Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.Schaffen und Genießen der Tendenz, von der hier die Rede ist, zu leiden haben. Wir können den Zweitens leidet unsere Zeit an der Vergötterung der Quantität. Die Schaffen und Genießen der Tendenz, von der hier die Rede ist, zu leiden haben. Wir können den Zweitens leidet unsere Zeit an der Vergötterung der Quantität. Die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322168"/> <fw type="header" place="top"> Schaffen und Genießen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1724" prev="#ID_1723"> der Tendenz, von der hier die Rede ist, zu leiden haben. Wir können den<lb/> Tatbestand auch erläutern an dein Gegensatz zwischen der blasierten und der<lb/> gesunden Mutter: die eine läßt fremde Personen für ihre Kinder sorgen, hält<lb/> sich alle Bemühungen und Sorgen für sie vom Leibe und führt ein gemächliches<lb/> Dasein; die andere, die ganz sür sie lebt, ist oft von Mühen und Anstrengungen<lb/> überlastet. Aber zugleich führt die eine ein inhaltleeres, die andere ein inhalt¬<lb/> reiches Dasein: die eine verkümmert, die andere entfaltet sich. Schon Aristoteles<lb/> hat darauf hingewiesen, daß der Wohltäter seinen Klienten in der Regel mehr<lb/> liebt, als dieser ihn, offenbar deswegen, weil er eben durch seinem Schützling<lb/> gewidmete Mühe mit ihm verknüpft ist. Und so kann man allgemein sagen,<lb/> man liebt die Menschen und die Dinge und verwächst mit ihnen in<lb/> dem Maße, in dem man Arbeit in sie hineingesteckt hat. Menschen<lb/> und Dinge dagegen, die uns lediglich das Dasein bequem machen, werden wohl<lb/> geschätzt und können unentbehrlich werden, aber sie treten zu uns nie in dasselbe<lb/> innere Verhältnis wie diejenigen, an denen wir unsere Kraft geübt oder deren<lb/> Grenze erfahren haben. Wie verwüstend muß also eine Tendenz wirken, die<lb/> diesen Tatsachen des Seelenlebens ins Gesicht schlägt. Für die ganze Art unserer<lb/> Muße muß wieder das variierte Wort Senecas zur Geltung kommen, wie es<lb/> als Inschrift auf einem bekannten Kunsttempel, den Reiz der Musik kennzeichnet:<lb/> res 8evera verum Muäium.</p><lb/> <p xml:id="ID_1725" next="#ID_1726"> Zweitens leidet unsere Zeit an der Vergötterung der Quantität. Die<lb/> Tugend des Maßhaltens kennt das Erwerbsleben nicht, das vielmehr überall nach<lb/> einen: Maximum von Leistung und Profit strebt. Ebenso hat unsere Technik (auch<lb/> diejenige der Kunst) uns an virtuosenhafte Leistungen auf allen Gebieten gewöhnt.<lb/> Das natürliche Sensationsbedürfnis, gesteigert durch die Reklametätigkeit und<lb/> die Jagd nach dem Erfolg, mag solche Virtuosenhaftigkeit nicht mehr missen.<lb/> Diese Art der Bewertung greift nun auch über auf die Gebiete der Muße.<lb/> Der Sinn für Maß und Einfachheit wird zerstört. Insbesondere steht unsere<lb/> Zeit dabei unter der Herrschaft eines falschen Ideals der Vielseitigkeit. Denn<lb/> dieses Ideal geht nicht auf das Innere, sondern auf das Äußere und Äußer¬<lb/> liche. Das Ideal des modernen Menschen ist: über alles Neueste unterrichtet,<lb/> in jedem Sport und jeder Art von Zerstreuungen bewandert zu sein, alles mit¬<lb/> zumachen und alle Künste des Erfolges zu beherrschen. Als unsere Klassiker<lb/> und Romantiker das Ideal der harmonischen Menschlichkeit aufrichteten, meinten<lb/> sie es in einem etwas anderen Sinne: sie dachten an eine gleichmäßige Ent¬<lb/> faltung aller Anlagen, an einen engen inneren Zusammenhang aller Betätigungen<lb/> der menschlichen Seele. Welche Auffassung gesünder ist und mehr in die Tiefe<lb/> geht, kann nicht zweifelhaft sein. In der Tat, der Sinn des Ideals der Viel¬<lb/> seitigkeit kann sür jeden, der noch ein höheres Ziel als den äußeren oft sogar<lb/> nur äußerlichen Erfolg kennt, doch nur der fein, daß es eine Steigerung der<lb/> Kraft, der Leistungsfähigkeit, des Gehaltes der Seele und ihres inneren Reich¬<lb/> tums bedeutet, oder wie sonst man diesen mit Begriffen nicht voll auszuschöpfenden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0421]
Schaffen und Genießen
der Tendenz, von der hier die Rede ist, zu leiden haben. Wir können den
Tatbestand auch erläutern an dein Gegensatz zwischen der blasierten und der
gesunden Mutter: die eine läßt fremde Personen für ihre Kinder sorgen, hält
sich alle Bemühungen und Sorgen für sie vom Leibe und führt ein gemächliches
Dasein; die andere, die ganz sür sie lebt, ist oft von Mühen und Anstrengungen
überlastet. Aber zugleich führt die eine ein inhaltleeres, die andere ein inhalt¬
reiches Dasein: die eine verkümmert, die andere entfaltet sich. Schon Aristoteles
hat darauf hingewiesen, daß der Wohltäter seinen Klienten in der Regel mehr
liebt, als dieser ihn, offenbar deswegen, weil er eben durch seinem Schützling
gewidmete Mühe mit ihm verknüpft ist. Und so kann man allgemein sagen,
man liebt die Menschen und die Dinge und verwächst mit ihnen in
dem Maße, in dem man Arbeit in sie hineingesteckt hat. Menschen
und Dinge dagegen, die uns lediglich das Dasein bequem machen, werden wohl
geschätzt und können unentbehrlich werden, aber sie treten zu uns nie in dasselbe
innere Verhältnis wie diejenigen, an denen wir unsere Kraft geübt oder deren
Grenze erfahren haben. Wie verwüstend muß also eine Tendenz wirken, die
diesen Tatsachen des Seelenlebens ins Gesicht schlägt. Für die ganze Art unserer
Muße muß wieder das variierte Wort Senecas zur Geltung kommen, wie es
als Inschrift auf einem bekannten Kunsttempel, den Reiz der Musik kennzeichnet:
res 8evera verum Muäium.
Zweitens leidet unsere Zeit an der Vergötterung der Quantität. Die
Tugend des Maßhaltens kennt das Erwerbsleben nicht, das vielmehr überall nach
einen: Maximum von Leistung und Profit strebt. Ebenso hat unsere Technik (auch
diejenige der Kunst) uns an virtuosenhafte Leistungen auf allen Gebieten gewöhnt.
Das natürliche Sensationsbedürfnis, gesteigert durch die Reklametätigkeit und
die Jagd nach dem Erfolg, mag solche Virtuosenhaftigkeit nicht mehr missen.
Diese Art der Bewertung greift nun auch über auf die Gebiete der Muße.
Der Sinn für Maß und Einfachheit wird zerstört. Insbesondere steht unsere
Zeit dabei unter der Herrschaft eines falschen Ideals der Vielseitigkeit. Denn
dieses Ideal geht nicht auf das Innere, sondern auf das Äußere und Äußer¬
liche. Das Ideal des modernen Menschen ist: über alles Neueste unterrichtet,
in jedem Sport und jeder Art von Zerstreuungen bewandert zu sein, alles mit¬
zumachen und alle Künste des Erfolges zu beherrschen. Als unsere Klassiker
und Romantiker das Ideal der harmonischen Menschlichkeit aufrichteten, meinten
sie es in einem etwas anderen Sinne: sie dachten an eine gleichmäßige Ent¬
faltung aller Anlagen, an einen engen inneren Zusammenhang aller Betätigungen
der menschlichen Seele. Welche Auffassung gesünder ist und mehr in die Tiefe
geht, kann nicht zweifelhaft sein. In der Tat, der Sinn des Ideals der Viel¬
seitigkeit kann sür jeden, der noch ein höheres Ziel als den äußeren oft sogar
nur äußerlichen Erfolg kennt, doch nur der fein, daß es eine Steigerung der
Kraft, der Leistungsfähigkeit, des Gehaltes der Seele und ihres inneren Reich¬
tums bedeutet, oder wie sonst man diesen mit Begriffen nicht voll auszuschöpfenden
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