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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Schaffen und Genießen

wir uns im Verkehr mit der Natur befinden. In die Natur flüchten wir uns
aus der Überfeinerung der städtischen Kultur, aus ihrem Übermaß von Reizen.
Natur ist in diesem Sinne das Gegenteil der Großstadt. Wer wirklich ihre
Seele erfassen will, der muß sich alles, was ihn an den großstädtischen Kultur¬
apparat erinnert, nach Möglichkeit vom Leibe halten. Dahin gehören die
luxuriösen Toiletten, die Diners und gesellschaftlichen Veranstaltungen, sowie der
ganze elegante Apparat der Hotelpaläste. Gerade diese Prunkhotels, die ohnehin
oft die Landschaft verschandeln, bilden ein bösartiges Beispiel für die verderb¬
lichen Wirkungen, die unsere Jndustrietätigkeit auszuüben vermag, wo sie an
niedere Instinkte wie die Prunksucht und das Absonderungsbedürfnis der Reichen
appelliert. Wie viel besser paßt zu der Szenerie der grünen Wälder und Berge
der schlichte Lodenanzug als die glänzende Gesellschaftstoilette. Man ist stolz
darauf, im Hotel mit dem Blick auf die Berge speisen zu können; aber man
fühlt nicht, welche Barbarei dann liegt, den ganzen Prunk der städtischen
Toiletten der schlichten und stillen Größe dieser Natur gegenüberzustellen.
Sicherlich gibt es viele'Menschen, die gerade bei ihrer Erholung diesen städtischen
Apparat nicht missen mögen, aber ebenso sicher gibt es eine stille Gemeinde,
die von diesen Dingen angewidert nach einer stillen Versenkung in die Größe
der Natur verlangt; und bei der Zunahme des guten Geschmacks und des
künstlerischen Geistes in unseren Tagen dürfen wir hoffen, daß sie im Wachsen
ist. Freilich stehen mächtige Zeitströmungen ihr feindlich gegenüber; ebenso
deswegen verlangt sie nach einer Organisation, nach besonderen Schöpfungen
und Einrichtungen in ihrem Sinne; es müßten Landschaften dem modernen
Verkehrsapparate entzogen werden in einem ähnlichen Sinne etwa, wie man
bei uns Naturparke zu schaffen begonnen bat. Und wir bedürfen einer Hotel¬
reform, einer neuen Art Hotels, die Einfachheit mit Gediegenheit verbinden,
uns völligen Lärmschutz und behagliche und geschmackvolle Einrichtungen gewähren,
und die uns so die Illusion eines Heimes ermöglichen.

Wir erstreben aber noch ein dauernderes und tieferes Verhältnis zur Natur
als das bloße zeitweilige Zusammenleben mit ihr. Wir wollen uns in einem
Stück Natur wirklich heimisch machen, in ihm wirklich einwurzeln. Dazu kann
schon die Befestigung der Eindrücke durch die Erinnerung helfen. Wer etwas
auf Stetigkeit und Zusammenhang in seinem Leben hält, der wird wenigstens
einige seiner Reiseeindrücke gern im Bilde festhalten. Der Berufstätigkeit und
Industrie ist auch hier wieder noch ein weites Feld geöffnet. Künstlerische
Wiedergaben von Landschaften zu mäßigen Preisen sind noch viel zu selten.
Noch besser ist auch hier ein aktives Verhältnis; über die Photographie erhebt
sich daher die Fixierung einer landschaftlichen Szenerie durch den eigenen Bleistift,
mag sie auch laienhaft ausfallen. Ebenso wichtig ist die Wiederholung ver¬
wandter Eindrücke an Stelle planloser Abwechslung in dem Reiseziel, die
Bevorzugung eines bestimmten Typus in der Landschaft. Es ist hier ähnlich wie
mit der Kunst, in der uns auch erst die wiederholte Beschäftigung mit demselben


Schaffen und Genießen

wir uns im Verkehr mit der Natur befinden. In die Natur flüchten wir uns
aus der Überfeinerung der städtischen Kultur, aus ihrem Übermaß von Reizen.
Natur ist in diesem Sinne das Gegenteil der Großstadt. Wer wirklich ihre
Seele erfassen will, der muß sich alles, was ihn an den großstädtischen Kultur¬
apparat erinnert, nach Möglichkeit vom Leibe halten. Dahin gehören die
luxuriösen Toiletten, die Diners und gesellschaftlichen Veranstaltungen, sowie der
ganze elegante Apparat der Hotelpaläste. Gerade diese Prunkhotels, die ohnehin
oft die Landschaft verschandeln, bilden ein bösartiges Beispiel für die verderb¬
lichen Wirkungen, die unsere Jndustrietätigkeit auszuüben vermag, wo sie an
niedere Instinkte wie die Prunksucht und das Absonderungsbedürfnis der Reichen
appelliert. Wie viel besser paßt zu der Szenerie der grünen Wälder und Berge
der schlichte Lodenanzug als die glänzende Gesellschaftstoilette. Man ist stolz
darauf, im Hotel mit dem Blick auf die Berge speisen zu können; aber man
fühlt nicht, welche Barbarei dann liegt, den ganzen Prunk der städtischen
Toiletten der schlichten und stillen Größe dieser Natur gegenüberzustellen.
Sicherlich gibt es viele'Menschen, die gerade bei ihrer Erholung diesen städtischen
Apparat nicht missen mögen, aber ebenso sicher gibt es eine stille Gemeinde,
die von diesen Dingen angewidert nach einer stillen Versenkung in die Größe
der Natur verlangt; und bei der Zunahme des guten Geschmacks und des
künstlerischen Geistes in unseren Tagen dürfen wir hoffen, daß sie im Wachsen
ist. Freilich stehen mächtige Zeitströmungen ihr feindlich gegenüber; ebenso
deswegen verlangt sie nach einer Organisation, nach besonderen Schöpfungen
und Einrichtungen in ihrem Sinne; es müßten Landschaften dem modernen
Verkehrsapparate entzogen werden in einem ähnlichen Sinne etwa, wie man
bei uns Naturparke zu schaffen begonnen bat. Und wir bedürfen einer Hotel¬
reform, einer neuen Art Hotels, die Einfachheit mit Gediegenheit verbinden,
uns völligen Lärmschutz und behagliche und geschmackvolle Einrichtungen gewähren,
und die uns so die Illusion eines Heimes ermöglichen.

Wir erstreben aber noch ein dauernderes und tieferes Verhältnis zur Natur
als das bloße zeitweilige Zusammenleben mit ihr. Wir wollen uns in einem
Stück Natur wirklich heimisch machen, in ihm wirklich einwurzeln. Dazu kann
schon die Befestigung der Eindrücke durch die Erinnerung helfen. Wer etwas
auf Stetigkeit und Zusammenhang in seinem Leben hält, der wird wenigstens
einige seiner Reiseeindrücke gern im Bilde festhalten. Der Berufstätigkeit und
Industrie ist auch hier wieder noch ein weites Feld geöffnet. Künstlerische
Wiedergaben von Landschaften zu mäßigen Preisen sind noch viel zu selten.
Noch besser ist auch hier ein aktives Verhältnis; über die Photographie erhebt
sich daher die Fixierung einer landschaftlichen Szenerie durch den eigenen Bleistift,
mag sie auch laienhaft ausfallen. Ebenso wichtig ist die Wiederholung ver¬
wandter Eindrücke an Stelle planloser Abwechslung in dem Reiseziel, die
Bevorzugung eines bestimmten Typus in der Landschaft. Es ist hier ähnlich wie
mit der Kunst, in der uns auch erst die wiederholte Beschäftigung mit demselben


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[0508] Schaffen und Genießen wir uns im Verkehr mit der Natur befinden. In die Natur flüchten wir uns aus der Überfeinerung der städtischen Kultur, aus ihrem Übermaß von Reizen. Natur ist in diesem Sinne das Gegenteil der Großstadt. Wer wirklich ihre Seele erfassen will, der muß sich alles, was ihn an den großstädtischen Kultur¬ apparat erinnert, nach Möglichkeit vom Leibe halten. Dahin gehören die luxuriösen Toiletten, die Diners und gesellschaftlichen Veranstaltungen, sowie der ganze elegante Apparat der Hotelpaläste. Gerade diese Prunkhotels, die ohnehin oft die Landschaft verschandeln, bilden ein bösartiges Beispiel für die verderb¬ lichen Wirkungen, die unsere Jndustrietätigkeit auszuüben vermag, wo sie an niedere Instinkte wie die Prunksucht und das Absonderungsbedürfnis der Reichen appelliert. Wie viel besser paßt zu der Szenerie der grünen Wälder und Berge der schlichte Lodenanzug als die glänzende Gesellschaftstoilette. Man ist stolz darauf, im Hotel mit dem Blick auf die Berge speisen zu können; aber man fühlt nicht, welche Barbarei dann liegt, den ganzen Prunk der städtischen Toiletten der schlichten und stillen Größe dieser Natur gegenüberzustellen. Sicherlich gibt es viele'Menschen, die gerade bei ihrer Erholung diesen städtischen Apparat nicht missen mögen, aber ebenso sicher gibt es eine stille Gemeinde, die von diesen Dingen angewidert nach einer stillen Versenkung in die Größe der Natur verlangt; und bei der Zunahme des guten Geschmacks und des künstlerischen Geistes in unseren Tagen dürfen wir hoffen, daß sie im Wachsen ist. Freilich stehen mächtige Zeitströmungen ihr feindlich gegenüber; ebenso deswegen verlangt sie nach einer Organisation, nach besonderen Schöpfungen und Einrichtungen in ihrem Sinne; es müßten Landschaften dem modernen Verkehrsapparate entzogen werden in einem ähnlichen Sinne etwa, wie man bei uns Naturparke zu schaffen begonnen bat. Und wir bedürfen einer Hotel¬ reform, einer neuen Art Hotels, die Einfachheit mit Gediegenheit verbinden, uns völligen Lärmschutz und behagliche und geschmackvolle Einrichtungen gewähren, und die uns so die Illusion eines Heimes ermöglichen. Wir erstreben aber noch ein dauernderes und tieferes Verhältnis zur Natur als das bloße zeitweilige Zusammenleben mit ihr. Wir wollen uns in einem Stück Natur wirklich heimisch machen, in ihm wirklich einwurzeln. Dazu kann schon die Befestigung der Eindrücke durch die Erinnerung helfen. Wer etwas auf Stetigkeit und Zusammenhang in seinem Leben hält, der wird wenigstens einige seiner Reiseeindrücke gern im Bilde festhalten. Der Berufstätigkeit und Industrie ist auch hier wieder noch ein weites Feld geöffnet. Künstlerische Wiedergaben von Landschaften zu mäßigen Preisen sind noch viel zu selten. Noch besser ist auch hier ein aktives Verhältnis; über die Photographie erhebt sich daher die Fixierung einer landschaftlichen Szenerie durch den eigenen Bleistift, mag sie auch laienhaft ausfallen. Ebenso wichtig ist die Wiederholung ver¬ wandter Eindrücke an Stelle planloser Abwechslung in dem Reiseziel, die Bevorzugung eines bestimmten Typus in der Landschaft. Es ist hier ähnlich wie mit der Kunst, in der uns auch erst die wiederholte Beschäftigung mit demselben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/508>, abgerufen am 02.10.2024.