhängig von ihrer Qualität beeinflußt werden kann.<lb/>
Dadurch erwächst die Gefahr, daß die Prävention in einer Ausdehnung an¬<lb/>
gewandt wird, die den Bevölkerungsaustrieb, der zur kulturellen Behauptung<lb/>
durchaus erforderlich ist, beeinträchtigt und schließlich Bevölkerungsstillstand oder<lb/>
gar Bevölkerungsrückgang verursacht. Ganz abgesehen von den wirtschaftlichen<lb/>
und politischen Gefahren, die mit einer Verminderung der Bevölkerungsquantität<lb/>
verknüpft sind, kann diese auf die Dauer nicht ohne Rückwirkung auf die Qua¬<lb/>
lität bleiben, wirkt also an sich wieder entartend, denn einmal wird, wenn die<lb/>
auf eine Familie fallende Zahl von Kindern nur gering ist, die Rate der erst¬<lb/>
geborenen Individuen, die erfahrungsgemäß immer etwas geringwertiger aus¬<lb/>
fallen als die späteren Früchte, viel größer werden als bei einem Volke mit<lb/>
kinderreichen Familien, sodann wird aber auch die Anspannung der schwäch¬<lb/>
lichen Volksglieder zur Behauptung der Kulturstellung eine viel größere sein als<lb/>
bei den Nationen mit wachsender Bevölkerungszahl. Es ist also auch vom<lb/>
Standpunkte der Erhaltung der Qualität unbedingt erforderlich, daß die Be¬<lb/>
völkerung einen gewissen Auftrieb, d, h. einen namhaften Überschuß der Geburten<lb/>
über die Todesfälle aufweist und deshalb bedeutet es allerdings eine Gefahr,<lb/>
wenn die Methoden der Geburtenprävention, deren Anwendung für eine rationelle</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0557] Gcbnrtenvcrhntnng und Volksvcrmohrnng in Zukunft hoffentlich einmal alle oben gekennzeichneten Individuen aufsaugen wird, den nämlichen Effekt bezüglich des Ausfalles der körperlich und geistig Minderwertigen aus der Fortpflanzung herbeiführen wird, wie ihn schon heute die Existenz einer Welt von Verwahrlosten mit sich bringt. Eine Verall¬ gemeinerung des Asylwesens könnte der Reinigung der menschlichen Gesellschaft von zur Fortpflanzung ungeeigneten Elementen in humanerer und trotzdem ziel¬ bewußterer Weise dienen als die jetzige unvollkommene Selbstregulierung, wie sie die Ausscheidung zahlreicher Minderwertigen durch Verwahrlosung und Ver¬ elendung darstellt. Man könnte sich ein Volk vorstellen, in dem geistig Minder¬ wertige, Epileptiker und andere hereditär Belastete so zahlreich und so früh asnlisiert würden, daß sie aus dem Fortpflanzungsprozeß ein für allemal eliminiert werden. Außer der Asnlisierung der Minderwertigen könnte man hier auch noch das freiwillige Zölibat anführen, in dem schon gegenwärtig ein ansehnlicher Bruchteil der Bevölkerung lebt: es wäre denkbar, daß das freiwillige Zölibat einmal nicht mehr aus wirtschaftlichen oder religiösen, sondern aus Gründen einer generativen Hygiene übernommen würde. Man könnte diese Beispiele, den Artprozeß mittelbar zu beeinflussen, ver¬ mehren, aber es hieße doch dem springenden Punkte ausweichen, wenn man verschwiege, daß die unmittelbaren Formen des Geschlechtsverkehres alles in allem doch die wichtigsten Angriffspunkte für eine rationelle Eugenik abgeben werden. Nun sind aber die Methoden der Geburtenprävention zugleich auch das Mittel, durch die die Bevölkerungsvermehrung gehemmt und die Quantität der Bevölkerung ganz unabhängig von ihrer Qualität beeinflußt werden kann. Dadurch erwächst die Gefahr, daß die Prävention in einer Ausdehnung an¬ gewandt wird, die den Bevölkerungsaustrieb, der zur kulturellen Behauptung durchaus erforderlich ist, beeinträchtigt und schließlich Bevölkerungsstillstand oder gar Bevölkerungsrückgang verursacht. Ganz abgesehen von den wirtschaftlichen und politischen Gefahren, die mit einer Verminderung der Bevölkerungsquantität verknüpft sind, kann diese auf die Dauer nicht ohne Rückwirkung auf die Qua¬ lität bleiben, wirkt also an sich wieder entartend, denn einmal wird, wenn die auf eine Familie fallende Zahl von Kindern nur gering ist, die Rate der erst¬ geborenen Individuen, die erfahrungsgemäß immer etwas geringwertiger aus¬ fallen als die späteren Früchte, viel größer werden als bei einem Volke mit kinderreichen Familien, sodann wird aber auch die Anspannung der schwäch¬ lichen Volksglieder zur Behauptung der Kulturstellung eine viel größere sein als bei den Nationen mit wachsender Bevölkerungszahl. Es ist also auch vom Standpunkte der Erhaltung der Qualität unbedingt erforderlich, daß die Be¬ völkerung einen gewissen Auftrieb, d, h. einen namhaften Überschuß der Geburten über die Todesfälle aufweist und deshalb bedeutet es allerdings eine Gefahr, wenn die Methoden der Geburtenprävention, deren Anwendung für eine rationelle

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/557
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/557>, abgerufen am 22.07.2024.