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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Kiep

UM die volle Blumenzeit und in einer Stunde, die vom blauen Himmel fiel,
heimlich und heilig, eine- mit einem Gottesgesicht, wie die Liebe zweier reiner
Menschen, eine, die so Kar war, daß sie sich in sich selber erklärte und es nicht
viel eigener Worte gebrauchte.

Als der Tag dann niederging in so einer Stunde, geschah es aber, daß
sein Zögern dem Florentin einen Schleier vor den Augen her gewirkt hatte,
durch den er die volle Klarheit der Stunde nicht erkannte und sich vergaß. Es
war heiß gewesen, und die Sonne hatte Funken über allen Blumen spielen
lassen, die wie kleine, aus dem Feuer frei gewordene Teufel waren, tolle und
tanzende. Sie hatten sich Rosenblätter im Garten des Kiep zugeworfen, wie
kleine Schalen lagen abends diese Blätter über dem tauigen, dunkelgrünen
Rasen, und der Duft stieg aus den Weilenden auf mit einem heimlichen, heißen
Sinnebetäuben. Der Abendstrahl färbte die roten weiß, und die weißen wurden
wie rot unter dem Taue. Da war etwas verzaubert, das Rechte war unrecht
geworden, wo eine Grille zirpte, war's, als liebere ein Teufelchen, der Florentin
war verwirrten Sinnes und kannte sich nicht aus in seinem eigenen Garten.

Draußen hinter den Hecken, den Feldern und dem Dorfe zu, war dagegen
ein kühler, ruhiger Abend. Die Dorfstraße lag staubig hingestreckt wie ein
arbeitsmüder Arm, der Schatten eines Berges, hinter dein die Sonne verfehlen,
lehnte darüber, groß und rund und dunkel, wie der Kopf eines schlafenden
Riesen. Das Dorf zog sich lang hinunter, im südlichen Teile waren die
Häuser noch in der Sonne. Zwischen die einzelnen Höfe traten die Felder
und legten ihre Frucht um jedes Eigentümers Tür. Nach dem heiß gewesenen
Tage ging ein Duft von ihnen aus wie überströmende Kraft. In den ein¬
geengten Wiesen nahe am Straßenbande war Heu geschichtet, wo anders wurde
mit scharfen Schneiden das schnittreife Gras niedergelegt. Von dem höchsten
Bergland herunter kam der Duft der Esparsette. In den meisten Häusern
waren die Türen aufgetan, daß die verbrauchte Tagluft ausgehen und kühlende
Zugluft neue einlassen konnte, und wo noch die offenen Herde waren, flackerte
das helle, wohnliche Abendfeuer.

Wieschen kam zu dieser Stunde mit ihrer Meisterin vom Nähen heim und
sah sich in der Stube zuhause um, soweit ihr das Haus des Kiep heimisch
und eigen war. Sie brachte in ihrem Wesen etwas von der Festlichkeit der
reinen freien Natur von draußen mit herein und ging unter den um den Kopf
gelegten dunkelblonden, glatten Haarflechten wie unter einem Kranz. Es war
einer im Dorf gestorben, sie hatten Trauer genäht und das schwarze Wollzeug
war ihnen in die Hände gefärbt. Wie das Mädchen sich säuberte, fiel sie
reinlich gegen den Halbschmutz der Stube auf; denn die Mutter Johanne, die
das Hauswesen hatte, fegte nicht viel vom Reiserbesen ab. Wieschen schüttelte
die Nühfäden von ihrem gewürfelten Kleide und strich über die Schürze, welche
ihr sackartig vom Halse bis an die Füße reichte und wandte sich eben, um
hinaus zu gehen. Jelde aber, der es am Magen fehlte und die heute ihren


Die Blumen des Florentin Kiep

UM die volle Blumenzeit und in einer Stunde, die vom blauen Himmel fiel,
heimlich und heilig, eine- mit einem Gottesgesicht, wie die Liebe zweier reiner
Menschen, eine, die so Kar war, daß sie sich in sich selber erklärte und es nicht
viel eigener Worte gebrauchte.

Als der Tag dann niederging in so einer Stunde, geschah es aber, daß
sein Zögern dem Florentin einen Schleier vor den Augen her gewirkt hatte,
durch den er die volle Klarheit der Stunde nicht erkannte und sich vergaß. Es
war heiß gewesen, und die Sonne hatte Funken über allen Blumen spielen
lassen, die wie kleine, aus dem Feuer frei gewordene Teufel waren, tolle und
tanzende. Sie hatten sich Rosenblätter im Garten des Kiep zugeworfen, wie
kleine Schalen lagen abends diese Blätter über dem tauigen, dunkelgrünen
Rasen, und der Duft stieg aus den Weilenden auf mit einem heimlichen, heißen
Sinnebetäuben. Der Abendstrahl färbte die roten weiß, und die weißen wurden
wie rot unter dem Taue. Da war etwas verzaubert, das Rechte war unrecht
geworden, wo eine Grille zirpte, war's, als liebere ein Teufelchen, der Florentin
war verwirrten Sinnes und kannte sich nicht aus in seinem eigenen Garten.

Draußen hinter den Hecken, den Feldern und dem Dorfe zu, war dagegen
ein kühler, ruhiger Abend. Die Dorfstraße lag staubig hingestreckt wie ein
arbeitsmüder Arm, der Schatten eines Berges, hinter dein die Sonne verfehlen,
lehnte darüber, groß und rund und dunkel, wie der Kopf eines schlafenden
Riesen. Das Dorf zog sich lang hinunter, im südlichen Teile waren die
Häuser noch in der Sonne. Zwischen die einzelnen Höfe traten die Felder
und legten ihre Frucht um jedes Eigentümers Tür. Nach dem heiß gewesenen
Tage ging ein Duft von ihnen aus wie überströmende Kraft. In den ein¬
geengten Wiesen nahe am Straßenbande war Heu geschichtet, wo anders wurde
mit scharfen Schneiden das schnittreife Gras niedergelegt. Von dem höchsten
Bergland herunter kam der Duft der Esparsette. In den meisten Häusern
waren die Türen aufgetan, daß die verbrauchte Tagluft ausgehen und kühlende
Zugluft neue einlassen konnte, und wo noch die offenen Herde waren, flackerte
das helle, wohnliche Abendfeuer.

Wieschen kam zu dieser Stunde mit ihrer Meisterin vom Nähen heim und
sah sich in der Stube zuhause um, soweit ihr das Haus des Kiep heimisch
und eigen war. Sie brachte in ihrem Wesen etwas von der Festlichkeit der
reinen freien Natur von draußen mit herein und ging unter den um den Kopf
gelegten dunkelblonden, glatten Haarflechten wie unter einem Kranz. Es war
einer im Dorf gestorben, sie hatten Trauer genäht und das schwarze Wollzeug
war ihnen in die Hände gefärbt. Wie das Mädchen sich säuberte, fiel sie
reinlich gegen den Halbschmutz der Stube auf; denn die Mutter Johanne, die
das Hauswesen hatte, fegte nicht viel vom Reiserbesen ab. Wieschen schüttelte
die Nühfäden von ihrem gewürfelten Kleide und strich über die Schürze, welche
ihr sackartig vom Halse bis an die Füße reichte und wandte sich eben, um
hinaus zu gehen. Jelde aber, der es am Magen fehlte und die heute ihren


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[0043] Die Blumen des Florentin Kiep UM die volle Blumenzeit und in einer Stunde, die vom blauen Himmel fiel, heimlich und heilig, eine- mit einem Gottesgesicht, wie die Liebe zweier reiner Menschen, eine, die so Kar war, daß sie sich in sich selber erklärte und es nicht viel eigener Worte gebrauchte. Als der Tag dann niederging in so einer Stunde, geschah es aber, daß sein Zögern dem Florentin einen Schleier vor den Augen her gewirkt hatte, durch den er die volle Klarheit der Stunde nicht erkannte und sich vergaß. Es war heiß gewesen, und die Sonne hatte Funken über allen Blumen spielen lassen, die wie kleine, aus dem Feuer frei gewordene Teufel waren, tolle und tanzende. Sie hatten sich Rosenblätter im Garten des Kiep zugeworfen, wie kleine Schalen lagen abends diese Blätter über dem tauigen, dunkelgrünen Rasen, und der Duft stieg aus den Weilenden auf mit einem heimlichen, heißen Sinnebetäuben. Der Abendstrahl färbte die roten weiß, und die weißen wurden wie rot unter dem Taue. Da war etwas verzaubert, das Rechte war unrecht geworden, wo eine Grille zirpte, war's, als liebere ein Teufelchen, der Florentin war verwirrten Sinnes und kannte sich nicht aus in seinem eigenen Garten. Draußen hinter den Hecken, den Feldern und dem Dorfe zu, war dagegen ein kühler, ruhiger Abend. Die Dorfstraße lag staubig hingestreckt wie ein arbeitsmüder Arm, der Schatten eines Berges, hinter dein die Sonne verfehlen, lehnte darüber, groß und rund und dunkel, wie der Kopf eines schlafenden Riesen. Das Dorf zog sich lang hinunter, im südlichen Teile waren die Häuser noch in der Sonne. Zwischen die einzelnen Höfe traten die Felder und legten ihre Frucht um jedes Eigentümers Tür. Nach dem heiß gewesenen Tage ging ein Duft von ihnen aus wie überströmende Kraft. In den ein¬ geengten Wiesen nahe am Straßenbande war Heu geschichtet, wo anders wurde mit scharfen Schneiden das schnittreife Gras niedergelegt. Von dem höchsten Bergland herunter kam der Duft der Esparsette. In den meisten Häusern waren die Türen aufgetan, daß die verbrauchte Tagluft ausgehen und kühlende Zugluft neue einlassen konnte, und wo noch die offenen Herde waren, flackerte das helle, wohnliche Abendfeuer. Wieschen kam zu dieser Stunde mit ihrer Meisterin vom Nähen heim und sah sich in der Stube zuhause um, soweit ihr das Haus des Kiep heimisch und eigen war. Sie brachte in ihrem Wesen etwas von der Festlichkeit der reinen freien Natur von draußen mit herein und ging unter den um den Kopf gelegten dunkelblonden, glatten Haarflechten wie unter einem Kranz. Es war einer im Dorf gestorben, sie hatten Trauer genäht und das schwarze Wollzeug war ihnen in die Hände gefärbt. Wie das Mädchen sich säuberte, fiel sie reinlich gegen den Halbschmutz der Stube auf; denn die Mutter Johanne, die das Hauswesen hatte, fegte nicht viel vom Reiserbesen ab. Wieschen schüttelte die Nühfäden von ihrem gewürfelten Kleide und strich über die Schürze, welche ihr sackartig vom Halse bis an die Füße reichte und wandte sich eben, um hinaus zu gehen. Jelde aber, der es am Magen fehlte und die heute ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/43>, abgerufen am 01.07.2024.