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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gelehrter und Freund König Friedrich Wil¬
helms des Vierten war und über den man
spaltenlange Lebensbeschreibungen in jedem
Konversationslexikon nacklesen kann. Der
Freiherr Karl von Bunsen -- sein Freiherren¬
titel, verliehen am 18. Januar 1858, war nur
persönlich und lediglich der einfache Adel war
unbeschränkt vererblich -- hatte zehn Kinder,
darunter fünf Söhne. Der älteste war: Hein¬
rich, der längst kinderlos verstorben ist, Pfarrer
(Dekan der englischen Staatskirche) zu Don-
nington bei Wolverhampton. Der zweite war:
Ernst, zuletzt königlich Preußischer Hauptmann
a. D. und Kammerherr, gestorben 1903, ein
namhafter Übersetzer und gelehrter Schrift¬
steller. Der dritte: Karl, starb 1887 als
kaiserlich deutscher Legationsrat. Der vierte:
Georg, gestorben 1896, war ein bekannter
deutscher Politiker. Er hat von 1862 bis
1879 dem preußischen Hause der Abgeordneten
und von 1867 bis 1887 dem norddeutschen
und dem deutschen Reichstage angehört. Er
war vormals Herr auf Burg Rheindorf bei
Bonn und lebte zuletzt, wie sein älterer Bruder
Ernst, in London. Der jüngste der Brüder:
Theodor, gestorben 1872, war zuerst deutscher
Diplomat, verließ 1876 den Staatsdienst und
war dann von 1877 bis 1881 Mitglied der
nationalliberalen Partei des deutschen Reichs¬
tages. Ein Sohn des vorgenannten Ernst ist
Sir Maurice, so daß also die erwähnten
deutschen Staatsmänner usw. mit ihrer Nach¬
kommenschaft alle ebenfalls jüdischen Ursprunges
sein müßten, wenn die Vermutung des "Se¬
migotha" zutreffend wäre. Von einer jüdischen
Abstammung dieser Personen weiß aber der
"Semigotha" selbst auch nichts und in Wirk¬
lichkeit ist ihm lediglich entgangen, daß Sir
Maurice gerade diesem Geschlechte angehört.
Das aber kann leicht im Gothaischen Taschen¬
buche des Briefadels nachgesehen werden I
Eine leibliche Schwester von Sir Maurice ist
übrigens die bekannte deutsche Schriftstellerin
Marie von Bunsen I Von einer jüdischen Her¬
kunft dieses ganzen Geschlechtes Bunsen hat
noch nie etwas verlautet! Dr. Stephan Ackule von Stradonitz

vergleichsweise noch erheblich größer. Damit
ist aber auch festgestellt, daß diese vielen Fehler
dem wissenschaftlichen Werte des neuen Taschen¬
buches empfindlichen Abbruch tun, ja, daß
dieses als Nachschlagewerk für das, was man
darin soll nachschlagen können, nur sehr be¬
schränkt brauchbar ist, weil jeder einzelne
"Fall" doch erst genealogisch nachgeprüft
werden nutz. Mangelnde "borg linkes"
wird man den: "Redaktionskomitee" bei der
Aufnahme der einzelnen Artikel vielleicht nicht
vorwerfen dürfen. Den Vorwurf "grober Fahr¬
lässigkeit" bei der Aufnahme vieler einzelner
Artikel kann man gegen dasselbe aber mit Ruhe
erheben, weil das Gegenteil des Behaupteten,
nämlich die nicht-jüdische Abstammung der
betreffenden Geschlechter, in leicht zugänglicher,
aber allerdings dem "Semigotha" unbekannter
Sonderliteratur schon erwiesen ist. Es ist nun
meine Absicht, in einer Reihe von Artikeln die
"nicht-jüdischenGeschlechter im .Semigotha'"
zu behandeln, soweit dabei Personen in Be¬
tracht kommen, die im öffentlichen Leben stehen,
oder Geschlechter, die sonst irgendwie von all¬
gemeinem Interesse sind. Als erstes greife
ich dabei ein Beispiel heraus, das die leicht¬
fertige Arbeitsweise der Gewährsmänner und
die kritiklose Oberflächlichkeit des "Redaktions¬
konntees" des "Semigotha" in besonders auf¬
fälliger Weise zeigt. Auf S. 293 findet sich
folgende Notiz: "Bunsen, Maurice de, eng¬
lischer Gesandter in Madrid, soll jüdischer Her¬
kunft sein." Zunächst: wer ist der Herr, um den
es sich handelt? Es ist der königlich großbritan¬
nische außerordentliche und bevollmächtigte Bot¬
schafter am spanischen Hofe, der KMt tto-
nourable, Sir Maurice William Ernest de
Bunsen, Mitglied des "Geheimen Rates Seiner
Majestät des Königs von Großbritannien und
Irland", Ritter vieler hoher Orden und, trotz
seiner deutschen Abstammung, nebenbei be¬
merkt, ein ziemlich starker "Deutschenfresser",
wie so viele Engländer deutscher Herkunft,
der seinen Namen deshalb selbst auch stets:
"de Börsen" ausspricht! Alle diese Tatsachen
sind aber kein Beweis für einen jüdischen
Ursprung und in Wirklichkeit ist der Botschafter
ein Herr "von Bunsen". Er ist ein leiblicher
Enkel des berühmten deutschen Staatsmannes
Freiherrn Christian Karl Josias von Bunsen,
gestorben 1860, der auch ein hervorragender


Schnlfragen
Unser Schulaufsatz -- ein verkappter

Schundliterilt?

Die Frage, die ich über


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gelehrter und Freund König Friedrich Wil¬
helms des Vierten war und über den man
spaltenlange Lebensbeschreibungen in jedem
Konversationslexikon nacklesen kann. Der
Freiherr Karl von Bunsen — sein Freiherren¬
titel, verliehen am 18. Januar 1858, war nur
persönlich und lediglich der einfache Adel war
unbeschränkt vererblich — hatte zehn Kinder,
darunter fünf Söhne. Der älteste war: Hein¬
rich, der längst kinderlos verstorben ist, Pfarrer
(Dekan der englischen Staatskirche) zu Don-
nington bei Wolverhampton. Der zweite war:
Ernst, zuletzt königlich Preußischer Hauptmann
a. D. und Kammerherr, gestorben 1903, ein
namhafter Übersetzer und gelehrter Schrift¬
steller. Der dritte: Karl, starb 1887 als
kaiserlich deutscher Legationsrat. Der vierte:
Georg, gestorben 1896, war ein bekannter
deutscher Politiker. Er hat von 1862 bis
1879 dem preußischen Hause der Abgeordneten
und von 1867 bis 1887 dem norddeutschen
und dem deutschen Reichstage angehört. Er
war vormals Herr auf Burg Rheindorf bei
Bonn und lebte zuletzt, wie sein älterer Bruder
Ernst, in London. Der jüngste der Brüder:
Theodor, gestorben 1872, war zuerst deutscher
Diplomat, verließ 1876 den Staatsdienst und
war dann von 1877 bis 1881 Mitglied der
nationalliberalen Partei des deutschen Reichs¬
tages. Ein Sohn des vorgenannten Ernst ist
Sir Maurice, so daß also die erwähnten
deutschen Staatsmänner usw. mit ihrer Nach¬
kommenschaft alle ebenfalls jüdischen Ursprunges
sein müßten, wenn die Vermutung des „Se¬
migotha" zutreffend wäre. Von einer jüdischen
Abstammung dieser Personen weiß aber der
„Semigotha" selbst auch nichts und in Wirk¬
lichkeit ist ihm lediglich entgangen, daß Sir
Maurice gerade diesem Geschlechte angehört.
Das aber kann leicht im Gothaischen Taschen¬
buche des Briefadels nachgesehen werden I
Eine leibliche Schwester von Sir Maurice ist
übrigens die bekannte deutsche Schriftstellerin
Marie von Bunsen I Von einer jüdischen Her¬
kunft dieses ganzen Geschlechtes Bunsen hat
noch nie etwas verlautet! Dr. Stephan Ackule von Stradonitz

vergleichsweise noch erheblich größer. Damit
ist aber auch festgestellt, daß diese vielen Fehler
dem wissenschaftlichen Werte des neuen Taschen¬
buches empfindlichen Abbruch tun, ja, daß
dieses als Nachschlagewerk für das, was man
darin soll nachschlagen können, nur sehr be¬
schränkt brauchbar ist, weil jeder einzelne
„Fall" doch erst genealogisch nachgeprüft
werden nutz. Mangelnde „borg linkes"
wird man den: „Redaktionskomitee" bei der
Aufnahme der einzelnen Artikel vielleicht nicht
vorwerfen dürfen. Den Vorwurf „grober Fahr¬
lässigkeit" bei der Aufnahme vieler einzelner
Artikel kann man gegen dasselbe aber mit Ruhe
erheben, weil das Gegenteil des Behaupteten,
nämlich die nicht-jüdische Abstammung der
betreffenden Geschlechter, in leicht zugänglicher,
aber allerdings dem „Semigotha" unbekannter
Sonderliteratur schon erwiesen ist. Es ist nun
meine Absicht, in einer Reihe von Artikeln die
„nicht-jüdischenGeschlechter im .Semigotha'"
zu behandeln, soweit dabei Personen in Be¬
tracht kommen, die im öffentlichen Leben stehen,
oder Geschlechter, die sonst irgendwie von all¬
gemeinem Interesse sind. Als erstes greife
ich dabei ein Beispiel heraus, das die leicht¬
fertige Arbeitsweise der Gewährsmänner und
die kritiklose Oberflächlichkeit des „Redaktions¬
konntees" des „Semigotha" in besonders auf¬
fälliger Weise zeigt. Auf S. 293 findet sich
folgende Notiz: „Bunsen, Maurice de, eng¬
lischer Gesandter in Madrid, soll jüdischer Her¬
kunft sein." Zunächst: wer ist der Herr, um den
es sich handelt? Es ist der königlich großbritan¬
nische außerordentliche und bevollmächtigte Bot¬
schafter am spanischen Hofe, der KMt tto-
nourable, Sir Maurice William Ernest de
Bunsen, Mitglied des „Geheimen Rates Seiner
Majestät des Königs von Großbritannien und
Irland", Ritter vieler hoher Orden und, trotz
seiner deutschen Abstammung, nebenbei be¬
merkt, ein ziemlich starker „Deutschenfresser",
wie so viele Engländer deutscher Herkunft,
der seinen Namen deshalb selbst auch stets:
„de Börsen" ausspricht! Alle diese Tatsachen
sind aber kein Beweis für einen jüdischen
Ursprung und in Wirklichkeit ist der Botschafter
ein Herr „von Bunsen". Er ist ein leiblicher
Enkel des berühmten deutschen Staatsmannes
Freiherrn Christian Karl Josias von Bunsen,
gestorben 1860, der auch ein hervorragender


Schnlfragen
Unser Schulaufsatz — ein verkappter

Schundliterilt?

Die Frage, die ich über


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[0051] Maßgebliches und Unmaßgebliches Gelehrter und Freund König Friedrich Wil¬ helms des Vierten war und über den man spaltenlange Lebensbeschreibungen in jedem Konversationslexikon nacklesen kann. Der Freiherr Karl von Bunsen — sein Freiherren¬ titel, verliehen am 18. Januar 1858, war nur persönlich und lediglich der einfache Adel war unbeschränkt vererblich — hatte zehn Kinder, darunter fünf Söhne. Der älteste war: Hein¬ rich, der längst kinderlos verstorben ist, Pfarrer (Dekan der englischen Staatskirche) zu Don- nington bei Wolverhampton. Der zweite war: Ernst, zuletzt königlich Preußischer Hauptmann a. D. und Kammerherr, gestorben 1903, ein namhafter Übersetzer und gelehrter Schrift¬ steller. Der dritte: Karl, starb 1887 als kaiserlich deutscher Legationsrat. Der vierte: Georg, gestorben 1896, war ein bekannter deutscher Politiker. Er hat von 1862 bis 1879 dem preußischen Hause der Abgeordneten und von 1867 bis 1887 dem norddeutschen und dem deutschen Reichstage angehört. Er war vormals Herr auf Burg Rheindorf bei Bonn und lebte zuletzt, wie sein älterer Bruder Ernst, in London. Der jüngste der Brüder: Theodor, gestorben 1872, war zuerst deutscher Diplomat, verließ 1876 den Staatsdienst und war dann von 1877 bis 1881 Mitglied der nationalliberalen Partei des deutschen Reichs¬ tages. Ein Sohn des vorgenannten Ernst ist Sir Maurice, so daß also die erwähnten deutschen Staatsmänner usw. mit ihrer Nach¬ kommenschaft alle ebenfalls jüdischen Ursprunges sein müßten, wenn die Vermutung des „Se¬ migotha" zutreffend wäre. Von einer jüdischen Abstammung dieser Personen weiß aber der „Semigotha" selbst auch nichts und in Wirk¬ lichkeit ist ihm lediglich entgangen, daß Sir Maurice gerade diesem Geschlechte angehört. Das aber kann leicht im Gothaischen Taschen¬ buche des Briefadels nachgesehen werden I Eine leibliche Schwester von Sir Maurice ist übrigens die bekannte deutsche Schriftstellerin Marie von Bunsen I Von einer jüdischen Her¬ kunft dieses ganzen Geschlechtes Bunsen hat noch nie etwas verlautet! Dr. Stephan Ackule von Stradonitz vergleichsweise noch erheblich größer. Damit ist aber auch festgestellt, daß diese vielen Fehler dem wissenschaftlichen Werte des neuen Taschen¬ buches empfindlichen Abbruch tun, ja, daß dieses als Nachschlagewerk für das, was man darin soll nachschlagen können, nur sehr be¬ schränkt brauchbar ist, weil jeder einzelne „Fall" doch erst genealogisch nachgeprüft werden nutz. Mangelnde „borg linkes" wird man den: „Redaktionskomitee" bei der Aufnahme der einzelnen Artikel vielleicht nicht vorwerfen dürfen. Den Vorwurf „grober Fahr¬ lässigkeit" bei der Aufnahme vieler einzelner Artikel kann man gegen dasselbe aber mit Ruhe erheben, weil das Gegenteil des Behaupteten, nämlich die nicht-jüdische Abstammung der betreffenden Geschlechter, in leicht zugänglicher, aber allerdings dem „Semigotha" unbekannter Sonderliteratur schon erwiesen ist. Es ist nun meine Absicht, in einer Reihe von Artikeln die „nicht-jüdischenGeschlechter im .Semigotha'" zu behandeln, soweit dabei Personen in Be¬ tracht kommen, die im öffentlichen Leben stehen, oder Geschlechter, die sonst irgendwie von all¬ gemeinem Interesse sind. Als erstes greife ich dabei ein Beispiel heraus, das die leicht¬ fertige Arbeitsweise der Gewährsmänner und die kritiklose Oberflächlichkeit des „Redaktions¬ konntees" des „Semigotha" in besonders auf¬ fälliger Weise zeigt. Auf S. 293 findet sich folgende Notiz: „Bunsen, Maurice de, eng¬ lischer Gesandter in Madrid, soll jüdischer Her¬ kunft sein." Zunächst: wer ist der Herr, um den es sich handelt? Es ist der königlich großbritan¬ nische außerordentliche und bevollmächtigte Bot¬ schafter am spanischen Hofe, der KMt tto- nourable, Sir Maurice William Ernest de Bunsen, Mitglied des „Geheimen Rates Seiner Majestät des Königs von Großbritannien und Irland", Ritter vieler hoher Orden und, trotz seiner deutschen Abstammung, nebenbei be¬ merkt, ein ziemlich starker „Deutschenfresser", wie so viele Engländer deutscher Herkunft, der seinen Namen deshalb selbst auch stets: „de Börsen" ausspricht! Alle diese Tatsachen sind aber kein Beweis für einen jüdischen Ursprung und in Wirklichkeit ist der Botschafter ein Herr „von Bunsen". Er ist ein leiblicher Enkel des berühmten deutschen Staatsmannes Freiherrn Christian Karl Josias von Bunsen, gestorben 1860, der auch ein hervorragender Schnlfragen Unser Schulaufsatz — ein verkappter Schundliterilt? Die Frage, die ich über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/51>, abgerufen am 03.07.2024.