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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Bank und Geld

Der Geldmarkt -- Diskonterhöhung in England -- Die Lage im Inlands -- Die
spekulative Bewegung an der Börse -- Die Gefahren der spekulativen Übertreibung
-- Börsenspekulation und Banken -- Der Verlauf der gegenwärtigen Kursbewegung

Früher als sonst in regulären Zeiten hat die Herbstbewegung auf dem
Geldmarkt eingesetzt. Die Bank von England hat den Anfang gemacht und
ihren Zinsfuß auf 4 Prozent erhöht, einen vollen Monat früher, als sie sonst zu
der üblichen Herbstverteurung des Zinssatzes zu schreiten pflegt. Denn wenn man
vom Jahre 1907, jenem Hochkonjunkturjahr unseligen Angedenkens, absieht, hat immer
erst der September oder der Oktober ein Wiederanziehen der Zinssätze nach der
sommerlichen Abspannung gezeitigt. Im Jahre 1908, dem Jahre der Depression,
ist dieses Anziehen vermehrten Geldbedarfs sogar ganz ausgeblieben. Damals
konnte die Bank ihren Zinsfuß während des ganzen Herbstes auf den minimalen
Stand von 2Vs Prozent belassen und sah sich erst bei Beginn des neuen Jahres --einem
gleichfalls ungewöhnlichen Termin -- veranlaßt, zu einer Erhöhung zu schreiten.
Dieser Vergleich zeigt deutlich, wie sich die Verhältnisse des Geldmarktes im Laufe
dieser vier Jahre verschoben haben. Die internationale Hochkonjunktur fängt an.
sich auf dem Geldmarkte energisch fühlbar zu machen. Die Diskonterhöhung der
Bank von England war schon mit Sicherheit seit einiger Zeit vorauszusehen. Der
Privatdiskont war über die Bankrate hinaus gestiegen und der Wechselbestand der
Bank infolgedessen derart angeschwollen, daß er sich um etwa zehn Millionen
Pfund höher stellte als im Vorjahre. Zugleich machten bedeutende Goldausgänge
für brasilianische Rechnung und ein deutscher Goldbezug von zehn Millionen Mark
ein Anziehen der Diskontschraube erforderlich, um einer Fortsetzung des Abflusses
zu begegnen. Die Maßnahme ließ sich auch schon deshalb nicht länger aufschieben,
weil Amerika von Tag zu Tag mehr als Geldnehmer auftritt. Die Erntebewegung
hat dort begonnen und beansprucht zur Finanzierung erhebliche Kapitalien. Diese
bereit zu stellen wird dem New Jorker Markt um so schwerer, als das Wirt¬
schaftsleben einen fortschreitenden Aufschwung zeigt und große Mittel absorbiert.
Daher lassen die Bankausweise eine zunehmende Schwächung erkennen und es
kann mit Sicherheit darauf gerechnet werden, daß der Geldbedarf der New Aorker
Börse binnen kurzem einen außerordentlichen Umfang annehmen wird. Einstweilen
ist nun erfreulicherweise noch keine unmittelbare Rückwirkung der internationalen
Versteifung auf den Geldmark im Inlands zu verspüren. Der Status der




Reichsspiegel
Bank und Geld

Der Geldmarkt — Diskonterhöhung in England — Die Lage im Inlands — Die
spekulative Bewegung an der Börse — Die Gefahren der spekulativen Übertreibung
— Börsenspekulation und Banken — Der Verlauf der gegenwärtigen Kursbewegung

Früher als sonst in regulären Zeiten hat die Herbstbewegung auf dem
Geldmarkt eingesetzt. Die Bank von England hat den Anfang gemacht und
ihren Zinsfuß auf 4 Prozent erhöht, einen vollen Monat früher, als sie sonst zu
der üblichen Herbstverteurung des Zinssatzes zu schreiten pflegt. Denn wenn man
vom Jahre 1907, jenem Hochkonjunkturjahr unseligen Angedenkens, absieht, hat immer
erst der September oder der Oktober ein Wiederanziehen der Zinssätze nach der
sommerlichen Abspannung gezeitigt. Im Jahre 1908, dem Jahre der Depression,
ist dieses Anziehen vermehrten Geldbedarfs sogar ganz ausgeblieben. Damals
konnte die Bank ihren Zinsfuß während des ganzen Herbstes auf den minimalen
Stand von 2Vs Prozent belassen und sah sich erst bei Beginn des neuen Jahres —einem
gleichfalls ungewöhnlichen Termin — veranlaßt, zu einer Erhöhung zu schreiten.
Dieser Vergleich zeigt deutlich, wie sich die Verhältnisse des Geldmarktes im Laufe
dieser vier Jahre verschoben haben. Die internationale Hochkonjunktur fängt an.
sich auf dem Geldmarkte energisch fühlbar zu machen. Die Diskonterhöhung der
Bank von England war schon mit Sicherheit seit einiger Zeit vorauszusehen. Der
Privatdiskont war über die Bankrate hinaus gestiegen und der Wechselbestand der
Bank infolgedessen derart angeschwollen, daß er sich um etwa zehn Millionen
Pfund höher stellte als im Vorjahre. Zugleich machten bedeutende Goldausgänge
für brasilianische Rechnung und ein deutscher Goldbezug von zehn Millionen Mark
ein Anziehen der Diskontschraube erforderlich, um einer Fortsetzung des Abflusses
zu begegnen. Die Maßnahme ließ sich auch schon deshalb nicht länger aufschieben,
weil Amerika von Tag zu Tag mehr als Geldnehmer auftritt. Die Erntebewegung
hat dort begonnen und beansprucht zur Finanzierung erhebliche Kapitalien. Diese
bereit zu stellen wird dem New Jorker Markt um so schwerer, als das Wirt¬
schaftsleben einen fortschreitenden Aufschwung zeigt und große Mittel absorbiert.
Daher lassen die Bankausweise eine zunehmende Schwächung erkennen und es
kann mit Sicherheit darauf gerechnet werden, daß der Geldbedarf der New Aorker
Börse binnen kurzem einen außerordentlichen Umfang annehmen wird. Einstweilen
ist nun erfreulicherweise noch keine unmittelbare Rückwirkung der internationalen
Versteifung auf den Geldmark im Inlands zu verspüren. Der Status der


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[0492] [Abbildung] Reichsspiegel Bank und Geld Der Geldmarkt — Diskonterhöhung in England — Die Lage im Inlands — Die spekulative Bewegung an der Börse — Die Gefahren der spekulativen Übertreibung — Börsenspekulation und Banken — Der Verlauf der gegenwärtigen Kursbewegung Früher als sonst in regulären Zeiten hat die Herbstbewegung auf dem Geldmarkt eingesetzt. Die Bank von England hat den Anfang gemacht und ihren Zinsfuß auf 4 Prozent erhöht, einen vollen Monat früher, als sie sonst zu der üblichen Herbstverteurung des Zinssatzes zu schreiten pflegt. Denn wenn man vom Jahre 1907, jenem Hochkonjunkturjahr unseligen Angedenkens, absieht, hat immer erst der September oder der Oktober ein Wiederanziehen der Zinssätze nach der sommerlichen Abspannung gezeitigt. Im Jahre 1908, dem Jahre der Depression, ist dieses Anziehen vermehrten Geldbedarfs sogar ganz ausgeblieben. Damals konnte die Bank ihren Zinsfuß während des ganzen Herbstes auf den minimalen Stand von 2Vs Prozent belassen und sah sich erst bei Beginn des neuen Jahres —einem gleichfalls ungewöhnlichen Termin — veranlaßt, zu einer Erhöhung zu schreiten. Dieser Vergleich zeigt deutlich, wie sich die Verhältnisse des Geldmarktes im Laufe dieser vier Jahre verschoben haben. Die internationale Hochkonjunktur fängt an. sich auf dem Geldmarkte energisch fühlbar zu machen. Die Diskonterhöhung der Bank von England war schon mit Sicherheit seit einiger Zeit vorauszusehen. Der Privatdiskont war über die Bankrate hinaus gestiegen und der Wechselbestand der Bank infolgedessen derart angeschwollen, daß er sich um etwa zehn Millionen Pfund höher stellte als im Vorjahre. Zugleich machten bedeutende Goldausgänge für brasilianische Rechnung und ein deutscher Goldbezug von zehn Millionen Mark ein Anziehen der Diskontschraube erforderlich, um einer Fortsetzung des Abflusses zu begegnen. Die Maßnahme ließ sich auch schon deshalb nicht länger aufschieben, weil Amerika von Tag zu Tag mehr als Geldnehmer auftritt. Die Erntebewegung hat dort begonnen und beansprucht zur Finanzierung erhebliche Kapitalien. Diese bereit zu stellen wird dem New Jorker Markt um so schwerer, als das Wirt¬ schaftsleben einen fortschreitenden Aufschwung zeigt und große Mittel absorbiert. Daher lassen die Bankausweise eine zunehmende Schwächung erkennen und es kann mit Sicherheit darauf gerechnet werden, daß der Geldbedarf der New Aorker Börse binnen kurzem einen außerordentlichen Umfang annehmen wird. Einstweilen ist nun erfreulicherweise noch keine unmittelbare Rückwirkung der internationalen Versteifung auf den Geldmark im Inlands zu verspüren. Der Status der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/492>, abgerufen am 03.07.2024.