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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Aarl Salzer

"Raa, liewer Bu," antwortet der Gefragte, "das grad net! Ich wollt dir
aus mir was so.'!"

Die Bäuerin, deren Gesicht fast ganz in ein weiß und blau getüpfeltes
Kopftuch versteckt ist, stupst ihrem Manne mit dem Ellenbogen in die Seite und
sagt das eine Wort:

"Maddhees (Mathias)!"

Der Bauer setzt den Strohhut ab und kratzt sich auf dem Kopfe.

Nun wird der junge Bursche ungeduldig:

"Dunnerkeil, Vetter Hummel, nix für ungut, habt ihr denn euer Maul daheim
in der Schublad liegen lassen?"

Wieder stupst die Bäuerin ihrem Alten in die Seite und ruft:

"Maddhees, höche!"

Karl wettert los:

"Bas Hummeisen, jetzert laßt doch den Vetter Hummel mal zu Wort kommen.
Ist unser Haus abgebrannt, oder was ist los?"

Und die Bäuerin, die absolut nicht haben will, daß der Bauer zu den Kindern
von der traurigen Begebenheit spreche, sagt mit drängender Stimme:

"Maddhees, fahr fort, sunscht tried der Gaul en Sunnenstich!"

Der Bauer aber, der sich die ganze Zeit über besonnen hat, wie er den
beiden die schaurige Nachricht möglichst schonend beibringen solle, spuckt kräftig
aus und schreit mit grober Stimme, als ob er mit einem Streit habe:
'

"Dunnerkeil noch mein un kaa End! Ihr zwaa, macht, daß ihr haam-
kummt, eier Vatter Hot our crea Gaul den Bruschtkaschte halb eingeschmisse krietI"

Als Sophie das hört, tut sie einen gellenden Schrei und fällt wimmernd
zur Erde. Das Pferd, das mit niederhängendem Kopfe dagestanden hat, bäumt
hoch auf, so daß die Schere zu zerbrechen droht. Der Bauer zerrt das Leitseil
mit mächtigem Ruck zurück und schlägt dem Tiere den knallenden Peitschenriemen
in die Weichen. Die Pferdehufe praddeln auf den harttrockenen, klingenden Feld¬
weg nieder und dann rast der Wagen im Galopp davon. Der Angstschrei der
Bäuerin und das Fluchen des Bauern werden von dem Geratter und Gepolter
des Wagens verschlungen.

Karl, der beim scheuen des Gaules rasch vom Wagen zurückgetreten ist,
bückt sich zu seiner Schwester nieder, die immer noch ganz fassunglos wimmernd
am Boden kauert, und sagt mit einschmeichelnder, trauriger Stimme:

"Kumm, Sophiechen, steh auf', wir gehen heim, 's ist vielleicht garnet so
schlimm. Du weißt ja: so ein Bauer kann einem ja nichts auf anständige Art
und Weis' sagen, 's ging uns aber auch net besser. Steh auf, Sophie, daß wir
heimgehen!"

Eine herzzerreißende Angst ist in ihrem Gesichte. Um den Mund zucken
kleine Schmerzfältchen; über die bleichen Wangen rollen Tränen. Karl fühlt, daß
er angesichts solcher Niedergeschlagenheit den Kopf hochhalten müsse, und tröstet:

"Man darf net gleich ans Schlimmste denken, Sophie. Da hat gewiß ein
Gaul beim Beschlagen ein bißchen ausgetreten und den Vater ein bißchen getroffen.
Wirst sehen, 's ist net anders!"

Sophie schüttelt nur den Kopf.


Aarl Salzer

„Raa, liewer Bu," antwortet der Gefragte, „das grad net! Ich wollt dir
aus mir was so.'!"

Die Bäuerin, deren Gesicht fast ganz in ein weiß und blau getüpfeltes
Kopftuch versteckt ist, stupst ihrem Manne mit dem Ellenbogen in die Seite und
sagt das eine Wort:

„Maddhees (Mathias)!"

Der Bauer setzt den Strohhut ab und kratzt sich auf dem Kopfe.

Nun wird der junge Bursche ungeduldig:

„Dunnerkeil, Vetter Hummel, nix für ungut, habt ihr denn euer Maul daheim
in der Schublad liegen lassen?"

Wieder stupst die Bäuerin ihrem Alten in die Seite und ruft:

„Maddhees, höche!"

Karl wettert los:

„Bas Hummeisen, jetzert laßt doch den Vetter Hummel mal zu Wort kommen.
Ist unser Haus abgebrannt, oder was ist los?"

Und die Bäuerin, die absolut nicht haben will, daß der Bauer zu den Kindern
von der traurigen Begebenheit spreche, sagt mit drängender Stimme:

„Maddhees, fahr fort, sunscht tried der Gaul en Sunnenstich!"

Der Bauer aber, der sich die ganze Zeit über besonnen hat, wie er den
beiden die schaurige Nachricht möglichst schonend beibringen solle, spuckt kräftig
aus und schreit mit grober Stimme, als ob er mit einem Streit habe:
'

„Dunnerkeil noch mein un kaa End! Ihr zwaa, macht, daß ihr haam-
kummt, eier Vatter Hot our crea Gaul den Bruschtkaschte halb eingeschmisse krietI"

Als Sophie das hört, tut sie einen gellenden Schrei und fällt wimmernd
zur Erde. Das Pferd, das mit niederhängendem Kopfe dagestanden hat, bäumt
hoch auf, so daß die Schere zu zerbrechen droht. Der Bauer zerrt das Leitseil
mit mächtigem Ruck zurück und schlägt dem Tiere den knallenden Peitschenriemen
in die Weichen. Die Pferdehufe praddeln auf den harttrockenen, klingenden Feld¬
weg nieder und dann rast der Wagen im Galopp davon. Der Angstschrei der
Bäuerin und das Fluchen des Bauern werden von dem Geratter und Gepolter
des Wagens verschlungen.

Karl, der beim scheuen des Gaules rasch vom Wagen zurückgetreten ist,
bückt sich zu seiner Schwester nieder, die immer noch ganz fassunglos wimmernd
am Boden kauert, und sagt mit einschmeichelnder, trauriger Stimme:

„Kumm, Sophiechen, steh auf', wir gehen heim, 's ist vielleicht garnet so
schlimm. Du weißt ja: so ein Bauer kann einem ja nichts auf anständige Art
und Weis' sagen, 's ging uns aber auch net besser. Steh auf, Sophie, daß wir
heimgehen!"

Eine herzzerreißende Angst ist in ihrem Gesichte. Um den Mund zucken
kleine Schmerzfältchen; über die bleichen Wangen rollen Tränen. Karl fühlt, daß
er angesichts solcher Niedergeschlagenheit den Kopf hochhalten müsse, und tröstet:

„Man darf net gleich ans Schlimmste denken, Sophie. Da hat gewiß ein
Gaul beim Beschlagen ein bißchen ausgetreten und den Vater ein bißchen getroffen.
Wirst sehen, 's ist net anders!"

Sophie schüttelt nur den Kopf.


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[0476] Aarl Salzer „Raa, liewer Bu," antwortet der Gefragte, „das grad net! Ich wollt dir aus mir was so.'!" Die Bäuerin, deren Gesicht fast ganz in ein weiß und blau getüpfeltes Kopftuch versteckt ist, stupst ihrem Manne mit dem Ellenbogen in die Seite und sagt das eine Wort: „Maddhees (Mathias)!" Der Bauer setzt den Strohhut ab und kratzt sich auf dem Kopfe. Nun wird der junge Bursche ungeduldig: „Dunnerkeil, Vetter Hummel, nix für ungut, habt ihr denn euer Maul daheim in der Schublad liegen lassen?" Wieder stupst die Bäuerin ihrem Alten in die Seite und ruft: „Maddhees, höche!" Karl wettert los: „Bas Hummeisen, jetzert laßt doch den Vetter Hummel mal zu Wort kommen. Ist unser Haus abgebrannt, oder was ist los?" Und die Bäuerin, die absolut nicht haben will, daß der Bauer zu den Kindern von der traurigen Begebenheit spreche, sagt mit drängender Stimme: „Maddhees, fahr fort, sunscht tried der Gaul en Sunnenstich!" Der Bauer aber, der sich die ganze Zeit über besonnen hat, wie er den beiden die schaurige Nachricht möglichst schonend beibringen solle, spuckt kräftig aus und schreit mit grober Stimme, als ob er mit einem Streit habe: ' „Dunnerkeil noch mein un kaa End! Ihr zwaa, macht, daß ihr haam- kummt, eier Vatter Hot our crea Gaul den Bruschtkaschte halb eingeschmisse krietI" Als Sophie das hört, tut sie einen gellenden Schrei und fällt wimmernd zur Erde. Das Pferd, das mit niederhängendem Kopfe dagestanden hat, bäumt hoch auf, so daß die Schere zu zerbrechen droht. Der Bauer zerrt das Leitseil mit mächtigem Ruck zurück und schlägt dem Tiere den knallenden Peitschenriemen in die Weichen. Die Pferdehufe praddeln auf den harttrockenen, klingenden Feld¬ weg nieder und dann rast der Wagen im Galopp davon. Der Angstschrei der Bäuerin und das Fluchen des Bauern werden von dem Geratter und Gepolter des Wagens verschlungen. Karl, der beim scheuen des Gaules rasch vom Wagen zurückgetreten ist, bückt sich zu seiner Schwester nieder, die immer noch ganz fassunglos wimmernd am Boden kauert, und sagt mit einschmeichelnder, trauriger Stimme: „Kumm, Sophiechen, steh auf', wir gehen heim, 's ist vielleicht garnet so schlimm. Du weißt ja: so ein Bauer kann einem ja nichts auf anständige Art und Weis' sagen, 's ging uns aber auch net besser. Steh auf, Sophie, daß wir heimgehen!" Eine herzzerreißende Angst ist in ihrem Gesichte. Um den Mund zucken kleine Schmerzfältchen; über die bleichen Wangen rollen Tränen. Karl fühlt, daß er angesichts solcher Niedergeschlagenheit den Kopf hochhalten müsse, und tröstet: „Man darf net gleich ans Schlimmste denken, Sophie. Da hat gewiß ein Gaul beim Beschlagen ein bißchen ausgetreten und den Vater ein bißchen getroffen. Wirst sehen, 's ist net anders!" Sophie schüttelt nur den Kopf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/476>, abgerufen am 22.07.2024.