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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Geburtenverhütung und Volksvermehrung

etwas weniger Nachkommen haben, zumal auch dieses Resultat noch fraglich
wäre, da sie ja auch gegenwärtig, wo der Schutz der Schwachen noch wenig
ausgebildet ist, schon massenhaft minderwertige Nachkommen in die Welt setzen.
Daher muß diese zweite Wurzel der Entartungserscheinungen von einem ganz
anderen Punkte angefaßt werden: von dem der direkten Beeinflussung des Fort¬
pflanzungsgeschäftes, das wir nicht mehr der Naivität und dem Zufall überlassen
dürfen, sondern durch eine sorgfältige generative Hygiene rationell gestalten müssen.
Den positiven Inhalt der generativen Hygiene, die man nach englischem Vor¬
gange treffend auch mit dem Worte Eugenik bezeichnen kann, kann man gegen¬
wärtig nur in großen Zügen voraussehen: es wird natürlich hauptsächlich darauf
ankommen, die minderwertigen Individuen durch die Maßnahmen der Geburten-
präventionen an der Erzeugung von unerwünschten Nachkommen zu hindern.

Doch dürfen die Erfahrungen des Pflanzen- und Tierzüchters wohl nur
mit großer Vorsicht auf den menschlichen Artprozeß bezogen werden. Denn es
ist von großer Bedeutung, daß dem Artprozeß im Pflanzen- und Tierreiche
ungeheuer große Zeiträume und eine verhältnismäßig schnelle Generationsfolge
zur Verfügung standen, der Artprozeß der Kultur Menschheit sich aber in sehr
kurzer Zeit und langsamer Geschlechterfolge abspielen muß.

Außer der Geburtenvorbeugung, deren Methoden die moderne Medizin ja
zuverlässig beherrscht, gibt es daneben aber auch noch zahlreiche andere Ma߬
nahmen, um die Minderwertigen bezüglich der Fortpflanzung und der dadurch
ermöglichten Vererbung ihrer Minderwertigkeit matt zu setzen. So hat der
Verfasser an anderer Stelle*) nachdrücklich und ausführlich darauf hingewiesen,
daß wir in der Verallgemeinerung des Asylwesens ein durchaus humanes und
sicher wirkendes Mittel besitzen, den menschlichen Artprozeß in großem Maßstäbe
günstig zu beeinflussen. Schon gegenwärtig entbehrt das Heer der Vagabunden,
Alkoholiker, Verbrecher und Prostituierten infolge ihrer unstäten Lebensweise
einer nennenswerten Nachkommenschaft. Dieses Bevölkerungskonglomerat, das
der Volkswirt als Lumpenproletariat bezeichnet, das wir Ärzte jedoch als zum
größten Teil aus kränklichen, geistig oder somatisch defekten Personen bestehend
kennen gelernt haben, wird also gerade durch seine Verwahrlosung und sein
baldiges Ende ohne Nachkommen durch einen sozusagen natürlichen Neinigungs-
prozeß vom Volkskörper ausgeschieden. Zahlreiche minderwertige Personen werden
so aus den für die Aufzucht der Nachkommenschaft erforderlichen geordneten
Verhältnissen endgültig herausgeworfen und kommen dann nicht mehr für die
Fortpflanzung in Frage. Natürlich ist diese Form der Entartungsverhütung
außerordentlich roh und inhuman. Wir suchen sie deshalb in steigendem Maße
durch eine rechtzeitige Verbringung dieser Elemente in Asyle zu ersetzen. Es ist
nun ein beruhigendes Gefühl zu wissen, daß der Prozeß der Asylisierung, der



*) A, Grotjahn, "Krankonhcmswesen und Heilstättenbewegung im Lichte der sozialen
Hygiene". Leipzig, Vogel, 1903,
Geburtenverhütung und Volksvermehrung

etwas weniger Nachkommen haben, zumal auch dieses Resultat noch fraglich
wäre, da sie ja auch gegenwärtig, wo der Schutz der Schwachen noch wenig
ausgebildet ist, schon massenhaft minderwertige Nachkommen in die Welt setzen.
Daher muß diese zweite Wurzel der Entartungserscheinungen von einem ganz
anderen Punkte angefaßt werden: von dem der direkten Beeinflussung des Fort¬
pflanzungsgeschäftes, das wir nicht mehr der Naivität und dem Zufall überlassen
dürfen, sondern durch eine sorgfältige generative Hygiene rationell gestalten müssen.
Den positiven Inhalt der generativen Hygiene, die man nach englischem Vor¬
gange treffend auch mit dem Worte Eugenik bezeichnen kann, kann man gegen¬
wärtig nur in großen Zügen voraussehen: es wird natürlich hauptsächlich darauf
ankommen, die minderwertigen Individuen durch die Maßnahmen der Geburten-
präventionen an der Erzeugung von unerwünschten Nachkommen zu hindern.

Doch dürfen die Erfahrungen des Pflanzen- und Tierzüchters wohl nur
mit großer Vorsicht auf den menschlichen Artprozeß bezogen werden. Denn es
ist von großer Bedeutung, daß dem Artprozeß im Pflanzen- und Tierreiche
ungeheuer große Zeiträume und eine verhältnismäßig schnelle Generationsfolge
zur Verfügung standen, der Artprozeß der Kultur Menschheit sich aber in sehr
kurzer Zeit und langsamer Geschlechterfolge abspielen muß.

Außer der Geburtenvorbeugung, deren Methoden die moderne Medizin ja
zuverlässig beherrscht, gibt es daneben aber auch noch zahlreiche andere Ma߬
nahmen, um die Minderwertigen bezüglich der Fortpflanzung und der dadurch
ermöglichten Vererbung ihrer Minderwertigkeit matt zu setzen. So hat der
Verfasser an anderer Stelle*) nachdrücklich und ausführlich darauf hingewiesen,
daß wir in der Verallgemeinerung des Asylwesens ein durchaus humanes und
sicher wirkendes Mittel besitzen, den menschlichen Artprozeß in großem Maßstäbe
günstig zu beeinflussen. Schon gegenwärtig entbehrt das Heer der Vagabunden,
Alkoholiker, Verbrecher und Prostituierten infolge ihrer unstäten Lebensweise
einer nennenswerten Nachkommenschaft. Dieses Bevölkerungskonglomerat, das
der Volkswirt als Lumpenproletariat bezeichnet, das wir Ärzte jedoch als zum
größten Teil aus kränklichen, geistig oder somatisch defekten Personen bestehend
kennen gelernt haben, wird also gerade durch seine Verwahrlosung und sein
baldiges Ende ohne Nachkommen durch einen sozusagen natürlichen Neinigungs-
prozeß vom Volkskörper ausgeschieden. Zahlreiche minderwertige Personen werden
so aus den für die Aufzucht der Nachkommenschaft erforderlichen geordneten
Verhältnissen endgültig herausgeworfen und kommen dann nicht mehr für die
Fortpflanzung in Frage. Natürlich ist diese Form der Entartungsverhütung
außerordentlich roh und inhuman. Wir suchen sie deshalb in steigendem Maße
durch eine rechtzeitige Verbringung dieser Elemente in Asyle zu ersetzen. Es ist
nun ein beruhigendes Gefühl zu wissen, daß der Prozeß der Asylisierung, der



*) A, Grotjahn, „Krankonhcmswesen und Heilstättenbewegung im Lichte der sozialen
Hygiene". Leipzig, Vogel, 1903,
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[0556] Geburtenverhütung und Volksvermehrung etwas weniger Nachkommen haben, zumal auch dieses Resultat noch fraglich wäre, da sie ja auch gegenwärtig, wo der Schutz der Schwachen noch wenig ausgebildet ist, schon massenhaft minderwertige Nachkommen in die Welt setzen. Daher muß diese zweite Wurzel der Entartungserscheinungen von einem ganz anderen Punkte angefaßt werden: von dem der direkten Beeinflussung des Fort¬ pflanzungsgeschäftes, das wir nicht mehr der Naivität und dem Zufall überlassen dürfen, sondern durch eine sorgfältige generative Hygiene rationell gestalten müssen. Den positiven Inhalt der generativen Hygiene, die man nach englischem Vor¬ gange treffend auch mit dem Worte Eugenik bezeichnen kann, kann man gegen¬ wärtig nur in großen Zügen voraussehen: es wird natürlich hauptsächlich darauf ankommen, die minderwertigen Individuen durch die Maßnahmen der Geburten- präventionen an der Erzeugung von unerwünschten Nachkommen zu hindern. Doch dürfen die Erfahrungen des Pflanzen- und Tierzüchters wohl nur mit großer Vorsicht auf den menschlichen Artprozeß bezogen werden. Denn es ist von großer Bedeutung, daß dem Artprozeß im Pflanzen- und Tierreiche ungeheuer große Zeiträume und eine verhältnismäßig schnelle Generationsfolge zur Verfügung standen, der Artprozeß der Kultur Menschheit sich aber in sehr kurzer Zeit und langsamer Geschlechterfolge abspielen muß. Außer der Geburtenvorbeugung, deren Methoden die moderne Medizin ja zuverlässig beherrscht, gibt es daneben aber auch noch zahlreiche andere Ma߬ nahmen, um die Minderwertigen bezüglich der Fortpflanzung und der dadurch ermöglichten Vererbung ihrer Minderwertigkeit matt zu setzen. So hat der Verfasser an anderer Stelle*) nachdrücklich und ausführlich darauf hingewiesen, daß wir in der Verallgemeinerung des Asylwesens ein durchaus humanes und sicher wirkendes Mittel besitzen, den menschlichen Artprozeß in großem Maßstäbe günstig zu beeinflussen. Schon gegenwärtig entbehrt das Heer der Vagabunden, Alkoholiker, Verbrecher und Prostituierten infolge ihrer unstäten Lebensweise einer nennenswerten Nachkommenschaft. Dieses Bevölkerungskonglomerat, das der Volkswirt als Lumpenproletariat bezeichnet, das wir Ärzte jedoch als zum größten Teil aus kränklichen, geistig oder somatisch defekten Personen bestehend kennen gelernt haben, wird also gerade durch seine Verwahrlosung und sein baldiges Ende ohne Nachkommen durch einen sozusagen natürlichen Neinigungs- prozeß vom Volkskörper ausgeschieden. Zahlreiche minderwertige Personen werden so aus den für die Aufzucht der Nachkommenschaft erforderlichen geordneten Verhältnissen endgültig herausgeworfen und kommen dann nicht mehr für die Fortpflanzung in Frage. Natürlich ist diese Form der Entartungsverhütung außerordentlich roh und inhuman. Wir suchen sie deshalb in steigendem Maße durch eine rechtzeitige Verbringung dieser Elemente in Asyle zu ersetzen. Es ist nun ein beruhigendes Gefühl zu wissen, daß der Prozeß der Asylisierung, der *) A, Grotjahn, „Krankonhcmswesen und Heilstättenbewegung im Lichte der sozialen Hygiene". Leipzig, Vogel, 1903,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/556>, abgerufen am 22.07.2024.