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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

Haube zurück, der Scheitel, wie er noch ein paar Finger breit darunter hervorsah,
glich mit der durchschimmernden rötlichen Haut einem ausgetretenen Sträßlein,
so voll waren die Jahre schon über sie hingegangen. Ihre matten Augen sahen
mit stumpfer Gutmütigkeit durch das Haus und die Menschen an, die mit ihr
darin waren und für die sie den Herd warm zu halten hatte.

Die Jelde war nicht so von Wesen wie ihre Mutter. Sie hatte schmeichelnde
oder scharfzüngige Reden, wie sie das Wort auf einen zu stehen hatte, und
wenn sie einen Ärger um Gottes willen verschluckte, so wurmte er sie, bis sie
ihn als giftigen Atem wieder ausließ. Sie war klein und mager, aber bei
kränklichen Körper von zäher Natur. Haar, Brauen und Augen stachen in
schwärzlichem Braun gegen die ungesunde Gesichtsfarbe scharf ab, der Nasen¬
stumpf stand hoch, weil die Gewohnheit mit ihr alt wurde, mit dem Handrücken
nach oben darunter her zu reiben, und hierdurch, wie durch das schief vorbei¬
sehende rechte Auge nahm das Gesicht einen Ausdruck komischer Frechheit an,
der aber bei allem echt Bösartigen nicht ganz ernst zu nehmen war. Sie war
fromm in Christi Namen und hielt den Sonntag mit soviel Andacht, wie noch
aus ihrem verlesenen Gesangbuch heraus zu beten war. Sie war Näherin, das
brachte sie den Weibern nahe und machte sie unentbehrlich, so daß ihr Stand
im Dorf ein gebildeter war. Die eigene Eitelkeit, mit der sie sich Sonntags
herausputzte, zeigte das Geschick ihrer Hände. Sie war aber mausarm und
mußte für sich und ihre Alte die Pfennige im Dorf herum mühsam zusammen¬
nähen, und weil sie mit den Jahren das Kränkeln stärker ankam, nahm sie ein
Mädchen in die Lehre.

Die Luise Maßmann, oder Wieschen, wie sie dörfisch sagten, vom Lehrer
Maßmann, dem die Frau bei der Geburt des Wieschen gestorben war, und
der selber, die Schwindsucht am Halse, nicht weit Überweg kam. Ein Bauer
aus dem Dorf hatte Wieschen aufgezogen, ein Reicher, den sie den "Stein¬
bauer" nannten, weil ihm die Kalksteinbrüche in der Nolterschlucht gehörten.
Er war geizig, und es hat manchen gewundert, daß er das Gute an Wieschen
tat. Aber er sog ihr die Kraft, die sie von seinem Essen bekam, an der rechten
Stelle schon wieder heraus. Das frühe schwere Arbeiten beim Großbauern trieb
Wieschen auf die Knochen, und sie wurde schwach, daß man sie weglassen mußte.
So fand sie ihre Lehre bei Jelde Kamp.

Wie sie eine Weile still gesessen und sich beim Nähen ausgeruht hatte,
kam ihr das Nachdenken über ihr Leben, und sie sagte zu Jelde: "Weißt auch,
arbeiten möcht' ich schon lieber draußen im Felde, wenn's nur nicht beim Stein¬
hauern wäre!"

"Bist undankbar," gab ihr Jelde eins drauf. "Zeigt einem einer wie man
die Nähnadel hält, um nachher wieder hinter die Mistforke zu gehen?"

Weil das Mädchen nicht mit viel eigenem Willen groß geworden war,,
duckte sie sich dem der Jelde, entwuchs der Lehrzeit und wurde von ihr aus¬
gelohnt. Sie war fleißig und der Jelde ihre rechte Hand, oder, wie einmal


Die Blumen des Florentin Uley

Haube zurück, der Scheitel, wie er noch ein paar Finger breit darunter hervorsah,
glich mit der durchschimmernden rötlichen Haut einem ausgetretenen Sträßlein,
so voll waren die Jahre schon über sie hingegangen. Ihre matten Augen sahen
mit stumpfer Gutmütigkeit durch das Haus und die Menschen an, die mit ihr
darin waren und für die sie den Herd warm zu halten hatte.

Die Jelde war nicht so von Wesen wie ihre Mutter. Sie hatte schmeichelnde
oder scharfzüngige Reden, wie sie das Wort auf einen zu stehen hatte, und
wenn sie einen Ärger um Gottes willen verschluckte, so wurmte er sie, bis sie
ihn als giftigen Atem wieder ausließ. Sie war klein und mager, aber bei
kränklichen Körper von zäher Natur. Haar, Brauen und Augen stachen in
schwärzlichem Braun gegen die ungesunde Gesichtsfarbe scharf ab, der Nasen¬
stumpf stand hoch, weil die Gewohnheit mit ihr alt wurde, mit dem Handrücken
nach oben darunter her zu reiben, und hierdurch, wie durch das schief vorbei¬
sehende rechte Auge nahm das Gesicht einen Ausdruck komischer Frechheit an,
der aber bei allem echt Bösartigen nicht ganz ernst zu nehmen war. Sie war
fromm in Christi Namen und hielt den Sonntag mit soviel Andacht, wie noch
aus ihrem verlesenen Gesangbuch heraus zu beten war. Sie war Näherin, das
brachte sie den Weibern nahe und machte sie unentbehrlich, so daß ihr Stand
im Dorf ein gebildeter war. Die eigene Eitelkeit, mit der sie sich Sonntags
herausputzte, zeigte das Geschick ihrer Hände. Sie war aber mausarm und
mußte für sich und ihre Alte die Pfennige im Dorf herum mühsam zusammen¬
nähen, und weil sie mit den Jahren das Kränkeln stärker ankam, nahm sie ein
Mädchen in die Lehre.

Die Luise Maßmann, oder Wieschen, wie sie dörfisch sagten, vom Lehrer
Maßmann, dem die Frau bei der Geburt des Wieschen gestorben war, und
der selber, die Schwindsucht am Halse, nicht weit Überweg kam. Ein Bauer
aus dem Dorf hatte Wieschen aufgezogen, ein Reicher, den sie den „Stein¬
bauer" nannten, weil ihm die Kalksteinbrüche in der Nolterschlucht gehörten.
Er war geizig, und es hat manchen gewundert, daß er das Gute an Wieschen
tat. Aber er sog ihr die Kraft, die sie von seinem Essen bekam, an der rechten
Stelle schon wieder heraus. Das frühe schwere Arbeiten beim Großbauern trieb
Wieschen auf die Knochen, und sie wurde schwach, daß man sie weglassen mußte.
So fand sie ihre Lehre bei Jelde Kamp.

Wie sie eine Weile still gesessen und sich beim Nähen ausgeruht hatte,
kam ihr das Nachdenken über ihr Leben, und sie sagte zu Jelde: „Weißt auch,
arbeiten möcht' ich schon lieber draußen im Felde, wenn's nur nicht beim Stein¬
hauern wäre!"

„Bist undankbar," gab ihr Jelde eins drauf. „Zeigt einem einer wie man
die Nähnadel hält, um nachher wieder hinter die Mistforke zu gehen?"

Weil das Mädchen nicht mit viel eigenem Willen groß geworden war,,
duckte sie sich dem der Jelde, entwuchs der Lehrzeit und wurde von ihr aus¬
gelohnt. Sie war fleißig und der Jelde ihre rechte Hand, oder, wie einmal


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/41>, abgerufen am 01.07.2024.