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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Schaffen und Genießen

halten erforderlich: eine eigene und möglichst schrittweise Ausmahl und Her¬
stellung; denn auch hier kommen die besten Gedanken erst bei der Arbeit. Man
soll es jedem Raum ansehen können, nicht nur, welchem Zwecke er dient, sondern
auch von welcher Stimmung, welchem Geschmack und welchen Interessen seine
Bewohner beherrscht sind. Nicht auf Prunk, sondern auf Zweckmäßigkeit, Freund¬
lichkeit und Behaglichkeit und vor allem auf das Kundmachen des Charakteristischen
kommt es an. Unsere Industrie überschüttet uns auch auf diesem Gebiete in
wahlloser Menge mit der buntesten Fülle der Erzeugnisse. Aus ihnen einheitlich
dem persönlichen Verhältnisse Angemessenes auszuwählen ist wahrlich keine kleine
Aufgabe. Hier eröffnet sich ein ganz neues Feld, vor allem für die Hausfrau;
dazu müssen freilich unsere Frauen erst nach mancher Richtung hin erzogen
werden.

Höher als das Kunsthandwerk steht die Kunst im Hause. Neben der
technisch-ästhetisch vollendeten Konzertmustk hat die schlichte Hausmusik, auch wenn
sie von Laien ausgeübt wird, ihren eigenen selbständigen Wert. Auch die
Kunst darf nicht als ein letzter Eigenwert gelten im Zusammenhang des ganzen
menschlichen Lebens: für ihn darf daher fachmännische Vollendung nicht letztes
Ziel schlechtweg sein. Auch auf diesem Gebiete eröffnen sich für die Berufs-
tütigkeit und Industrie neue Ausgaben. Unsere heutige Kunstproduktion ist
durchaus auf den Fachmann und das Virtuosentum berechnet. An Erzeugnissen
jener schlicht-häuslichen Musik, an der unsere Altvorderen sich erfreuten, fehlt
es sehr. Sie müßte erneuert werden, um den eigenen Geist des Hauses auf
diesem Gebiete wieder lebendig zu machen. Ähnlich ist es mit den Bildern:
eine eigene Zeichnung oder Malerei, sei sie auch noch so dilettantisch, die uns
an teure Angehörige, an glückliche Kindheitstage, an lebhafte Natureindrücke
erinnert, hat ebenfalls ihren eigenen persönlichen Wert, der nur ausnahmsweise
durch ein Kunstwerk von fremder Hand völlig erreicht werden kann. Und für
ein solches gilt der Satz, daß der Wohlhabende nach Möglichkeit nicht fertige
Bilder kaufen, sondern sie sich nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Interessen
schaffen lassen solle.

Am schwierigsten ist es bestellt mit der inneren Seite des Familienlebens.
Die alte Substanzielle Einheit der Familie, das sahen wir oben, mag sie wirt¬
schaftlich-gesellschaftlicher, mag sie religiöser Natur sein, ist zerstört. Ebenso ist
dahin die gemeinsame Arbeit innerhalb der Familie. Eine Wiederbelebung ist
unmöglich: das Neue kann nur aus den Ruinen erwachsen. Der produktive
Gehalt des modernen Familienlebens kann nur noch aktueller Natur sein: er
kann nur bestehen in der gemeinsamen Pflege eines Lebensideals. Daran hat
es freilich nie gefehlt; nur war dieses Ideal in früheren Zeiten traditionell
gebundener Natur. Für unsere Altvorderen war die Moral und Weltanschauung
der christlichen Kirche die selbstverständliche geistige Atmosphäre. Auch das
Familienleben fand hierin sein letztes Ziel und seinen letzten Sinn: die
Familienordnung war ein Stück der gesamten von Gott gestifteten Weltordnung;


Schaffen und Genießen

halten erforderlich: eine eigene und möglichst schrittweise Ausmahl und Her¬
stellung; denn auch hier kommen die besten Gedanken erst bei der Arbeit. Man
soll es jedem Raum ansehen können, nicht nur, welchem Zwecke er dient, sondern
auch von welcher Stimmung, welchem Geschmack und welchen Interessen seine
Bewohner beherrscht sind. Nicht auf Prunk, sondern auf Zweckmäßigkeit, Freund¬
lichkeit und Behaglichkeit und vor allem auf das Kundmachen des Charakteristischen
kommt es an. Unsere Industrie überschüttet uns auch auf diesem Gebiete in
wahlloser Menge mit der buntesten Fülle der Erzeugnisse. Aus ihnen einheitlich
dem persönlichen Verhältnisse Angemessenes auszuwählen ist wahrlich keine kleine
Aufgabe. Hier eröffnet sich ein ganz neues Feld, vor allem für die Hausfrau;
dazu müssen freilich unsere Frauen erst nach mancher Richtung hin erzogen
werden.

Höher als das Kunsthandwerk steht die Kunst im Hause. Neben der
technisch-ästhetisch vollendeten Konzertmustk hat die schlichte Hausmusik, auch wenn
sie von Laien ausgeübt wird, ihren eigenen selbständigen Wert. Auch die
Kunst darf nicht als ein letzter Eigenwert gelten im Zusammenhang des ganzen
menschlichen Lebens: für ihn darf daher fachmännische Vollendung nicht letztes
Ziel schlechtweg sein. Auch auf diesem Gebiete eröffnen sich für die Berufs-
tütigkeit und Industrie neue Ausgaben. Unsere heutige Kunstproduktion ist
durchaus auf den Fachmann und das Virtuosentum berechnet. An Erzeugnissen
jener schlicht-häuslichen Musik, an der unsere Altvorderen sich erfreuten, fehlt
es sehr. Sie müßte erneuert werden, um den eigenen Geist des Hauses auf
diesem Gebiete wieder lebendig zu machen. Ähnlich ist es mit den Bildern:
eine eigene Zeichnung oder Malerei, sei sie auch noch so dilettantisch, die uns
an teure Angehörige, an glückliche Kindheitstage, an lebhafte Natureindrücke
erinnert, hat ebenfalls ihren eigenen persönlichen Wert, der nur ausnahmsweise
durch ein Kunstwerk von fremder Hand völlig erreicht werden kann. Und für
ein solches gilt der Satz, daß der Wohlhabende nach Möglichkeit nicht fertige
Bilder kaufen, sondern sie sich nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Interessen
schaffen lassen solle.

Am schwierigsten ist es bestellt mit der inneren Seite des Familienlebens.
Die alte Substanzielle Einheit der Familie, das sahen wir oben, mag sie wirt¬
schaftlich-gesellschaftlicher, mag sie religiöser Natur sein, ist zerstört. Ebenso ist
dahin die gemeinsame Arbeit innerhalb der Familie. Eine Wiederbelebung ist
unmöglich: das Neue kann nur aus den Ruinen erwachsen. Der produktive
Gehalt des modernen Familienlebens kann nur noch aktueller Natur sein: er
kann nur bestehen in der gemeinsamen Pflege eines Lebensideals. Daran hat
es freilich nie gefehlt; nur war dieses Ideal in früheren Zeiten traditionell
gebundener Natur. Für unsere Altvorderen war die Moral und Weltanschauung
der christlichen Kirche die selbstverständliche geistige Atmosphäre. Auch das
Familienleben fand hierin sein letztes Ziel und seinen letzten Sinn: die
Familienordnung war ein Stück der gesamten von Gott gestifteten Weltordnung;


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[0510] Schaffen und Genießen halten erforderlich: eine eigene und möglichst schrittweise Ausmahl und Her¬ stellung; denn auch hier kommen die besten Gedanken erst bei der Arbeit. Man soll es jedem Raum ansehen können, nicht nur, welchem Zwecke er dient, sondern auch von welcher Stimmung, welchem Geschmack und welchen Interessen seine Bewohner beherrscht sind. Nicht auf Prunk, sondern auf Zweckmäßigkeit, Freund¬ lichkeit und Behaglichkeit und vor allem auf das Kundmachen des Charakteristischen kommt es an. Unsere Industrie überschüttet uns auch auf diesem Gebiete in wahlloser Menge mit der buntesten Fülle der Erzeugnisse. Aus ihnen einheitlich dem persönlichen Verhältnisse Angemessenes auszuwählen ist wahrlich keine kleine Aufgabe. Hier eröffnet sich ein ganz neues Feld, vor allem für die Hausfrau; dazu müssen freilich unsere Frauen erst nach mancher Richtung hin erzogen werden. Höher als das Kunsthandwerk steht die Kunst im Hause. Neben der technisch-ästhetisch vollendeten Konzertmustk hat die schlichte Hausmusik, auch wenn sie von Laien ausgeübt wird, ihren eigenen selbständigen Wert. Auch die Kunst darf nicht als ein letzter Eigenwert gelten im Zusammenhang des ganzen menschlichen Lebens: für ihn darf daher fachmännische Vollendung nicht letztes Ziel schlechtweg sein. Auch auf diesem Gebiete eröffnen sich für die Berufs- tütigkeit und Industrie neue Ausgaben. Unsere heutige Kunstproduktion ist durchaus auf den Fachmann und das Virtuosentum berechnet. An Erzeugnissen jener schlicht-häuslichen Musik, an der unsere Altvorderen sich erfreuten, fehlt es sehr. Sie müßte erneuert werden, um den eigenen Geist des Hauses auf diesem Gebiete wieder lebendig zu machen. Ähnlich ist es mit den Bildern: eine eigene Zeichnung oder Malerei, sei sie auch noch so dilettantisch, die uns an teure Angehörige, an glückliche Kindheitstage, an lebhafte Natureindrücke erinnert, hat ebenfalls ihren eigenen persönlichen Wert, der nur ausnahmsweise durch ein Kunstwerk von fremder Hand völlig erreicht werden kann. Und für ein solches gilt der Satz, daß der Wohlhabende nach Möglichkeit nicht fertige Bilder kaufen, sondern sie sich nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Interessen schaffen lassen solle. Am schwierigsten ist es bestellt mit der inneren Seite des Familienlebens. Die alte Substanzielle Einheit der Familie, das sahen wir oben, mag sie wirt¬ schaftlich-gesellschaftlicher, mag sie religiöser Natur sein, ist zerstört. Ebenso ist dahin die gemeinsame Arbeit innerhalb der Familie. Eine Wiederbelebung ist unmöglich: das Neue kann nur aus den Ruinen erwachsen. Der produktive Gehalt des modernen Familienlebens kann nur noch aktueller Natur sein: er kann nur bestehen in der gemeinsamen Pflege eines Lebensideals. Daran hat es freilich nie gefehlt; nur war dieses Ideal in früheren Zeiten traditionell gebundener Natur. Für unsere Altvorderen war die Moral und Weltanschauung der christlichen Kirche die selbstverständliche geistige Atmosphäre. Auch das Familienleben fand hierin sein letztes Ziel und seinen letzten Sinn: die Familienordnung war ein Stück der gesamten von Gott gestifteten Weltordnung;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/510>, abgerufen am 02.10.2024.