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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Der Homer der Bauern

die Lippen springt. Dann angelt er es heraus. Und die Bauern erschrecken
nicht wenig, wenn sie ihren Doppelgänger im Spiegel Gotthelfscher Epik sehen.
Sie lachen nicht pfiffig, sie schimpfen ihn einen Spion und sagen auf ihre Weise,
daß er ihr Homer geworden.

Gotthelfs Glorie: er hat mit einer einzigen Gebärde die Bauernromantik
unter den Tisch gefegt. Gebt einem Menschen Hosen aus Zwillich, streift
ihm die Hemdärmel zurück, versengt mit etwas Sonnenglut sein Gesicht, gebt ihm
ein Alphorn in die Hand, einen träumerischen Blick in die Augen, die in den
Kulissenzauber des Firnelichtes sich wenden, einen Kuhreiher in die Kehle --
und ihr habt den Bauern, den Hirten, wie er durch die üblichen Schweizer¬
romane läuft. Diese Schweizer sind ein beliebter Romanartikel. Schon zu
Gotthelfs Zeiten wurde eine Bauerngeschichte von Mosenthal dramatisiert, die
Gottfried Keller drastisch kommentierte: "Es sei, wie wenn man im Gebirge
eine jener zierlich geschnitzten Salatgabeln kaufe und auf dem flachen Lande
daraus einen Theaterdolch drehe." Man will die Schweiz um jeden Preis
romantisch haben und merkt erst bei den Hotelrechnungen das Gegenteil. "Der
Rheinfall bei Schaffhausen," sagt schon ein alter Franzose, "macht in der
poetischen Welt mehr Lärm als an seinem Orte." Die reizende Marquise
Blanchefleure, die R. H. Bartsch auf die Guillotine galant begleitet, vertritt
die Meinung des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, das Leben eines
Schweizers erschöpfe sich im Jodeln und Kuhhirtern. Leider schlürft die Milch
der frommen Denkungsart in diesem Fall entschieden jener Leser, der nie eine
Seite Gotthelfs gelesen hat. Ich will es nicht verschweigen, Theodor Fontane
hätte ein blaues Wunder erlebt, wenn zwischen seinem bernerischen Dienstmädchen
Vrenel (L'Adultera) und der Gotthelfschen Magd Elsi je eine Begegnung
zustande gekommen wäre: die Elsi hätte diese Vrenel einfach nicht verstanden,
weil sie regelrecht schwäbelt. -- Wie sehen denn die Gotthelfschen Bauern aus?
Die Großbauern, die mit ihren Pferden im Stalle protzen, vor einer Ausfahrt
den Roßschweif selber stäuben, mit der Peitsche knallen, zuweilen auch mit den
Talern klimpern, sind eigentliche Aristokraten. Ein stolzes Gefühl schwellt ihre
Brust, wenn sie den Reichtum der eigenen Scholle ermessen, oder bei einer
Hochzeit mit den prächtigen Gäulen fahren. Gibt ein Vater seinem Sohn die
Peitsche in die Hand, so erhebt er ihn zum Mitregenten und Stellvertreter.
Wenn auch der Bauer mit dem Gesinde am selben Tische die Kartoffeln
schält, so ist er innerlich überzeugter als irgend einer von der Hierarchie des
Bauerntums. Mit der List eines Diplomaten regiert er Knechte und Mägde,
ordnet Familienzwiste in den Kammerwänden, und wenn er sonst hinter
dem Weinglas das letzte Wort behält, vor der Überlegenheit einer Bäuerin
duckt und schrumpft er zusammen. Ein Pfarrer seufzt gar schnell über die
Dickschädel seiner Gemeinde. Gotthelf nahm an den seinen Rache, indem er
wahre Kolosse bäuerlichen störrischen Eigensinnes schildert, die nicht einmal durch
die Donnerkeile seiner Kanzelberedsamkeit gerührt werden. Es gehört zu einer


Der Homer der Bauern

die Lippen springt. Dann angelt er es heraus. Und die Bauern erschrecken
nicht wenig, wenn sie ihren Doppelgänger im Spiegel Gotthelfscher Epik sehen.
Sie lachen nicht pfiffig, sie schimpfen ihn einen Spion und sagen auf ihre Weise,
daß er ihr Homer geworden.

Gotthelfs Glorie: er hat mit einer einzigen Gebärde die Bauernromantik
unter den Tisch gefegt. Gebt einem Menschen Hosen aus Zwillich, streift
ihm die Hemdärmel zurück, versengt mit etwas Sonnenglut sein Gesicht, gebt ihm
ein Alphorn in die Hand, einen träumerischen Blick in die Augen, die in den
Kulissenzauber des Firnelichtes sich wenden, einen Kuhreiher in die Kehle —
und ihr habt den Bauern, den Hirten, wie er durch die üblichen Schweizer¬
romane läuft. Diese Schweizer sind ein beliebter Romanartikel. Schon zu
Gotthelfs Zeiten wurde eine Bauerngeschichte von Mosenthal dramatisiert, die
Gottfried Keller drastisch kommentierte: „Es sei, wie wenn man im Gebirge
eine jener zierlich geschnitzten Salatgabeln kaufe und auf dem flachen Lande
daraus einen Theaterdolch drehe." Man will die Schweiz um jeden Preis
romantisch haben und merkt erst bei den Hotelrechnungen das Gegenteil. „Der
Rheinfall bei Schaffhausen," sagt schon ein alter Franzose, „macht in der
poetischen Welt mehr Lärm als an seinem Orte." Die reizende Marquise
Blanchefleure, die R. H. Bartsch auf die Guillotine galant begleitet, vertritt
die Meinung des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, das Leben eines
Schweizers erschöpfe sich im Jodeln und Kuhhirtern. Leider schlürft die Milch
der frommen Denkungsart in diesem Fall entschieden jener Leser, der nie eine
Seite Gotthelfs gelesen hat. Ich will es nicht verschweigen, Theodor Fontane
hätte ein blaues Wunder erlebt, wenn zwischen seinem bernerischen Dienstmädchen
Vrenel (L'Adultera) und der Gotthelfschen Magd Elsi je eine Begegnung
zustande gekommen wäre: die Elsi hätte diese Vrenel einfach nicht verstanden,
weil sie regelrecht schwäbelt. — Wie sehen denn die Gotthelfschen Bauern aus?
Die Großbauern, die mit ihren Pferden im Stalle protzen, vor einer Ausfahrt
den Roßschweif selber stäuben, mit der Peitsche knallen, zuweilen auch mit den
Talern klimpern, sind eigentliche Aristokraten. Ein stolzes Gefühl schwellt ihre
Brust, wenn sie den Reichtum der eigenen Scholle ermessen, oder bei einer
Hochzeit mit den prächtigen Gäulen fahren. Gibt ein Vater seinem Sohn die
Peitsche in die Hand, so erhebt er ihn zum Mitregenten und Stellvertreter.
Wenn auch der Bauer mit dem Gesinde am selben Tische die Kartoffeln
schält, so ist er innerlich überzeugter als irgend einer von der Hierarchie des
Bauerntums. Mit der List eines Diplomaten regiert er Knechte und Mägde,
ordnet Familienzwiste in den Kammerwänden, und wenn er sonst hinter
dem Weinglas das letzte Wort behält, vor der Überlegenheit einer Bäuerin
duckt und schrumpft er zusammen. Ein Pfarrer seufzt gar schnell über die
Dickschädel seiner Gemeinde. Gotthelf nahm an den seinen Rache, indem er
wahre Kolosse bäuerlichen störrischen Eigensinnes schildert, die nicht einmal durch
die Donnerkeile seiner Kanzelberedsamkeit gerührt werden. Es gehört zu einer


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[0047] Der Homer der Bauern die Lippen springt. Dann angelt er es heraus. Und die Bauern erschrecken nicht wenig, wenn sie ihren Doppelgänger im Spiegel Gotthelfscher Epik sehen. Sie lachen nicht pfiffig, sie schimpfen ihn einen Spion und sagen auf ihre Weise, daß er ihr Homer geworden. Gotthelfs Glorie: er hat mit einer einzigen Gebärde die Bauernromantik unter den Tisch gefegt. Gebt einem Menschen Hosen aus Zwillich, streift ihm die Hemdärmel zurück, versengt mit etwas Sonnenglut sein Gesicht, gebt ihm ein Alphorn in die Hand, einen träumerischen Blick in die Augen, die in den Kulissenzauber des Firnelichtes sich wenden, einen Kuhreiher in die Kehle — und ihr habt den Bauern, den Hirten, wie er durch die üblichen Schweizer¬ romane läuft. Diese Schweizer sind ein beliebter Romanartikel. Schon zu Gotthelfs Zeiten wurde eine Bauerngeschichte von Mosenthal dramatisiert, die Gottfried Keller drastisch kommentierte: „Es sei, wie wenn man im Gebirge eine jener zierlich geschnitzten Salatgabeln kaufe und auf dem flachen Lande daraus einen Theaterdolch drehe." Man will die Schweiz um jeden Preis romantisch haben und merkt erst bei den Hotelrechnungen das Gegenteil. „Der Rheinfall bei Schaffhausen," sagt schon ein alter Franzose, „macht in der poetischen Welt mehr Lärm als an seinem Orte." Die reizende Marquise Blanchefleure, die R. H. Bartsch auf die Guillotine galant begleitet, vertritt die Meinung des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, das Leben eines Schweizers erschöpfe sich im Jodeln und Kuhhirtern. Leider schlürft die Milch der frommen Denkungsart in diesem Fall entschieden jener Leser, der nie eine Seite Gotthelfs gelesen hat. Ich will es nicht verschweigen, Theodor Fontane hätte ein blaues Wunder erlebt, wenn zwischen seinem bernerischen Dienstmädchen Vrenel (L'Adultera) und der Gotthelfschen Magd Elsi je eine Begegnung zustande gekommen wäre: die Elsi hätte diese Vrenel einfach nicht verstanden, weil sie regelrecht schwäbelt. — Wie sehen denn die Gotthelfschen Bauern aus? Die Großbauern, die mit ihren Pferden im Stalle protzen, vor einer Ausfahrt den Roßschweif selber stäuben, mit der Peitsche knallen, zuweilen auch mit den Talern klimpern, sind eigentliche Aristokraten. Ein stolzes Gefühl schwellt ihre Brust, wenn sie den Reichtum der eigenen Scholle ermessen, oder bei einer Hochzeit mit den prächtigen Gäulen fahren. Gibt ein Vater seinem Sohn die Peitsche in die Hand, so erhebt er ihn zum Mitregenten und Stellvertreter. Wenn auch der Bauer mit dem Gesinde am selben Tische die Kartoffeln schält, so ist er innerlich überzeugter als irgend einer von der Hierarchie des Bauerntums. Mit der List eines Diplomaten regiert er Knechte und Mägde, ordnet Familienzwiste in den Kammerwänden, und wenn er sonst hinter dem Weinglas das letzte Wort behält, vor der Überlegenheit einer Bäuerin duckt und schrumpft er zusammen. Ein Pfarrer seufzt gar schnell über die Dickschädel seiner Gemeinde. Gotthelf nahm an den seinen Rache, indem er wahre Kolosse bäuerlichen störrischen Eigensinnes schildert, die nicht einmal durch die Donnerkeile seiner Kanzelberedsamkeit gerührt werden. Es gehört zu einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/47>, abgerufen am 01.07.2024.