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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

einer mit grobem Scherz sagte, der Jelde ihr rechtes Auge, weil sie die Kleider¬
nähte manchmal wieder glätten mußte, an denen die schielende Meisterin schief
vorbei sah. Wem Wieschen zur Seite war, der spürte nichts von ihrem Dasein
als das sanfte treue Mitgehen, so arbeitsam, still und zufrieden war sie; sie
fand sich in das Wesen der Jelde ohne irgendwie klugen Bedacht zu haben,
nur mit ihrem freundlichen Nebenhergehen. Wie es so schien, daß sie es gut
aufeinander zu stehen hatten, lag etwas gleichmäßig Schönes darin, wie sie so
Tag an Tag miteinander ausgingen, morgens hinaus und abends heim und
wohl immer den Weg durch das Dorf nehmend, weil sie selber am Ausende
wohnten. Da war keiner, der sie nicht kannte, nicht auf sie aufgemerkt hätte.

Wieschen konnte sonst um ihr Aussehen nicht viel von sich reden machen.
Sie war neunzehnjährig, schmal aufgeschossen und groß für ein Frauenzimmer,
aber mit einem Gesicht so klein und voll Bescheidenheit, als wolle sie sich damit
um ihre Körperlänge entschuldigen. Das Mutterland Westfalen verschwendet
sich nicht in schönen Menschengesichtern und hatte sich bei dem Waisenkinde, dem
Wieschen, auf keine sonderliche Form besonnen, nicht einmal eine Kraftgestalt
hatte es ihr gegeben. Aber etwas hatte es hineingelegt, das schöner und stärker
als beides war: einen gerade aufgerichteten, treuen Sinn.

Um so ein Mädchen ist es bestellt wie um eine einzelne Blume. Da gehen
hundert am Wege vorbei, und wenn ein Auge nicht eben darauf fällt, oder
einer nicht den Sinn fein und findig hat für Verborgenes, so bleibt sie ungesehen
und es weiß keiner von ihr.




Es war Mai gewesen, und aus Lenzen und Kränzen wuchsen die vollen
reichen Sommerblumen auf. Der Florentin ging in seinem Garten, und es
war keine Blume, die er nicht kommen sah, von den versteckten Mäuseöhrchen
und den brennenden Taglichtnelken im üppigen Unkraut hinten an der Kompost¬
erde, bis zu den gepflegten Geranienbeeten und den hohen, schön gewachsenen
Stammrosen, die mit ihren roten und weißen Blumen das Ja zu aller Voll¬
endung nickten.

Der Florentin hatte das Auge recht auf alles Blühende stehen. Er weilte
bei den weißen Rosen und dachte an Wieschen, schnitt von den roten welche
und meinte alle Liebe in Händen zu halten. Er schenkte dem Mädchen von
diesen letzten, war wortscheu und ließ die Rosen für sich sprechen. Wieschen
pflegte sie mit frischem Wasser und wusch an jedem Tage das Glas aus, in
welchem sie die Blumen hielt. So versprachen sich die beiden jungen Menschen
sinnig und heimlich einander, ohne sich noch mit Worten nah gekommen zu
sein. Es lag den: Florentin das Wort längst als ein Lächeln auf dem Munde,
so oft er an das Mädchen dachte, aber der Tag war noch nicht recht gewesen
zu einer Rede, wie er sie meinte. Einmal war zuviel heiße Sonne, einmal
verregnete sich's -- und im Garten mußte es doch sein, wo kein anderer ging,


Die Blumen des Florentin Uley

einer mit grobem Scherz sagte, der Jelde ihr rechtes Auge, weil sie die Kleider¬
nähte manchmal wieder glätten mußte, an denen die schielende Meisterin schief
vorbei sah. Wem Wieschen zur Seite war, der spürte nichts von ihrem Dasein
als das sanfte treue Mitgehen, so arbeitsam, still und zufrieden war sie; sie
fand sich in das Wesen der Jelde ohne irgendwie klugen Bedacht zu haben,
nur mit ihrem freundlichen Nebenhergehen. Wie es so schien, daß sie es gut
aufeinander zu stehen hatten, lag etwas gleichmäßig Schönes darin, wie sie so
Tag an Tag miteinander ausgingen, morgens hinaus und abends heim und
wohl immer den Weg durch das Dorf nehmend, weil sie selber am Ausende
wohnten. Da war keiner, der sie nicht kannte, nicht auf sie aufgemerkt hätte.

Wieschen konnte sonst um ihr Aussehen nicht viel von sich reden machen.
Sie war neunzehnjährig, schmal aufgeschossen und groß für ein Frauenzimmer,
aber mit einem Gesicht so klein und voll Bescheidenheit, als wolle sie sich damit
um ihre Körperlänge entschuldigen. Das Mutterland Westfalen verschwendet
sich nicht in schönen Menschengesichtern und hatte sich bei dem Waisenkinde, dem
Wieschen, auf keine sonderliche Form besonnen, nicht einmal eine Kraftgestalt
hatte es ihr gegeben. Aber etwas hatte es hineingelegt, das schöner und stärker
als beides war: einen gerade aufgerichteten, treuen Sinn.

Um so ein Mädchen ist es bestellt wie um eine einzelne Blume. Da gehen
hundert am Wege vorbei, und wenn ein Auge nicht eben darauf fällt, oder
einer nicht den Sinn fein und findig hat für Verborgenes, so bleibt sie ungesehen
und es weiß keiner von ihr.




Es war Mai gewesen, und aus Lenzen und Kränzen wuchsen die vollen
reichen Sommerblumen auf. Der Florentin ging in seinem Garten, und es
war keine Blume, die er nicht kommen sah, von den versteckten Mäuseöhrchen
und den brennenden Taglichtnelken im üppigen Unkraut hinten an der Kompost¬
erde, bis zu den gepflegten Geranienbeeten und den hohen, schön gewachsenen
Stammrosen, die mit ihren roten und weißen Blumen das Ja zu aller Voll¬
endung nickten.

Der Florentin hatte das Auge recht auf alles Blühende stehen. Er weilte
bei den weißen Rosen und dachte an Wieschen, schnitt von den roten welche
und meinte alle Liebe in Händen zu halten. Er schenkte dem Mädchen von
diesen letzten, war wortscheu und ließ die Rosen für sich sprechen. Wieschen
pflegte sie mit frischem Wasser und wusch an jedem Tage das Glas aus, in
welchem sie die Blumen hielt. So versprachen sich die beiden jungen Menschen
sinnig und heimlich einander, ohne sich noch mit Worten nah gekommen zu
sein. Es lag den: Florentin das Wort längst als ein Lächeln auf dem Munde,
so oft er an das Mädchen dachte, aber der Tag war noch nicht recht gewesen
zu einer Rede, wie er sie meinte. Einmal war zuviel heiße Sonne, einmal
verregnete sich's — und im Garten mußte es doch sein, wo kein anderer ging,


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[0042] Die Blumen des Florentin Uley einer mit grobem Scherz sagte, der Jelde ihr rechtes Auge, weil sie die Kleider¬ nähte manchmal wieder glätten mußte, an denen die schielende Meisterin schief vorbei sah. Wem Wieschen zur Seite war, der spürte nichts von ihrem Dasein als das sanfte treue Mitgehen, so arbeitsam, still und zufrieden war sie; sie fand sich in das Wesen der Jelde ohne irgendwie klugen Bedacht zu haben, nur mit ihrem freundlichen Nebenhergehen. Wie es so schien, daß sie es gut aufeinander zu stehen hatten, lag etwas gleichmäßig Schönes darin, wie sie so Tag an Tag miteinander ausgingen, morgens hinaus und abends heim und wohl immer den Weg durch das Dorf nehmend, weil sie selber am Ausende wohnten. Da war keiner, der sie nicht kannte, nicht auf sie aufgemerkt hätte. Wieschen konnte sonst um ihr Aussehen nicht viel von sich reden machen. Sie war neunzehnjährig, schmal aufgeschossen und groß für ein Frauenzimmer, aber mit einem Gesicht so klein und voll Bescheidenheit, als wolle sie sich damit um ihre Körperlänge entschuldigen. Das Mutterland Westfalen verschwendet sich nicht in schönen Menschengesichtern und hatte sich bei dem Waisenkinde, dem Wieschen, auf keine sonderliche Form besonnen, nicht einmal eine Kraftgestalt hatte es ihr gegeben. Aber etwas hatte es hineingelegt, das schöner und stärker als beides war: einen gerade aufgerichteten, treuen Sinn. Um so ein Mädchen ist es bestellt wie um eine einzelne Blume. Da gehen hundert am Wege vorbei, und wenn ein Auge nicht eben darauf fällt, oder einer nicht den Sinn fein und findig hat für Verborgenes, so bleibt sie ungesehen und es weiß keiner von ihr. Es war Mai gewesen, und aus Lenzen und Kränzen wuchsen die vollen reichen Sommerblumen auf. Der Florentin ging in seinem Garten, und es war keine Blume, die er nicht kommen sah, von den versteckten Mäuseöhrchen und den brennenden Taglichtnelken im üppigen Unkraut hinten an der Kompost¬ erde, bis zu den gepflegten Geranienbeeten und den hohen, schön gewachsenen Stammrosen, die mit ihren roten und weißen Blumen das Ja zu aller Voll¬ endung nickten. Der Florentin hatte das Auge recht auf alles Blühende stehen. Er weilte bei den weißen Rosen und dachte an Wieschen, schnitt von den roten welche und meinte alle Liebe in Händen zu halten. Er schenkte dem Mädchen von diesen letzten, war wortscheu und ließ die Rosen für sich sprechen. Wieschen pflegte sie mit frischem Wasser und wusch an jedem Tage das Glas aus, in welchem sie die Blumen hielt. So versprachen sich die beiden jungen Menschen sinnig und heimlich einander, ohne sich noch mit Worten nah gekommen zu sein. Es lag den: Florentin das Wort längst als ein Lächeln auf dem Munde, so oft er an das Mädchen dachte, aber der Tag war noch nicht recht gewesen zu einer Rede, wie er sie meinte. Einmal war zuviel heiße Sonne, einmal verregnete sich's — und im Garten mußte es doch sein, wo kein anderer ging,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/42>, abgerufen am 01.07.2024.