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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Schaffen und Genießen

Künstler den ganzen Gehalt seiner Schöpfungen übermittelt. Häufig führt schon
der Geschmack oder die Gewohnheit von selbst zu einer solchen Wiederkehr des
Gleichen. In wohlhabenden Kreisen kommt neuerdings bekanntlich das eigene
Landhaus aus. Der planlosen und rastlosen Unruhe des durchschnittlichen
Umherreisens ist es sicherlich ohne weiteres vorzuziehen und für den, der ein
hinreichendes Maß von der Welt gesehen hat, ist es ethisch am wertvollsten,
weil es ein wirkliches Heim, ein wirkliches Verwachsensein mit einer bestimmten
Natur gewährt.




Wir wenden uns nun dem Gebiete des häuslichen Lebens zu. Wie ist
hier die reine Konsumtion durch ein aktives Verhalten zu ersetzen? Wir betrachten
zunächst die äußere Seite des häuslichen Lebens. Auf dem wirtschaftlichen
Gebiete, hatten wir gesehen, ist die Eigenerzeugung geschwunden; nur noch die
letzten Vorbereitungen zum Genuß fallen in die Sphäre des Hauses. Daran
ist nichts mehr zu ändern. Jeder Reformversuch muß hiermit rechnen, er muß
auf anderen Gebieten neu zu schaffen suchen, was auf diesem unwiederbringlich
dahin ist. Die neuen Aufgaben aber liegen, solange wir von der inneren
Seite des Familienlebens absehen, im Bereich der Einrichtung des Hauses und
ihrer Erhaltung. Die Wendung unserer Zeit zur Kunst und zum Kunstgewerbe
hat hier ganz neue Aufgaben und die Möglichkeit ihrer Erfüllung geschaffen.
Freilich muß dabei vor einem Übermaß gewarnt werden. Der Mensch ist in
erster Linie ein historisches und in zweiter ein systematisches Wesen; er verlangt
nicht nur nach einer Umgebung, die seinein Wesen verwandt ist. sondern auch
und mehr noch nach einer solchen, die ihm seine eigenen Erlebnisse, seine
Vergangenheit und seine persönlichen Beziehungen vor Augen stellt. Wer
schlichte alte Möbel, an denen seine Vorfahren gearbeitet und sich gefreut haben,
wer künstlerisch wertlose alte Bilder, die mit Erinnerungen an seine Kindheit
oder ältere Generationen verwoben sind, zugunsten eines einheitlichen Stiles
beiseite drängt, der handelt nicht nur pietätlos, sondern stellt sich auch ein
Armutszeugnis aus. Die ästhetischen Bedürfnisse dürfen auf diesem Gebiete,
wie überall, immer erst nach den persönlichen kommen. Bei öffentlichen Bauten
und Einrichtungen, denen die persönliche und historische Seite abgeht, wie den
Hotels, Warmhäusern, Verwaltungsgebäuden usw. mag neben der Zweck¬
mäßigkeit der ästhetische Gesichtspunkt allein den Ausschlag geben: dasselbe
Verfahren auf das Privatleben zu übertragen würde wiederum eine falsche
Wertübertragung bedeuten. Innerhalb der so angedeuteten Grenzen aber
eröffnet sich nun ein weites Feld der schaffenden Tätigkeit. Es ist wiederum
einseitig, wenn man sich, was freilich auf die wohlhabenden Kreise beschränkt
bleibt, vom Innenarchitekten seine ganze Einrichtung auf einmal fix und fertig
besorgen läßt; spricht aus ihr eine Seele, so wird es fast immer diejenige des
Herstellers, nicht diejenige des Benutzers sein. Auch hier ist ein aktives Ver-


Schaffen und Genießen

Künstler den ganzen Gehalt seiner Schöpfungen übermittelt. Häufig führt schon
der Geschmack oder die Gewohnheit von selbst zu einer solchen Wiederkehr des
Gleichen. In wohlhabenden Kreisen kommt neuerdings bekanntlich das eigene
Landhaus aus. Der planlosen und rastlosen Unruhe des durchschnittlichen
Umherreisens ist es sicherlich ohne weiteres vorzuziehen und für den, der ein
hinreichendes Maß von der Welt gesehen hat, ist es ethisch am wertvollsten,
weil es ein wirkliches Heim, ein wirkliches Verwachsensein mit einer bestimmten
Natur gewährt.




Wir wenden uns nun dem Gebiete des häuslichen Lebens zu. Wie ist
hier die reine Konsumtion durch ein aktives Verhalten zu ersetzen? Wir betrachten
zunächst die äußere Seite des häuslichen Lebens. Auf dem wirtschaftlichen
Gebiete, hatten wir gesehen, ist die Eigenerzeugung geschwunden; nur noch die
letzten Vorbereitungen zum Genuß fallen in die Sphäre des Hauses. Daran
ist nichts mehr zu ändern. Jeder Reformversuch muß hiermit rechnen, er muß
auf anderen Gebieten neu zu schaffen suchen, was auf diesem unwiederbringlich
dahin ist. Die neuen Aufgaben aber liegen, solange wir von der inneren
Seite des Familienlebens absehen, im Bereich der Einrichtung des Hauses und
ihrer Erhaltung. Die Wendung unserer Zeit zur Kunst und zum Kunstgewerbe
hat hier ganz neue Aufgaben und die Möglichkeit ihrer Erfüllung geschaffen.
Freilich muß dabei vor einem Übermaß gewarnt werden. Der Mensch ist in
erster Linie ein historisches und in zweiter ein systematisches Wesen; er verlangt
nicht nur nach einer Umgebung, die seinein Wesen verwandt ist. sondern auch
und mehr noch nach einer solchen, die ihm seine eigenen Erlebnisse, seine
Vergangenheit und seine persönlichen Beziehungen vor Augen stellt. Wer
schlichte alte Möbel, an denen seine Vorfahren gearbeitet und sich gefreut haben,
wer künstlerisch wertlose alte Bilder, die mit Erinnerungen an seine Kindheit
oder ältere Generationen verwoben sind, zugunsten eines einheitlichen Stiles
beiseite drängt, der handelt nicht nur pietätlos, sondern stellt sich auch ein
Armutszeugnis aus. Die ästhetischen Bedürfnisse dürfen auf diesem Gebiete,
wie überall, immer erst nach den persönlichen kommen. Bei öffentlichen Bauten
und Einrichtungen, denen die persönliche und historische Seite abgeht, wie den
Hotels, Warmhäusern, Verwaltungsgebäuden usw. mag neben der Zweck¬
mäßigkeit der ästhetische Gesichtspunkt allein den Ausschlag geben: dasselbe
Verfahren auf das Privatleben zu übertragen würde wiederum eine falsche
Wertübertragung bedeuten. Innerhalb der so angedeuteten Grenzen aber
eröffnet sich nun ein weites Feld der schaffenden Tätigkeit. Es ist wiederum
einseitig, wenn man sich, was freilich auf die wohlhabenden Kreise beschränkt
bleibt, vom Innenarchitekten seine ganze Einrichtung auf einmal fix und fertig
besorgen läßt; spricht aus ihr eine Seele, so wird es fast immer diejenige des
Herstellers, nicht diejenige des Benutzers sein. Auch hier ist ein aktives Ver-


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[0509] Schaffen und Genießen Künstler den ganzen Gehalt seiner Schöpfungen übermittelt. Häufig führt schon der Geschmack oder die Gewohnheit von selbst zu einer solchen Wiederkehr des Gleichen. In wohlhabenden Kreisen kommt neuerdings bekanntlich das eigene Landhaus aus. Der planlosen und rastlosen Unruhe des durchschnittlichen Umherreisens ist es sicherlich ohne weiteres vorzuziehen und für den, der ein hinreichendes Maß von der Welt gesehen hat, ist es ethisch am wertvollsten, weil es ein wirkliches Heim, ein wirkliches Verwachsensein mit einer bestimmten Natur gewährt. Wir wenden uns nun dem Gebiete des häuslichen Lebens zu. Wie ist hier die reine Konsumtion durch ein aktives Verhalten zu ersetzen? Wir betrachten zunächst die äußere Seite des häuslichen Lebens. Auf dem wirtschaftlichen Gebiete, hatten wir gesehen, ist die Eigenerzeugung geschwunden; nur noch die letzten Vorbereitungen zum Genuß fallen in die Sphäre des Hauses. Daran ist nichts mehr zu ändern. Jeder Reformversuch muß hiermit rechnen, er muß auf anderen Gebieten neu zu schaffen suchen, was auf diesem unwiederbringlich dahin ist. Die neuen Aufgaben aber liegen, solange wir von der inneren Seite des Familienlebens absehen, im Bereich der Einrichtung des Hauses und ihrer Erhaltung. Die Wendung unserer Zeit zur Kunst und zum Kunstgewerbe hat hier ganz neue Aufgaben und die Möglichkeit ihrer Erfüllung geschaffen. Freilich muß dabei vor einem Übermaß gewarnt werden. Der Mensch ist in erster Linie ein historisches und in zweiter ein systematisches Wesen; er verlangt nicht nur nach einer Umgebung, die seinein Wesen verwandt ist. sondern auch und mehr noch nach einer solchen, die ihm seine eigenen Erlebnisse, seine Vergangenheit und seine persönlichen Beziehungen vor Augen stellt. Wer schlichte alte Möbel, an denen seine Vorfahren gearbeitet und sich gefreut haben, wer künstlerisch wertlose alte Bilder, die mit Erinnerungen an seine Kindheit oder ältere Generationen verwoben sind, zugunsten eines einheitlichen Stiles beiseite drängt, der handelt nicht nur pietätlos, sondern stellt sich auch ein Armutszeugnis aus. Die ästhetischen Bedürfnisse dürfen auf diesem Gebiete, wie überall, immer erst nach den persönlichen kommen. Bei öffentlichen Bauten und Einrichtungen, denen die persönliche und historische Seite abgeht, wie den Hotels, Warmhäusern, Verwaltungsgebäuden usw. mag neben der Zweck¬ mäßigkeit der ästhetische Gesichtspunkt allein den Ausschlag geben: dasselbe Verfahren auf das Privatleben zu übertragen würde wiederum eine falsche Wertübertragung bedeuten. Innerhalb der so angedeuteten Grenzen aber eröffnet sich nun ein weites Feld der schaffenden Tätigkeit. Es ist wiederum einseitig, wenn man sich, was freilich auf die wohlhabenden Kreise beschränkt bleibt, vom Innenarchitekten seine ganze Einrichtung auf einmal fix und fertig besorgen läßt; spricht aus ihr eine Seele, so wird es fast immer diejenige des Herstellers, nicht diejenige des Benutzers sein. Auch hier ist ein aktives Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/509>, abgerufen am 02.10.2024.