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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Karl Scilzcr

Der Bursche läuft den Acker hinunter, zieht seinen Rock an und gibt dabei
der Tagelöhnerin Nachricht von dem, was der Hummel erzählt hat. Die sagt
dabei ununterbrochen:

"Jeßmajajosepp, was ein Unglück! Jeßmajajosepp, was ein Unglück!"

"Ich will euch was sagen, Märzen: macht jetzert auch Mittag und geht
heim. Ihr könnt ja am Nachmittag wieder rausgeben, vielleicht hat sich euer
Narr bis dahin wieder anders besonnen und geht mit euch die Gummern fertig
brechen! 's sind ja nur noch ein paar Zeilen!"

"Ich glaub ehnder, daß ich meine Schlag krieg, wenn ich zu ihm sag. daß
er mir wieder helfen soll!"

"Na, dann geht allein heraus, Märzen. Ich weiß jetzert doch net, wie ich
heut Mittag abkommen kann daheim. Mit der Sophie ist ja rein garnix anzufangen,
das seh ich aweil schon. Wenn ihr fertig seid, könnt ihr kommen, dann spann
ich ein und hol die Gummern. Na also: Guten zum Mittagessen!"

Er packt seiner Schwester Kleider, die sie vor der Arbeit abgelegt hat,
zusammen und geht wieder den Acker hinauf.

Oben angelangt, muß er der Sophie beim Ankleiden behilflich sein; sie ist
wie lahm. Als sie zum Gehen bereit ist, legt Karl ihren Arm in den seinen und
zieht sie mit:

"Allo, marsch jetzert, Sophie, der Vater wartet vielleicht mit Schmerzen
auf uns!"

Sophie gibt ihm keine Antwort. Die Tränen rinnen ihr unaufhörlich über
die bleichen Wangen.

Je näher sie aus dem entfernten Feldstrich zum Dorfe kommen, um so
belebter werden die Wege. Es ist Mittagszeit und die meisten kehren heim.
Manche wissen bereits von dem Selbstmord des Schmiedes, und diese haben für
die beiden Geschwister je nach Gemütslage einen verächtlichen oder einen mit¬
leidigen Blick. Wer noch nichts weiß und das Mädchen weinen sieht, fragt
wohl auch:

"Na, Maat, warum greinscht dann? Is dir was Kassiert?"

An ihrer Stelle muß stets Karl antworten, denn Sophie redet nicht ein Wort
und trocknet nur hin und wieder mit dem Kopftuchzipfel ihre Tränen ab. Wenn
Karl den Fragern Auskunft über die Ursache zu seiner. Schwester Kummer gegeben
hat, dann schütteln sie die Köpfe und sagen:

"Jeßmajajosepp, was en Unglück! Awwer grein nor net so, Sophie,
sunscht werschte jo krank!"

Als die Geschwister zum Dorfe hineinkommen, sehen sie überall an den
Gassenecken und vor den Toren erregt zu einander sprechende Gruppen stehen.
Hemdärmelige Bauern, die Hände in den Hosentaschen, junge Weiber und alte.
Diese mit lautem Gekreische und lebhaften Gebärden. Die Arme und Hände
fuchteln in der Luft herum. Barfüßige Kinder schleichen um die Gruppen der
Alten, um womöglich einige Neuigkeiten zu erlauschen. Bisweilen scheuchen die
Erwachsenen sie fort.

Sowie man die Geschwister bemerkt, wendet man sich ihnen zu und schaut
ihnen nach. Hin und wieder hört man auch Rufe wie:

"Des sin mer die rechte!" Oder: "Do is de Hochmut aach vorm Fall kumme!"


Karl Scilzcr

Der Bursche läuft den Acker hinunter, zieht seinen Rock an und gibt dabei
der Tagelöhnerin Nachricht von dem, was der Hummel erzählt hat. Die sagt
dabei ununterbrochen:

„Jeßmajajosepp, was ein Unglück! Jeßmajajosepp, was ein Unglück!"

„Ich will euch was sagen, Märzen: macht jetzert auch Mittag und geht
heim. Ihr könnt ja am Nachmittag wieder rausgeben, vielleicht hat sich euer
Narr bis dahin wieder anders besonnen und geht mit euch die Gummern fertig
brechen! 's sind ja nur noch ein paar Zeilen!"

„Ich glaub ehnder, daß ich meine Schlag krieg, wenn ich zu ihm sag. daß
er mir wieder helfen soll!"

„Na, dann geht allein heraus, Märzen. Ich weiß jetzert doch net, wie ich
heut Mittag abkommen kann daheim. Mit der Sophie ist ja rein garnix anzufangen,
das seh ich aweil schon. Wenn ihr fertig seid, könnt ihr kommen, dann spann
ich ein und hol die Gummern. Na also: Guten zum Mittagessen!"

Er packt seiner Schwester Kleider, die sie vor der Arbeit abgelegt hat,
zusammen und geht wieder den Acker hinauf.

Oben angelangt, muß er der Sophie beim Ankleiden behilflich sein; sie ist
wie lahm. Als sie zum Gehen bereit ist, legt Karl ihren Arm in den seinen und
zieht sie mit:

„Allo, marsch jetzert, Sophie, der Vater wartet vielleicht mit Schmerzen
auf uns!"

Sophie gibt ihm keine Antwort. Die Tränen rinnen ihr unaufhörlich über
die bleichen Wangen.

Je näher sie aus dem entfernten Feldstrich zum Dorfe kommen, um so
belebter werden die Wege. Es ist Mittagszeit und die meisten kehren heim.
Manche wissen bereits von dem Selbstmord des Schmiedes, und diese haben für
die beiden Geschwister je nach Gemütslage einen verächtlichen oder einen mit¬
leidigen Blick. Wer noch nichts weiß und das Mädchen weinen sieht, fragt
wohl auch:

„Na, Maat, warum greinscht dann? Is dir was Kassiert?"

An ihrer Stelle muß stets Karl antworten, denn Sophie redet nicht ein Wort
und trocknet nur hin und wieder mit dem Kopftuchzipfel ihre Tränen ab. Wenn
Karl den Fragern Auskunft über die Ursache zu seiner. Schwester Kummer gegeben
hat, dann schütteln sie die Köpfe und sagen:

„Jeßmajajosepp, was en Unglück! Awwer grein nor net so, Sophie,
sunscht werschte jo krank!"

Als die Geschwister zum Dorfe hineinkommen, sehen sie überall an den
Gassenecken und vor den Toren erregt zu einander sprechende Gruppen stehen.
Hemdärmelige Bauern, die Hände in den Hosentaschen, junge Weiber und alte.
Diese mit lautem Gekreische und lebhaften Gebärden. Die Arme und Hände
fuchteln in der Luft herum. Barfüßige Kinder schleichen um die Gruppen der
Alten, um womöglich einige Neuigkeiten zu erlauschen. Bisweilen scheuchen die
Erwachsenen sie fort.

Sowie man die Geschwister bemerkt, wendet man sich ihnen zu und schaut
ihnen nach. Hin und wieder hört man auch Rufe wie:

„Des sin mer die rechte!" Oder: „Do is de Hochmut aach vorm Fall kumme!"


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[0477] Karl Scilzcr Der Bursche läuft den Acker hinunter, zieht seinen Rock an und gibt dabei der Tagelöhnerin Nachricht von dem, was der Hummel erzählt hat. Die sagt dabei ununterbrochen: „Jeßmajajosepp, was ein Unglück! Jeßmajajosepp, was ein Unglück!" „Ich will euch was sagen, Märzen: macht jetzert auch Mittag und geht heim. Ihr könnt ja am Nachmittag wieder rausgeben, vielleicht hat sich euer Narr bis dahin wieder anders besonnen und geht mit euch die Gummern fertig brechen! 's sind ja nur noch ein paar Zeilen!" „Ich glaub ehnder, daß ich meine Schlag krieg, wenn ich zu ihm sag. daß er mir wieder helfen soll!" „Na, dann geht allein heraus, Märzen. Ich weiß jetzert doch net, wie ich heut Mittag abkommen kann daheim. Mit der Sophie ist ja rein garnix anzufangen, das seh ich aweil schon. Wenn ihr fertig seid, könnt ihr kommen, dann spann ich ein und hol die Gummern. Na also: Guten zum Mittagessen!" Er packt seiner Schwester Kleider, die sie vor der Arbeit abgelegt hat, zusammen und geht wieder den Acker hinauf. Oben angelangt, muß er der Sophie beim Ankleiden behilflich sein; sie ist wie lahm. Als sie zum Gehen bereit ist, legt Karl ihren Arm in den seinen und zieht sie mit: „Allo, marsch jetzert, Sophie, der Vater wartet vielleicht mit Schmerzen auf uns!" Sophie gibt ihm keine Antwort. Die Tränen rinnen ihr unaufhörlich über die bleichen Wangen. Je näher sie aus dem entfernten Feldstrich zum Dorfe kommen, um so belebter werden die Wege. Es ist Mittagszeit und die meisten kehren heim. Manche wissen bereits von dem Selbstmord des Schmiedes, und diese haben für die beiden Geschwister je nach Gemütslage einen verächtlichen oder einen mit¬ leidigen Blick. Wer noch nichts weiß und das Mädchen weinen sieht, fragt wohl auch: „Na, Maat, warum greinscht dann? Is dir was Kassiert?" An ihrer Stelle muß stets Karl antworten, denn Sophie redet nicht ein Wort und trocknet nur hin und wieder mit dem Kopftuchzipfel ihre Tränen ab. Wenn Karl den Fragern Auskunft über die Ursache zu seiner. Schwester Kummer gegeben hat, dann schütteln sie die Köpfe und sagen: „Jeßmajajosepp, was en Unglück! Awwer grein nor net so, Sophie, sunscht werschte jo krank!" Als die Geschwister zum Dorfe hineinkommen, sehen sie überall an den Gassenecken und vor den Toren erregt zu einander sprechende Gruppen stehen. Hemdärmelige Bauern, die Hände in den Hosentaschen, junge Weiber und alte. Diese mit lautem Gekreische und lebhaften Gebärden. Die Arme und Hände fuchteln in der Luft herum. Barfüßige Kinder schleichen um die Gruppen der Alten, um womöglich einige Neuigkeiten zu erlauschen. Bisweilen scheuchen die Erwachsenen sie fort. Sowie man die Geschwister bemerkt, wendet man sich ihnen zu und schaut ihnen nach. Hin und wieder hört man auch Rufe wie: „Des sin mer die rechte!" Oder: „Do is de Hochmut aach vorm Fall kumme!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/477>, abgerufen am 03.07.2024.